Berlin:Abschied eines ungleichen Paares

Die langjährigen Parteirivalen Andrea Nahles und Sigmar Gabriel haben nun beide angekündigt, ihr Mandat für den Bundestag im November niederzulegen. Damit endet auch eine Ära der SPD.

Von Nico Fried, Berlin

Es sieht aus wie ein Zufall, aber er hat Symbolkraft: Anfang November legt nicht nur Sigmar Gabriel, 60, sein Bundestagsmandat nieder, sondern auch Andrea Nahles, 49. Das ließ die ehemalige SPD-Partei- und Fraktionschefin am Montag mitteilen. Das sehr ungleiche Paar nimmt zur gleichen Zeit Abschied von der Politik. So endet eine Phase in der Geschichte der SPD, die fast auf den Tag genau vor zehn Jahren begann, als Gabriel und Nahles Parteichef und Generalsekretärin wurden.

Es war nach der Bundestagswahl 2009, in der die SPD mit 23 Prozent ein Debakel erlebt hatte: Gabriel und Nahles gingen einen Pakt ein, den man sich bis dahin nicht vorstellen konnte. Sie wurde Generalsekretärin und überließ ihm den Vorsitz. Der neue Bund überraschte viele: Als Nahles 2005 gegen Parteichef Franz Münteferings Wunsch Generalsekretärin hatte werden wollen, signalisierte Gabriel ihr Unterstützung und fiel dann um. Zwei Jahre später verhinderte Nahles die Wahl Gabriels ins Parteipräsidium.

Nahles und Gabriel waren politisch unterschiedlich sozialisiert worden: Sie wurde bekannt als wilde Juso-Vorsitzende, Gabriel kam von der sozialistischen Jugendorganisation der Falken. Anders als bei den Jusos, habe man bei den Falken nicht nur Karl Marx gelesen, sondern auch Zeit gehabt, sich im Zeltlager nach einer Freundin umzuschauen, hat Gabriel später einmal dem Spiegel erzählt. "Das war für mich eindeutig das attraktivere Angebot."

Nach gutem Anfang mehrten sich die Meinungsverschiedenheiten, etwa in der Flüchtlingspolitik

Der Parteichef Gabriel und seine Generalsekretärin hatten eine harte Zeit miteinander. Der umtriebige Gabriel ging ihr bisweilen gehörig auf die Nerven, doch Nahles blieb loyal. Immer wieder hat Gabriel auch öffentlich zugegeben, dass er für Nahles anstrengend war. Erst jüngst aber sagte er der Süddeutschen Zeitung auch: "Was auch immer Andrea Nahles und mich getrennt hat, sie hat sich als Generalsekretärin damals immer der SPD als Ganzes verpflichtet gefühlt."

Die wichtigste gemeinsame Leistung waren 2013 die Verhandlungen über eine große Koalition. Nahles wurde Arbeitsministerin und verantwortete die Einführung des Mindestlohns, Gabriel wurde Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Nach gutem Anfang mehrten sich die Meinungsverschiedenheiten, unter anderem in der Flüchtlingspolitik, später in der taktischen Ausrichtung für die Bundestagswahl 2019. Danach hatten Nahles, Olaf Scholz und Martin Schulz zunächst ihre liebe Not, die SPD erneut in die große Koalition zu führen. Doch bei den zu vergebenden Posten gab es schnell eine Gemeinsamkeit: Gabriel wollte keiner mehr. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Gabriel jüngst: "Im Kern haben Andrea Nahles und Olaf Scholz mich wohl einfach für zu unabhängig gehalten."

Umgekehrt darf Gabriel für sich in Anspruch nehmen, am Ende der Karriere von Andrea Nahles auch nicht unbeteiligt gewesen zu sein. Er stichelte öffentlich, und Nahles' Vertraute wollen wissen, dass sie auch hinter manch verdeckter Attacke ihn vermutete. Gabriel hingegen bemüht sich öffentlich auch in diesem Punkt um Versöhnlichkeit: Nahles' Abgang sei ein "großer Verlust" für die SPD. "Und obwohl ich nicht mit ihr befreundet bin, fand ich es bitter, mit ansehen zu müssen, wie ein Engagement dieser Größe so enden konnte."

Es könnte sein, dass der gleichzeitige Abschied dieser zwei Sozialdemokraten, die sich gegenseitig so vieles ermöglicht, aber eben auch manches versagt haben, doch nicht nur ein Zufall ist.

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