Berlin:Tausende bei Demo für Verhandlungen mit Russland

Berlin: "Für den Frieden" ist auf Plakaten am Brandenburger Tor zu lesen - oder auch "Diplomatie statt Waffenlieferungen".

"Für den Frieden" ist auf Plakaten am Brandenburger Tor zu lesen - oder auch "Diplomatie statt Waffenlieferungen".

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Die Polizei spricht von mindestens 13 000 Teilnehmern am Brandenburger Tor, die Veranstalterinnen Schwarzer und Wagenknecht von 50 000. Mit dabei sind auch etliche Vertreter aus der rechten Szene. Es kommt zu kleineren Handgreiflichkeiten.

Am Brandenburger Tor haben sich Zigtausende Menschen zu der viel beachteten Kundgebung für Verhandlungen mit Russland versammelt. Die Berliner Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 13 000, eine Sprecherin der Veranstalter nannte etwa 50 000. Zu der Demonstration aufgerufen hatten die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Beiden hatten Kritiker unter anderem eine mangelnde Abgrenzung nach rechts vorgeworfen.

Nach offiziellen Angaben sind etwa 1400 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz. Es habe am Rande der Veranstaltung kleinere Handgreiflichkeiten gegeben, berichtete die Polizei. Zudem habe sich eine Gruppe linker Gegendemonstranten eine lautstarke Auseinandersetzung mit dem Herausgeber des Magazins Compact, Jürgen Elsässer, geliefert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft dieses als erwiesen rechtsextremistisch ein. Mit dabei war auch der Rechtsextremist und Holocaust-Leugner Nikolai Nerling, der als "Volkslehrer" in den sozialen Medien auftritt. Auch zahlreiche Mitglieder der AfD kamen nach Parteiangaben zu der Demo - unter ihnen auch der AfD-Landesvorsitzende aus Sachsen, Jörg Urban.

Ansonsten sei die Kundgebung "störungsfrei" verlaufen, meldete die Polizei zu deren Ende gegen 17 Uhr. Nach ihren Angaben hatte die Versammlungsbehörde explizit diverse Beschränkungen verfügt. So dürfe man beispielsweise keine militärischen Uniformen oder Abzeichen tragen, keine russischen, sowjetischen oder belarussischen Fahnen schwenken, keine russischen Militärlieder singen oder auch nicht die Buchstaben V und Z zeigen, die Symbole des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind.

Die Demonstration steht unter dem Motto "Aufstand für Frieden". Wagenknecht forderte erneut einen Stopp von Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine und mahnte Friedensverhandlungen an. Es gehe darum, "das furchtbare Leid und das Sterben in der Ukraine zu beenden" und Russland ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten, "statt einen endlosen Abnutzungskrieg mit immer neuen Waffen zu munitionieren". Das Risiko, dass sich der Krieg auf ganz Europa und womöglich die Welt ausbreite, sei "verdammt groß".

Schwarzer und Wagenknecht sprachen vom Beginn einer Bürger- und Friedensbewegung - und kritisierten zugleich die Diskussionskultur in Deutschland und "Kampagnen gegen uns". Schwarzer sprach von einem "Tsunami an Verdrehungen".

Berlin: Alice Schwarzer and Sahra Wagenknecht auf der Bühne am Brandenburger Tor.

Alice Schwarzer and Sahra Wagenknecht auf der Bühne am Brandenburger Tor.

(Foto: Christian Mang/Reuters)

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte in der ARD: "Jeder, der bei Sinnen und Verstand ist, wünscht sich Frieden." Doch Wagenknecht und die ihr folgenden Leute wollten etwas als Frieden verkaufen, das ein "imperialistischer Diktator" Europa aufzwinge. Wenn sich das durchsetze, wäre das eine Einladung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die nächsten Länder zu überfallen.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sagte der Rheinischen Post: "Die Sichtweise von Frau Wagenknecht ist nicht meine." Eine stärkere Abgrenzung gegenüber radikalen Strömungen wäre für den Aufruf gut gewesen. Mützenich sagte aber auch, man müsse anerkennen, dass Teile der Bevölkerung eine noch stärkere Orientierung auf Friedensgespräche wünschen. Schärfere Kritik kam von FDP-Chef Christian Lindner: "Putins Aggression verharmlosen, Waffenlieferungen ablehnen. Keine Hilfen - nur Forderungen nach diplomatischen Lösungen", schrieb der Bundesfinanzminister auf Twitter. Der Protestaktion müsse man "deutlich entgegnen: Wer der Ukraine nicht zur Seite steht, steht auf der falschen Seite der Geschichte".

Auch Linke-Parteichefin Janine Wissler übte Kritik an dem Aufruf zur Veranstaltung. Es nähmen Politiker der Linken teil, sie persönlich aber nicht, sagte Wissler den Funke-Zeitungen. "Weil ich mich an anderen Aktionen beteilige und weil mir der Umgang mit der Mobilisierung in rechten Kreisen Sorgen macht. Da hat der Aufruf eine Leerstelle", kritisierte sie.

Aus Sicht der SPD kommen Bilder der Demo Putins Propaganda gelegen

Wagenknecht und Schwarzer hatten Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich in einem vieldiskutierten "Manifest für Frieden" aufgefordert, "die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen" und sich "an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen" zu setzen. "Auf beiden Seiten" müssten Kompromisse gemacht werden.

SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast warf den beiden Organisatorinnen vor, mit der Aktion russische Propaganda zu bedienen: "Sie wird die Demonstration für ihre Zwecke ausschlachten. Das muss jeder wissen, der am Samstag mit demonstriert", sagte Mast und forderte von Wagenknecht und Schwarzer, "sich klar nach rechts" abzugrenzen.

Schwarzer sieht "eine richtige Bürgerbewegung" entstehen

Schwarzer widersprach den Vorwürfen. "Selbstverständlich werden wir gegen jede Art von rechtsextremer Propaganda auf dem Platz angehen", sagte sie vor der Demo. Wagenknecht und sie stünden für das Gegenteil von rechter Politik. Mit Blick auf die vielen Unterzeichner des Manifestes sagte sie: "Wir sind also auf dem besten Weg, eine richtige Bürgerbewegung zu werden." Es erstaune sie, dass Kanzler Scholz die Bedenken so vieler Menschen offenbar nicht ernst nehme.

Schwarzer bestritt auch, dass sie generell gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sei. Diese müssten aber einhergehen mit diplomatischen Bemühungen. Es stimme absolut nicht, dass Wagenknecht und sie eine Kapitulation der Ukraine in Kauf nehmen wollten. "Aber nach einem Jahr Tod und Zerstörung frage ich auch: Was hält uns davon ab, jetzt schon Verhandlungen zu beginnen anstatt noch drei Jahre damit zu warten?"

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