Ein Jahr danach hat das Massaker der Hamas auch in Berlin seine Spuren hinterlassen. Im Laufe der zwölf Monate hat es bei Protesten gegen die Politik Israels zahlreiche Attacken auf Polizisten gegeben, ein Molotowcocktail war vor eine Schule geworfen worden, ohne zu explodieren; in einer anderen Schule war kürzlich ein Serverraum in Brand gesetzt worden. Und auch die Demonstration an diesem Sonntag sollte ursprünglich zu einem dieser Orte führen, Endstation Sonnenallee. Hier hatte das inzwischen verbotene propalästinensische Netzwerk Samidoun am 7. Oktober 2023 Süßigkeiten verteilt, um die Attacke der Hamas zu feiern.
Doch die Polizei entschied, den propalästinensischen Protestzug schon früher zu stoppen. Etwa 3500 Menschen waren bis zum späten Nachmittag am Kottbusser Tor zusammengekommen, einige von ihnen bekannte Mitglieder der Sympathisantenszene. Darunter der ältere Mann, der gleich fünf Fahnen an einer langen Stange mit sich herumträgt. Vier palästinensische und eine Libanons. Neben anderen hatte auch das linke Bündnis Migrantifa zu dem Protest aufgerufen. Ihr Motto: „Es hat lange vor dem 7. Oktober begonnen.“ So erklärte einer der Redner auf der Veranstaltung auch, dass die Regierung von Benjamin Netanjahu gerade einen Kolonialkrieg mit dem Ziel eines „Großisrael“ betreibe.

Jahrestag des Hamas-Terrors:Tausende demonstrieren für Freilassung der israelischen Geiseln
Die Münchner Polizei zählt 8000 Teilnehmer. Von Gegendemonstranten der Gruppierung „Palästina spricht“ werden sie als „Kindermörder“ und „Faschisten“ beschimpft.
Verstärkung aus anderen Bundesländern
Die Polizei sprach von einer „stark emotionalisierten“ Stimmung, die am frühen Abend dann kippte. Aus der Menge heraus wurden Flaschen und Feuerwerkskörper auf die Beamten geworfen. Die Polizei setzte Pfefferspray ein und beendete die Demonstration gegen 18.30 Uhr. Es war der unrühmliche Abschluss eines ansonsten überwiegend ruhigen Gedenk- und Protestwochenendes vor dem 7. Oktober. „Weitestgehend störungsarm“ lautete die Bilanz der Polizei noch am Samstag.

Dabei war dieses Wochenende besonders in Berlin mit einiger Anspannung erwartet worden. „Wir blicken mit großer Sorge auf die kommenden Tage“, sagte Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei in Berlin. „Man konnte bereits in den vergangenen Tagen sehen, dass sich die Gewaltbereitschaft der propalästinensischen Szene wieder verstärkt in Hass, Antisemitismus und Gewaltexzessen entlädt.“
Jendro spielte dabei auf eine Demonstration vom vergangenen Mittwoch im Berliner Stadtteil Wedding an, bei der die Raketenangriffe Irans auf Israel bejubelt worden waren. Außerdem hatte eine propalästinensische Aktivistin versucht, einen Polizeiwagen anzuzünden.
Die Polizei hatte deshalb für dieses Wochenende und den Montag Beamte aus anderen Bundesländern angefordert; allein am Montag sollen rund 2000 Polizeikräfte im Einsatz sein. Man werde „alles dafür tun, dass Demonstrationen rund um den 7. Oktober ruhig und sicher durchgeführt werden können“, erklärte Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Dazu gehörte auch, dass einigen polizeibekannten Aktivisten bereits vor dem Wochenende untersagt worden war, an Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Jahrestag teilzunehmen.
Familiäre Bande in die palästinensischen Gebiete
Berlin ist seit jeher Austragungsort propalästinensischer Proteste. In der Hauptstadt leben nicht nur viele Juden, sondern auch viele Menschen mit Migrationshintergrund aus arabischen Ländern. Allein die Zahl der Berliner, die familiäre Bande in die palästinensischen Gebiete unterhalten, wird auf etwa 40 000 geschätzt. Seit dem 7. Oktober hat es in der Stadt immer wieder Solidaritätsbekundungen mit den Menschen in Gaza gegeben. Neben regelmäßigen Versammlungen auf der Straße zählten dazu auch ein sogenannter Palästina-Kongress im vergangenen April und mehrere Protestaktionen an Berlins Universitäten.
In den meisten Fällen blieben die Veranstaltungen friedlich, in manchen Fällen jedoch wurden auch antisemitische Parolen skandiert, und es kam zu Gewalttaten. „Neukölln zu Gaza machen“, lautete eine Parole propalästinensischer Aktivisten. Zu den brutalsten Angriffen gehörte die Attacke auf den jüdischen Studenten und Aktivisten Lahav Shapira, der Anfang Februar von einem Kommilitonen krankenhausreif geschlagen worden war.
Der Berliner Senat änderte daraufhin das Berliner Hochschulgesetz so, dass straffällige Studenten exmatrikuliert werden können. Eine Antisemitismusklausel, deren Unterzeichnung Senator Joe Chialo zur Verpflichtung für staatliche Unterstützung im Kulturbereich machen wollte, wurde bislang jedoch nicht umgesetzt.
Seit dem 7. Oktober 2023 bearbeitet die Staatsanwaltschaft an die 3200 Verfahren, die im Zusammenhang zum Nahostkonflikt stehen. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, handelt es sich in rund 1000 Fällen um Vorfälle auf Demonstrationen wie das Skandieren verbotener Parolen oder wegen Widerstands gegen die Polizei. 103 Fälle beschäftigten sich mit antisemitischer Hasskriminalität wie die Attacke auf den Studenten Shapira.
Zugleich verzeichnet die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit einen drastischen Anstieg von Übergriffen und Bedrohungen gegen Muslime im vergangenen Jahr. Aktivisten kritisieren zudem immer wieder das harte Vorgehen mancher Polizeikräfte gegen propalästinensische Demonstranten.
Für den Montag, dem eigentlichen Jahrestag, sind in Berlin wieder eine Reihe von Veranstaltungen geplant. Zu den größten gehört die Friedensdemo mit dem Titel „Nie wieder ist Jetzt für Alle, Frieden in Nahost“, die am Potsdamer Platz beginnen soll. Von 18 Uhr an wollen Demonstranten auf dem Weg von der Gedächtniskirche zur Jüdischen Gemeinde der Opfer des Massakers der Hamas gedenken, zudem sind mehrere Mahnwachen geplant. Ebenfalls um 18 Uhr soll auf dem Potsdamer Platz eine Demonstration aus „Solidarität mit Palästina“ beginnen. Auf den Veranstaltungen am Wochenende wurden auch Handzettel verteilt, die zu einem „globalen Streik für Gaza“ am 7. Oktober aufrufen.