Berlin:Die doppelte Ladung

Seehofer hat immer wieder Streit in der großen Koalition provoziert. Sein Teilrückzug könnte das noch weiter verschärfen.

Von Constanze von Bullion

Seehofer weiht Polizei-Fahndungszentrum ein

Im Dienste des Bundesadlers: Horst Seehofer will sein Amt als Innenminister weiter ausüben, wie hier bei einem Termin am Montag in Bautzen.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Die Kunst des Abschiednehmens von einem politischen Spitzenamt, das ist eine Frage des rechten Augenblicks. Jedenfalls, wenn man Horst Seehofer glauben darf. Immer wieder wurde der CSU-Chef und Bundesinnenminister in den vergangenen Monaten gefragt, wann er denn gedenke, sich zurückzuziehen - von all dem Ärger. Politische Gegner fragten das, Bürgersleute, Journalisten, zuletzt immer lauter auch Weggefährten aus der CSU. Und immer antwortete Seehofer sinngemäß: ja. Er werde sich zurückziehen, irgendwann. Von welchen Ämtern allerdings und wann genau, ließ er stets offen. Wer vor der Zeit die Katz' aus dem Sack lasse, so ließ er wissen, der habe schon verloren. Das habe er in seiner langen Laufbahn gelernt.

Am Montag hat Seehofer die Katz' zumindest schon mal den Kopf aus dem Sack stecken lassen. Er werde sich vom CSU-Parteivorsitz zurückziehen, sagte er bei der Eröffnung eines neuen Fahndungszentrums im sächsischen Bautzen. Hier, am Ostrand der Republik, wo Landes- und Bundespolizisten künftig gemeinsam gegen Kriminalität vorgehen sollen, bestätigte Seehofer, was am Vorabend im fernen München bereits aus einer Sitzung der CSU-Oberen gedrungen war: dass Schluss sein soll mit dem Parteivorsitz. "Ich werde das Amt niederlegen", sagte Seehofer in Bautzen. Im gleichen Atemzug aber machte er all denen einen Strich durch die Rechnung, die meinten, mit dem Noch-CSU Parteichef werde auch der Minister Seehofer von der politischen Bühne abtreten. "Ich bin Bundesinnenminister und werde das Amt weiter ausüben", betonte Seehofer in Bautzen. Der Posten des Bundesinnenministers sei von seiner Entscheidung zum Parteivorsitz "in keiner Weise berührt."

In der Opposition, aber auch bei der SPD, die Seehofer von einer Koalitionskrise in die nächste gejagt wurde, hatte man sich die Sache anders vorgestellt. "Jeder Tag, den Horst Seehofer weiter Innenminister bleibt, ist ein Tag zu viel", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt dem Tagesspiegel. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) legte noch am Montagmorgen nach, vor Seehofers Ankündigung. "Es ist nicht souverän, Zeit zu schinden und noch einige Monate im Amt zu bleiben", sagte er der Rheinischen Post. Seehofer sei der "Störenfried" der Koalition, schimpfte SPD-Vize Ralf Stegner bei der Deutschen Presse-Agentur.

Seehofer aber gedenkt nicht, Platz am Kabinettstisch zu machen, noch nicht. Und ob mit seinem Teilrückzug mehr Frieden einkehrt in die Politik der großen Koalition, wird sich noch erweisen müssen. Denn das Feld wird jetzt unübersichtlicher.

Es sind die Parteivorsitzenden, deren Votum im Berliner Machtgefüge im Ernstfall Gewicht hat und entscheidet: bei nächtlichen Krisensitzungen oder im Koalitionsausschuss etwa. Als Seehofer ultimativ die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze forderte oder sich im Streit um Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen verzettelte - immer saßen da die Parteichchefs von CDU, CSU und SPD nächtens im Kanzleramt beisammen. Angela Merkel, bisher Kanzlerin und CDU-Vorsitzende in Personalunion, wird in derlei Runden künftig an Gewicht verlieren. Denn neben ihr wird eine neue CDU-Chefin oder ein CDU-Chef installiert. Wird Friedrich Merz Parteichef, könnten aus einer CDU-Position in Zukunft also schon mal zwei werden.

Ähnliches kündigt sich nun in der CSU an. Horst Seehofer will weiter sein Riesenministerium leiten, zuständig für innere Sicherheit, Heimat, Migration, Bau und Sport. Beim nächsten Zerwürfnis zwischen Union und SPD wäre er bei nächtlichen Krisensitzungen der Koalition bestenfalls noch als Fachminister gefragt. Ganz aufs Fachliche zurückziehen dürfte er sich aber nicht. Gleichzeitig wird sein Nachfolger an der Parteispitze erster Mann der CSU in Berlin. Übernimmt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder den Vorsitz, sind hier Spannungen zwischen den beiden CSU-Alphatieren programmiert.

Aus zwei mach' vier, lautet also die neue Berliner Formel bei der Union: Statt der beiden Kontrahenten Merkel und Seehofer könnten künftig auf Unionsseite vier Querköpfe sitzen: Merkel, Merz, Seehofer und Söder. Das wäre nicht eben ein Rezept für Harmonie. Unklar ist auch noch die Rolle von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Gerade in der Migrationspolitik gehörte er zu den Scharfmachern in der CSU, mehr noch als Seehofer. Rückt Dobrindt zum starken Mann der CSU in Berlin auf, weil Söder ihm dieses Feld mangels Interesse überlässt, könnte es bald wieder frostig werden in der Koalition.

Kein Grund zum Jubeln also für die SPD, in der viele Seehofers Rückzug von allen Ämtern herbeigesehnt haben. Spätestens, wenn SPD-Chefin Andrea Nahles es bei der nächsten Krisensitzung der Koalition mit Persönlichkeiten wie Söder oder Dobrindt zu tun bekommt, dürfte Ernüchterung einkehren. Das gilt aber auch für die Kanzlerin.

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