Berlin (dpa/bb) - Nach Jahren voller Ermittlungspannen und ohne Festnahme von Tätern haben alle Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus eine rasche und lückenlose Aufklärung der rechtsextremen Anschlagserie in Berlin-Neukölln gefordert. Allerdings verwahrten sich die Opposition wie auch die SPD gegen Mutmaßungen von Linken und Grünen, dass es in Berlins Polizei oder Justiz rechte Tendenzen oder sogar Netzwerke gebe. Das sei nicht der Fall.
Linke-Fraktionschefin Anne Helm sagte, viele Opfer rechter Attacken und Morddrohungen - nicht nur in Neukölln, sondern auch anderswo - hätten das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden verloren und teils sogar Angst vor Polizei. Viele Menschen, die sich in dem Stadtbezirk gegen Rechts engagierten, müssten seit Jahren mit Nazi-Angriffen leben. Seit Jahren gelinge es den Sicherheitsbehörden nicht, Täter ausfindig zu machen und vor Gericht zu stellen.
Vorwürfe, Polizisten oder Staatsanwälte könnten mit Rechten kooperieren, müssten ausgeräumt werden, so Helm. Deshalb unterstütze sie Pläne des Senats, eine externe Ermittlungskommission einzurichten. Gleichzeitig erneuerte Helm ihre Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Zur Anschlagserie in Neukölln rechnen die Ermittler seit 2016 mehr als 70 Straftaten gegen Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Darunter sind 14 Brandanschläge.
Auch die Grünen-Abgeordnete June Tomiak verwies im Hinblick auf Neukölln auf „Pannen, Ermittlungsfehler, Organisationschaos, Namensverwechslungen, Zuständigkeitsverwirrungen und letztlich viele Opfer, die sich alleine gelassen fühlen“. Sie bilanzierte: „Wir haben ein Problem bei der Polizei, dem Verfassungsschutz und der Justiz.“
Für ganz Deutschland gelte, dass selbst nach der Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe NSU nicht die richtigen Lehren gezogen worden seien. „Eine umfassende Aufarbeitung von rechtsextremen Strukturen, von historischen Kontinuitäten in Politik, Justiz und unseren Behörden hat nie stattgefunden.“
CDU-Fraktionschef Burkard Dregger warf dem rot-rot-grünen Senat vor, den Sicherheitsbehörden der Stadt nicht genügend den Rücken zu stärken. „Verfassungsschutz, Polizei und unsere Justiz müssen endlich wieder spüren, dass dieser Senat ihnen Vertrauen schenkt“, sagte er. „Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu unseren Sicherheitsbehörden.“ Sie brauchten ausreichende personelle und materielle Ressourcen sowie die erforderlichen gesetzlichen Befugnisse.
Der SPD-Innenexperte Frank Zimmermann sagte: „Aus meiner Sicht gibt es für ein rechtsextremes Netzwerk innerhalb der Polizei keine Anhaltspunkte.“ In Berlin werde einiges getan, um Ermittlungen gegen Extremisten zu optimieren und den Opferschutz zu verbessern. Staatsschutz und Verfassungsschutz würden personell gestärkt.
Darauf verwies auch Innensenator Andreas Geisel (SPD). „Wir dürfen nicht den Hauch eines Zweifels stehen lassen, dass wir es ernst meinen, mit der Verfolgung und Bestrafung von Rechtsextremisten, die andere Menschen terrorisieren“, sagte er. Daher wolle er den Komplex noch einmal mit externem Blick betrachten lassen: „Zu diesem Zweck werde ich eine Sonderermittlerkommission einsetzen.“
Der FDP-Abgeordnete Holger Krestel machte deutlich, dass auch seine Fraktion eine solche unabhängige Ermittlungsgruppe zu Neukölln befürwortet. „Jedoch unter der Prämisse, dass die parlamentarische Opposition eigene Mitglieder benennen darf, die ihrer Stärke in diesem Haus entspricht.“ Und weiter: „Rechtsextremismus hat in Berlin keinen Platz. Justiz und Polizei müssen bezüglich politischer Einflussnahme über jeden Zweifel erhaben sein.“
Der AfD-Abgeordnete Karsten Woldeit gab zu Bedenken, dass Gefahren für die Gesellschaft nicht allein vom Rechtsextremismus ausgingen. Gefährlich seien auch Linksextremismus und islamistischer Terrorismus.
Die Generalstaatsanwaltschaft hatte vor zwei Wochen sämtliche Ermittlungsverfahren zu dem Komplex übernommen. Grund ist der Verdacht, dass ein Staatsanwalt befangen sein könnte. Zwei Verdächtige aus der rechten Szene hatten sich darüber ausgetauscht, dass er angeblich nach eigenen Äußerungen der AfD nahe stehe und man von ihm nichts zu befürchten habe.
Der Staatsanwalt und einer seiner Kollegen, der ebenfalls mit den Fällen befasst war, wurden in andere Abteilungen versetzt. Am Mittwoch hatte Generalstaatsanwältin Margarete Koppers im Rechtsausschuss mitgeteilt, dass die Behördenleitung bislang keine Anhaltspunkte auf Voreingenommenheit von Staatsanwälten bei den Ermittlungen hat. Gleichwohl seien die Versetzungen „alternativlos“.