Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Steinmeier unterzeichnet Änderungen beim Infektionsschutzgesetz

Zuvor stimmen Bundestag und Bundesrat zu. Eine Demonstration von Gegnern der Corona-Maßnahmen wird beendet, weil viele Teilnehmer keinen Mund-Nasen-Schutz tragen. Doch die Polizei tut sich schwer.

Von Markus C. Schulte von Drach und Jan Heidtmann, Berlin

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das neue das "Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung" ausgefertigt. Das teilte das Bundespräsidialamt am Mittwochabend mit. Das zuvor von Bundestag und Bundesrat im Schnellverfahren beschlossene Gesetz kann nun nach der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten. Die Änderungen am bisherigen Gesetz stoßen innerhalb und außerhalb des Parlaments auf heftigen Widerstand. Es geht um die Rechtsgrundlage für Maßnahmen der Länder, mit denen die Grundrechte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite eingeschränkt werden können.

Das Prozedere

Weil die epidemische Lage längst Realität ist, diskutierte der Bundestag seit zwölf Uhr das Gesetz und Änderungsvorschläge des Gesundheitsausschusses in zweiter und auch gleich dritter Lesung und stimmte dann darüber ab. Damit das Gesetzgebungsverfahren möglichst schnell abgeschlossen werden konnte, kamen die Vertreter der Länder um 15 Uhr zu einer Sondersitzung des Bundesrates zusammen. FDP und Grüne brachten im Bundestag Änderungsanträge ein, die beide mit großer Mehrheit abgelehnt wurden. Letztlich verabschiedete das Parlament das Gesetz mit den Stimmen der Regierungsparteien, 413 Abgeordnete stimmten dafür, 235 dagegen, acht enthielten sich. Eine knappe Stunde später stimmte auch der Bundesrat für das Gesetz mit 49 von 69 maximal möglichen Stimmen. Die von der Linkspartei geführte Regierung Thüringens stimmte überraschend zu, obwohl die Linke im Bundestag dagegen war.

Die Debatte im Bundestag

Bei der Diskussion im Bundestag kam wiederholt die Frage auf, ob das neue Gesetz mit den freiheitlichen Grundrechten zu vereinbaren sei. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte in seinem Beitrag deshalb wiederholt, wie wichtig die Regierung diese nehme, aber dass abgewogen werden müsse angesichts des Leidens, das durch das Virus ausgelöst würde.

Er reagierte dabei insbesondere auf den Beitrag von Alexander Gauland von der AfD, der einmal mehr davor gewarnt hatte, die Maßnahmen der Regierung liefen letztlich auf eine Art Diktatur hinaus.

Die körperliche Unversehrtheit stehe auch im Grundgesetz, sagte Spahn, und der Schutz der Gesundheit stehe nicht absolut über allem. Aber die Regierung habe entschieden, ihr ein relativ starkes Gewicht beizumessen. Auch um eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, zu dem es bei einem exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen kommen würde.

Spahn zeigte sich froh und erleichtert angesichts der Erfolge bei der Entwicklung von Impfstoffen. Er sagte aber auch, "Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird keine Impfpflicht geben." An Gauland gewandt fügt er hinzu: "Hören Sie endlich auf, etwas anderes zu behaupten."

Wie andere Vertreter der Regierungsparteien wies er darauf hin, dass das neue Gesetz die Möglichkeiten der Regierungen, Maßnahmen zu ergreifen, ja gesetzlich regeln und einschränken würde.

Vor ihm hatte Gauland, einer der Fraktionsvorsitzenden der AfD, für Empörung gesorgt. Die Maßnahmen der Regierung bezeichnete er als maßlos und unausgewogen. "Haben wir denn die Pest im Land", fragte er an die Bundeskanzlerin gewandt. Es komme ihm so vor, als sei der Virologe Christian Drosten der eigentliche deutsche Souverän, und nicht das Volk. Dafür, dass er die AfD zur einzigen demokratischen Fraktion im Bundestag erklärte, applaudierte diese ihm im Stehen.

Christian Lindner, Fraktionsvorsitzender der FDP, räumte ein, dass es notwendig sein könne, in die Grundrechte einzugreifen. Aber die einzelnen Punkte des Paragrafen 28a des Gesetzes seien eine Auflistung von Freiheitseinschränkungen und Grundrechtseingriffen, die eigentlich nur für ganz konkrete Situationen vorgenommen werden dürften. Die FDP wird dem Gesetz nicht zustimmen.

Ähnlich argumentierte Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion Die Linke, die das Infektionsschutzgesetz in dieser Form ablehnt. Weil jeder Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte der Zustimmung des Bundestags bedürfe, was hier nicht vorgesehen sei. Die schreckliche Corona-Krise dürfe nicht zu einer schleichenden Demokratiekrise werden, sagte Korte.

Darum geht es im Detail

Der neue Paragraf 28a Infektionsschutzgesetz führt eine Reihe von Schutzmaßnahmen auf, die von den Landesregierungen und den Behörden verordnet werden sollen. Dazu gehören etwa Maskenpflicht, Abstandsgebote, Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen im öffentlichen und im privaten Raum, Beschränkungen oder Verbote von Reisen und Übernachtungen, aber auch das Schließen von Geschäften, Kultur-, Sport- und Freizeitveranstaltungen. Mit der Reform werden Maßnahmen gesetzlich verankert, die auch im Frühjahr beim Lockdown angeordnet wurden und die auch gegenwärtig gelten.

Die Verordnungen müssen allgemein begründet und zeitlich befristet werden, damit gewährleistet ist, dass nicht auf unabsehbare Zeit in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird. Nach jeweils vier Wochen können die Regelungen aber verlängert werden.

Besser geregelt werden soll etwa der Verdienstausfall durch die Maßnahmen. So sollen Eltern, die wegen der Betreuung der Kinder nicht arbeiten können, bis März Ansprüche auf Entschädigung geltend machen können. Krankenhäuser, die finanzielle Einbußen haben, weil sie wegen der Behandlung von Corona-Patienten keine Operationen vornehmen können, sollen dafür einen Ausgleich bekommen. Auch soll gewährleistet werden, dass alle Menschen, auch Nichtversicherte, eine Impfung erhalten und sich testen lassen können. Eine Impfpflicht ist nicht vorgesehen.

Die Proteste

Die Versammlung auf der Straße des 17. Juni wurde gegen Mittag vom Versammlungsleiter für beendet erklärt. Das schreibt die Polizei am Mittag auf Twitter. "Die ehemaligen Demo-Teilnehmenden haben nun die Pflicht, den ehemaligen Versammlungsort zu verlassen", hieß es weiter. Allerdings gelang es der Polizei bislang nicht, die Demonstration aufzulösen.

Die Einsatzkräfte begannen damit, den Platz zu räumen und Wasserwerfer einzusetzen. "Da die ehemaligen Teilnehmenden der Versammlung in Höhe Platz des 18. März der Verpflichtung, den Ort zu verlassen, nicht nachkamen, wurden die Menschen soeben von unseren Wasserwerfern beregnet", schrieb die Polizei auf Twitter.

Am Brandenburger Tor ist gegen 14 Uhr ein Patt entstanden. Zwei Wasserwerfer stehen an der Seite zum Reichstagsgebäude und schütten im hohen Bogen immer wieder Wasser über den Demonstranten aus. Doch die scheint das nur in ihrem Widerstand zu bestärken: "Wir bleiben hier" und "Merkel soll weg" skandieren viele von ihnen in immer neuen Wellen. Einige rufen "Wasserwerfer-Diktatur" dazwischen.

Auf Twitter meldet die Polizei, Beamte seien von Demonstrierenden "mit Flaschen, Steinen und Böllern beworfen sowie mit Pfefferspray angegriffen" worden. Es habe deshalb bis 14 Uhr 190 "Freiheitsentziehungen beziehungsweise Freiheitsbeschränkungen" gegeben. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch neun Polizisten und Polizistinnen verletzt. Auch die Deutsche Presse-Agentur berichtete von Rangeleien und aggressiver Stimmung.

Anhänger der QAnon-Verschwörung haben sich unter die Demonstranten gemischt, ansonsten sind die Verschwörungsgläubigen und auch die Rechtsextremen bislang nicht sichtbar. Ob sie nicht dabei sind oder nur gut kaschiert, ist schwer auszumachen. Sie alle vereint jedenfalls, dass sie sich nicht vertreiben lassen wollen. Die Polizei zögert, die Gewalt einzusetzen, die wohl nötig wäre, um den Platz vor dem Brandenburger Tor zu räumen.

Auf der anderen Seite des Reichstagsgebäudes, an der Marshallbrücke, hat sich die zweite Gruppe von Demonstranten versammelt. Es sind eher ein paar Hundert als ein paar Tausend wie am Brandenburger Tor. Auch sie warnen lautstark vor dem neuen Infektionsschutzgesetz, viele von ihnen tragen keine Maske, an Sicherheitsabstände ist nicht zu denken.

Die Polizei ist dazu übergegangen, einzelne Protestierende ohne Maske aus der Menge herauszugreifen und ihre Personalien festzustellen. Dafür hat sie - einer Wagenburg ähnlich - ein mobiles Erfassungszentrum eingerichtet. Die Betroffenen stehen in einer langen Schlange davor, um schließlich mit einer Nummer in der Hand fotografiert zu werden.

Das Reichstagsgebäude, das Kanzleramt, die anderen Parlamentsgebäude und auch das Sowjetische Ehrenmal sind weiträumig abgesperrt. Es sind etwa 2000 Polizisten im Einsatz.

Gegner der Corona-Maßnahmen haben seit Tagen dazu aufgerufen, vor dem Reichstagsgebäude gegen das Gesetz zu demonstrieren, dazu gehören Querdenker-Initiativen, aber auch rechte Gruppen wie die Identitäre Bewegung und die Reichsbürger. Auch die NPD ist auf den Zug aufgesprungen. Immer wieder wird das Gesetz von den Protestierenden fälschlich als "Ermächtigungsgesetz" bezeichnet - eine Anspielung auf das Gesetz, mit dem der Deutsche Reichstag 1933 Adolf Hitler ermöglicht hatte, die nationalsozialistische Diktatur zu errichten.

Am Rande der Demonstrationen ist der AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse festgenommen worden. Wie er in einem Video, das von Mitgliedern seiner Fraktion verbreitet wurde, sagte, hatten ihn Polizisten angesprochen, weil er keine Maske trug - gerechtfertigt durch ein ärztliches Attest. Da darin aber keine konkrete Krankheit genannt wird, habe die Polizei es nicht akzeptiert. Bei seinem Versuch, ein Video zu machen, kam es ihm zufolge zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Die Berliner Polizei bestätigte am Mittwochnachmittag auf Twitter, ein Mitglied des Bundestags angesprochen zu haben, weil er "gegen die Maskenpflicht verstieß". Er habe sich "unkooperativ" gezeigt, einen Begleiter zum Filmen aufgefordert und dann "Widerstand geleistet", so die Behörde.

Abgeordnete der AfD haben zudem offenbar Vertreter der "Querdenker" in die Bundestagsgebäude eingeschleust, die dort Abgeordnete anderer Parteien auf den Gängen bedrängen, um sie zu anderem Abstimmungsverhalten zu bewegen. Das bestätigten Abgeordnete auf Twitter, unter ihnen Konstantin Kuhle. "Ich empfinde diese Versuche der Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens als absolut unerhört", so der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion weiter.

Die Vorgeschichte

Während der Pandemie wurde das Infektionsschutzgesetz bereits mehrmals geändert. Grundsätzlich hatte der Bundestag im Frühjahr festgelegt, dass er eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" feststellen und dem Gesundheitsministerium Sonderbefugnisse geben kann - sodass auch ohne Zustimmung des Bundesrats Rechtsverordnungen erlassen werden können. Diese "epidemische Lage" gilt weiterhin, kann aber vom Bundestag jederzeit beendet werden.

Mit Material der Agentur dpa.

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