Süddeutsche Zeitung

Volksbegehren:Geld ganz ohne Gegenleistung

1200 Euro jeden Monat und das bedingungslos - eine Initiative will an 3500 Berlinern erforschen, wie das deren Leben verändert. Dafür sammeln die Aktivisten von "Expedition Grundeinkommen" jetzt Stimmen.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Volksbegehren haben seit Jahren einen festen Platz in der Stadtpolitik Berlins. Sei es, wenn es darum geht, ob der Flughafen Tegel geschlossen werden soll. Oder, ob das Feld des bereits geschlossenen Flughafens in Tempelhof bebaut werden darf. Derzeit treibt der Volksentscheid von fast 60 Prozent der Wahlberechtigten zur Frage, ob große Wohnungsbauunternehmen enteignet werden sollen, den Senat vor sich her. Seit diesem Freitag nun wird wieder gesammelt. Es geht um eine sehr grundsätzliche Frage.

Innerhalb der kommenden vier Monate will die Initiative "Expedition Grundeinkommen" 175 000 Stimmen dafür zusammentragen, dass Bürger eine monatliche Zahlung erhalten, die an keinerlei Pflichten geknüpft ist. Dieses so genannte bedingungslose Grundeinkommen wird seit Jahren in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften diskutiert. Nur - es fehlt an Erfahrungen. Das wollen die Aktivisten von "Expedition Grundeinkommen" ändern. "Es gibt viele Meinungen dazu, aber wenige wissenschaftliche Fakten", sagte Laura Brämswig bei der Vorstellung der Initiative.

Der Modellversuch würde wissenschaftlich begleitet

Deshalb sollen 3500 zufällig ausgewählte Menschen in Berlin drei Jahre lang rund 1200 Euro monatlich bekommen. Um die Auswirkungen verschiedener Modelle zu testen, sollen die Zahlungen nach Gruppen unterteilt unterschiedlich hoch sein. Eine weitere Beobachtungsgruppe erhält keinerlei bedingungslose Zuwendungen. Der Modellversuch würde wissenschaftlich begleitet, unter anderem vom renommierten Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Der von der Expedition Grundeinkommen vorgeschlagene Modellversuch würde Wissenschaft und Politik richtungsweisende Informationen darüber geben, wie die Umgestaltung der Sozialsysteme in Deutschland in Zukunft gelingen kann", kommentiert DIW-Präsident Marcel Fratzscher die Initiative. Die Kosten des großangelegten Testlaufs für den Senat werden auf 70 Millionen Euro geschätzt.

Die Unterschriftensammlung ist bereits der zweite Schritt dieses Volksbegehrens. Im Sommer 2020 hatten die Aktivisten bereits 34 000 Stimmen zusammengetragen und so das Berliner Abgeordnetenhaus dazu gebracht, sich mit dem Modellversuch auseinanderzusetzen. Die Parlamentarier lehnten die Initiative im vergangenen August schließlich einstimmig ab. Manche Abgeordnete von CDU und FDP aus eher grundsätzlichen Überlegungen, andere wegen der hohen Belastungen der Stadtfinanzen durch die Bewältigung der Corona-Pandemie. Politiker der Grünen und der Linken zeigten sich aber grundsätzlich offen für den Vorschlag, den die Initiative nun durch den Volksentscheid durchsetzen will.

Rund 16 000 Helfer hätten sich gemeldet, um die Initiative auch praktisch zu unterstützen, heißt es bei "Expedition Grundeinkommen". Seit Donnerstag werden im Stadtgebiet Plakate aufgehängt, 7000 sollen es werden. Das selbst gesteckte Ziel liegt bei 240 000 Stimmen, die bis Anfang September gesammelt sein sollen. Gelingt dies, wäre der Weg frei für einen Volksentscheid.

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