Süddeutsche Zeitung

Bundespolitik:Berlin ist nicht Saarbrücken

  • In den meisten Landeshauptstädten, aus denen noch immer der Großteil des Spitzenpersonals der Parteien stammt, sind die Arbeits- und Lebensbedingungen für Politiker kommoder als in Berlin.
  • Die Hauptstadtbühne, das erlebt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gerade, bedeutet eine permanente Prüfung vor den Augen der Öffentlichkeit.
  • Die Härte dieses Betriebs brachte einige Politiker vor ihr zum Verzweifeln, manch ein Kollege verließ die Berliner Bühne tief verletzt.

Von Susanne Höll

Was, bitte schön, hat es mit dem harten und rutschigen Pflaster in Berlin auf sich? Mit der Härte des Hauptstadtbetriebs, die vor allem Spitzenpolitikern zu schaffen macht, die zuvor anderswo gewirkt haben - die zum Beispiel erfolgreich Bundesländer regierten, bevor sie in Berlin landeten. Wer erkunden will, warum sich Annegret Kramp-Karrenbauer, die jetzige CDU-Vorsitzende und Bundesverteidigungsministerin, dort oft recht eigentümlich verhält, dürfte schnell feststellen: Sie ist beileibe nicht der erste Mensch, dem es im Hauptstadtbetrieb so ergeht.

Dort steht man als Führungsmensch unter hohem, manchmal unerträglichem Termindruck. Neugierige, gelegentlich auch äußerst besserwisserische Journalisten wollen nahezu 24 Stunden lang Auskunft, an fast jeder Ecke stehen Fotografen und Fernsehkameras, in Neben-, Hinter- und Oberzimmern von Gastwirtschaften treffen sich argwöhnisch und eifersüchtig solche Parteifreunde, die glauben, sie seien weitaus geeigneter als der gegenwärtige Chef oder die Chefin. Konkurrenten nutzen jede passende oder weniger passende Gelegenheit, um dem Neuankömmling klarzumachen, wie hart es im Regierungsviertel zugeht. Wer es als Frau in die Spitzenriege schafft, achtet zudem jeden Morgen wohlweislich auf Frisur und Kleidung, weil andernfalls unvorteilhafte Fotos auftauchen, in Journalen oder im Internet.

In den meisten Landeshauptstädten, aus denen noch immer der Großteil des Spitzenpersonals der Parteien stammt, sind die Arbeits- und Lebensbedingungen für Politiker kommoder. Ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin genießt für gewöhnlich Ansehen und Respekt, insbesondere dann, wenn er oder sie schon länger im Amt ist und einen Ruf als volksnaher Mensch erworben hat. Die Zahl der Journalisten ist deutlich kleiner, wer sein Partei- und Regierungsgeschäft einigermaßen im Griff hat, muss sich nicht permanent um interne Kabalen sorgen. Kramp-Karrenbauer war von 2011 bis 2018 Ministerpräsidentin des Saarlandes. Dort gibt es den Saarländischen Rundfunk, die Saarbrücker Zeitung sowie Radio Salü.

In Berlin ist der heimatliche Bonus plötzlich nichts mehr wert. Man muss sich, um des politischen Überlebens willen, umstellen, zumindest aber einstellen auf die neuen Bedingungen. Manche schaffen beides, anderen gelingt beides nicht.

Matthias Platzeck, Ex-SPD-Chef:

"Ich erinnere mich an Björn Engholm, der mal erzählt hat, dass er in seiner Zeit als Parteivorsitzender ein- bis zweimal in der Woche in Bonn war und ansonsten in Kiel. So etwas ist heute nicht mehr denkbar."

Zur zweiten Kategorie ist zum Beispiel Kurt Beck zu zählen. Er wurde 2006 SPD-Vorsitzender, gedrängt hatte er sich nicht danach. Außer ihm war aber niemand bereit, den Job zu übernehmen. Beck war damals daheim in Rheinland-Pfalz seit zwölf Jahren ein äußerst populärer Regierungschef, unter anderem, weil er bereitwillig mit den Bürgern sprach, gern auch mit deren Hunden. Seine Landespartei war ihm ergeben, kein Sozialdemokrat dort hätte über ihn gewitzelt oder gar gehöhnt.

Beck, ein gutwilliger Pfälzer, glaubte, die Bundes-SPD sozusagen im Nebenjob führen zu können, so wie es sein Vorgänger Matthias Platzeck vor zwei Wochen in der Süddeutschen Zeitung über Björn Engholm erzählte, der Anfang der Neunziger gleichzeitig die SPD und das Land Schleswig-Holstein führte. Beck präsentierte sich in Berlin so, wie er es daheim zu tun pflegte. Nicht lang, und prominente Sozialdemokraten übergossen ihn mit Häme, wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Fehltritte. Etliche Journalisten griffen dies dankbar auf. Beck durfte überregionalen Medien entnehmen, dass er schon allein wegen seines sehr soliden Schuhwerks und seiner Frisur als Kanzlerkandidat nicht infrage komme. Er ist ein durchaus dünnhäutiger Mensch; nach zwei Jahren verließ er die Berliner Bühne, tief verletzt.

Ja, man muss - auf welche Weise auch immer - robust sein, um den Wechsel von Mainz oder Saarbrücken nach Berlin zu bewerkstelligen. Zwei Sozialdemokraten ist der Wechsel aus der Provinz in die Bundespolitik seinerzeit gelungen, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Beide waren - und sind - ausgestattet mit einem fast unerschütterlichen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, rhetorischen Qualitäten und, wichtiger noch, der für Spitzenpolitiker womöglich nützlichen Gabe zur Ruchlosigkeit im richtigen Moment. Lafontaine, saarländischer Ministerpräsident von 1985 bis 1998 und SPD-Chef von 1995 bis 1999, verlieh der alten Redewendung "frech wie Oskar" seinerzeit ganz neue Bedeutung.

Schröder war so beeindruckt von sich selbst, er nahm es mit jedem auf

Schröder, der Niedersachsen von 1990 bis 1998 regierte, war gleichermaßen erfüllt vom Gefühl persönlich-politischer Bedeutsamkeit. Von widrigen Winden im Hauptstadtklima ließ er sich nicht sonderlich beeindrucken. Männer, die ihm querkamen, egal ob Journalisten oder Politiker jedweder Couleur, mussten gut präpariert und furchtlos sein, um die Auseinandersetzung mit ihm zu bestehen. Frauen kamen oft, aber wirklich nicht immer, leichter davon. Brach der Wolf im Kanzler durch, reagierte er nicht selten böse, ohne Rücksicht auf sein Gegenüber.

Helmut Kohl wiederum hatte sich auf ganz andere Weise gegen Hohn und Spott gewappnet - und er hatte beides nur in den vergleichsweise milden Bonner Zeiten auszuhalten. Auch er war Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, von 1969 bis 1976; CDU-Chef wurde er 1971. Er ertrug Schmähkritik, von welcher Seite auch immer, ziemlich lange und recht stoisch, meistens jedenfalls. Mit großer Härte gegen sich selbst überlebte er seine frühen Jahre in der Bundespolitik. Übertroffen wurde er darin nur von Angela Merkel. Die Frau, die nicht aus der Provinz in die Bundespolitik kam, sondern aus Berlin, wurde in ihren frühen Jahren nahezu Torturen unterzogen, von den eigenen Leuten und den Medien obendrein. Sie überstand sie, zahlte dafür persönlich aber vermutlich einen Preis.

Mit anderen Worten: Ja, die Hauptstadtbühne bedeutet eine Prüfung, auf der Frauen und Männer vor den Augen der Öffentlichkeit beweisen müssen, ob sie tatsächlich die Fähigkeit, den Charakter und die Ausdauer haben, um ein doch recht großes Land zu führen. Falls ja, wartet womöglich der allerhärteste Job auf sie: der im Kanzleramt.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2019
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