Solange er nur hin und wieder sein Hemd auszog, war es halb so schlimm, dass wir im Westen ihn nicht so recht verstanden. Klar, Journalisten fragten sich schon: Was bringt es Wladimir Putin, russischer Präsident und einer der mächtigsten Männer der Welt, sich in albern-chauvinistischen Posen ablichten zu lassen? Ein bisschen herablassend, ein bisschen spöttisch war da von einem überkommenen Männlichkeitsbild die Rede und von der Sehnsucht der Russen nach einem starken Anführer. Und, weit weniger spöttisch, auch von all dem, was diese vermeintliche Sehnsucht nach sich zog: Kontrolle der Medien, Marginalisierung der Opposition, Verhaftungen und ein wachsender Nationalismus in Russland.
Inzwischen ist es in westlichen Medien aber endgültig vorbei mit Herablassung und Spott. Spätestens seit Ausbruch der Krim-Krise analysieren Journalisten aus ebenso aktuellem wie brisantem Anlass Putins Politik anstelle seines Kleidungsstils. Das Urteil fällt in den großen Medien tendenziell negativ aus: Putin sei gefährlich, wenn nicht gar verrückt. Völkerrechtswidrig wolle er sich die Halbinsel Krim, die zur Ukraine gehört, einverleiben. Gnadenlos verteidige er seine Einflusssphäre.
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Machen es sich Medien damit zu einfach? Das jedenfalls glauben nicht wenige Experten und Journalisten, die nun die Berichterstattung rund um die Themen Ukraine und Krim kritisieren. Im Guardian schreibt etwa der australische Journalist Antony Loewenstein: "Niemand kann die Brutalität Putins bezweifeln. Aber die Art und Weise, wie westliche Medien über den Konflikt berichten, wirft doch einige Fragen auf."
Schablonenhafte Berichterstattung?
Schablonenhaft sei das Bild, das viele Medien von Putin zeichneten: Das eines hemdlosen Machos, der aus reiner Bösartigkeit und Größenwahn nichts lieber tue, als in fremde Länder einzumarschieren und das eigene Volk zu unterdrücken. Besonders fatal sei die stereotype Betrachtung Putins im gegenwärtigen Konflikt. Sicher, Putin habe in seinem Land ein autoritäres System installiert - "dafür kann es keine Entschuldigung geben". Aber dass ausgerechnet US-Politiker und -Medien ihm einen Bruch des Völkerrechts vorwerfen, sei scheinheilig - einer Argumentation, der auch die deutsche Linke folgt, wie etwa Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht.
Loewenstein zitiert den Journalisten Patrick Galey, der in einem Blogeintrag die Arroganz westlicher Medienmacher beklagt. "Wir denken, dass wir - weil wir die Medienlandschaft und lange Zeit auch die Nachrichtenagenda kontrollieren - auch automatisch die Kontrolle über die Wahrheit haben." Galey widmet sich vor allem der Ablehnung, die dem staatlichen Sender Russia Today und seinen Berichterstattern in westlichen Medien entgegenschlägt. Er bestreitet nicht, dass Russia Today eine kremltreue Berichterstattung fährt, gibt jedoch zum einen zu bedenken, dass dies ja im Sinne der Meinungsvielfalt durchaus interessant sei.
Insbesondere geht er aber auf zwei Episoden ein, die in den vergangenen Wochen für einige Aufregung gesorgt haben. Da war zunächst der Ausbruch einer Moderatorin von Russia Today, die vor laufender Kamera die russische Invasion auf der Krim und somit ihren Auftraggeber, die Regierung Putin, kritisierte. Wenige Tage später kündigte eine Kollegin vor laufender Kamera - ebenfalls, weil sie in der Krim-Krise die Haltung der russischen Regierung und somit ihres eigenen Senders nicht mehr länger unterstützen wollte. Diese Vorfälle hätten zu triumphierenden Berichten in westlichen Medien geführt.
Galey erinnert hingegen an einige US-amerikanische Medien, die Journalisten im Zuge der Berichterstattung um 9/11 und den Irakkrieg entlassen hätten. Da, so argumentiert Galey, war es dann mit Meinungspluralismus auch nicht mehr weit her.
Streit über rechte Kräfte in der Ukraine
Auch die deutsche Berichterstattung steht in der Kritik, das zeigt zum Beispiel ein Beitrag in der Online-Ausgabe des deutschen Magazin Cicero. Putin werde in Deutschland als Autokrat, Egomane und/oder skrupelloser Taktierer beschrieben. Die Berichterstattung sei personalisiert statt hintergründig, häufig schwarz-weiß. Eine genaue Einordnung - zum Beispiel der Bedeutung rechter Kräfte in der Ukraine - fehle, stattdessen werde über- oder untertrieben, klagen die dort zitierten Experten.
Damit stehen sie nicht alleine, die Rechten in der Ukraine sind ein Dauerthema im Streit um die vehement eingeforderte journalistische Objektivität. Von der einen Seite heißt es, westliche Journalisten ignorierten schlicht die Gefahr, die von der nationalistischen Partei Swoboda sowie radikaler Gruppen auf dem Maidan ausgingen, um ihre Verbündeten in Kiew halten zu können. Russische Medien berichten viel vom vermeintlich faschistischen Umsturz in der Ukraine, schüren Angst vor Nationalismus und Antisemitismus. Aber auch die Linkspartei wird nicht müde, die braune Gefahr in Kiew zu betonen. Und nicht zuletzt weisen auch viele Leser in den Kommentaren großer Online-Medien auf diese nach ihrer Meinung vernachlässigte Sichtweise hin.
Andere wiederum werfen westlichen Medien vor, auf eben diese russisch lancierte Sichtweise - "Propaganda" eben - hereinzufallen und den Rechten eine viel zu große Bedeutung beizumessen. Das gipfelte in einem leicht skurril anmutenden Aufruf Dutzender Wissenschaftler, doch bitte das Augenmerk nicht in einem solchen Ausmaß auf Nationalismus in der Ukraine zu richten - ohne, dass sie übrigens eine bessere Einordnung der Ereignisse liefern konnten.
Nun heißt es unter Journalisten oft lapidar: Wenn sich in einem Konflikt alle Beteiligten über tendenziöse Medien beschweren, liegt man in der Regel nicht so falsch. Ein Blick ins Archiv bestätigt zumindest, dass an Berichterstattung über den Komplex kein Mangel herrscht. Es gibt vor allem in jüngster Zeit sehr wohl Artikel über den Einfluss der Rechten auf Übergangsregierung und Maidan. In vielen Artikeln über die Partei Swoboda finden sich zum Beispiel ein Hinweis auf deren Verbindung zur NPD. Erst kürzlich demonstrierten einige Dutzend Anhänger der Kiewer Übergangsregierung vor dem Gebäude des Spiegels, weil Politikredakteur Uwe Klußmann dem Westen und der Übergangsregierung in Kiew vorwarf, die Rechten unterschätzt und damit der eigenen Sache geschadet zu haben.
Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Reportagen und Analysen, die betonen, wie heterogen die Maidan-Bewegung ist - und die das Bild eines rein faschistischen Putsches eindrücklich widerlegen. Dass aus vielen von ihnen eine grundlegende Sympathie für die Janukowitsch-Gegner spricht, thematisiert ein sehenswerter Beitrag des NDR-Medienmagazins Zapp. "Berichterstattung durch die West-Brille?" fragen hier Bastian Berbner und Sandra Aïd. Auch sie lassen Experten zu Wort kommen, die die Berichterstattung der westlichen Medien kritisieren, liefern aber auch noch eindrückliches Zahlenmaterial.
Vor allem kritisieren sie, dass lange Zeit nur Janukowitsch-Gegner zu Wort kamen. Sie werteten dazu Sendungen der Tagesschau und der Tagesthemen seit Dezember aus. Zu fast 80 Prozent seien dort Demonstranten und Mitglieder der heutigen Übergangsregierung interviewt worden, allen voran Vitali Klitschko, der sogar eine eigene Kolumne in der Bild-Zeitung habe. Berichte aus dem russisch geprägten Osten des Landes hätte es nur selten gegeben, viele Journalisten hätten sich, so der Vorwurf, kaum vom Maidan wegbewegt.
Berichterstattung "nach dem Rechenschieber" ist unseriös
Was die Reportage von vielen anderen medienkritischen Stücken unterscheidet: Sie lässt die Kritisierten zu Wort kommen. Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, macht hier einen wichtigen Punkt: Journalistisches Arbeiten, so erklärt er, heiße immer auch Auswahl, Gewichtung und dadurch: Bewertung. Im strengsten Sinne des Wortes objektiv sei sie deswegen nie und soll es laut Gniffke auch nicht sein. Es könne keine Berichterstattung "nach dem Rechenschieber" erfolgen, das halte er für unseriös.
Doch was bedeutet das für die journalistische Arbeit? In der NDR-Reportage heißt es: Viele Journalisten seien eben im Westen, mit dessen Werten und dessen Organisationen wie Nato oder EU, sozialisiert worden und seien denjenigen gegenüber, die ihrem Wertesystem vermeintlich oder tatsächlich nahestehen, automatisch weniger kritisch. So würden Putins Handlungen nach allen Regeln des Handwerks messerscharf analysiert, bei der Übergangsregierung in Kiew hingegen nicht so genau hingesehen, weil westlich sozialisierte Journalisten sie als Verbündete betrachteten.
Diese Position vertritt auch der Sozialwissenschaftler Stefan Korinth, der den Medien nicht nur vorwirft, in Schwarz-Weiß-Mustern zu verharren, sondern sogar in den Redaktionen explizit eine antirussische Sicht zu fördern. Zahlreiche namhafte Journalisten und Ressortleiter, so führt er an, seien in "euro-atlantischen Eliten-Netzwerken" aktiv. Eine transatlantische Prägung, so sieht es jedenfalls Korinth, scheint Voraussetzung für eine Karriere in der Auslandsberichterstattung zu sein.
Aufruf zu mehr Empathie
Doch ist es nicht irgendwie auch nachvollziehbar, die Werte, die man für die richtigen hält, auch journalistisch zu verteidigen? Der US-Historiker Timothy Snyder etwa, der zur Zeit in englischsprachigen Medien einen Artikel nach dem anderen abfeuert, analysiert penibel die Interessen und Methoden Wladimir Putins - und macht gleichzeitig keinen Hehl daraus, dass es seiner Meinung nach in der Krim-Krise um mehr gehen muss als nur Machtpolitik. Nämlich um die Verteidigung des westlichen Wertesystems gegen ein autokratisch strukturiertes Russland, das sich als Gegengewicht zur freiheitlich gesinnten EU positioniere.
Zum Problem wird das immer dann, wenn die eigene Überzeugung dazu führt, dass der Blick aus der eigenen Blase nicht mehr gelingt. Das findet zum Beispiel FAZ-Autor Frank Lübberding. "Maßgebliche Teile der westlichen Politik haben es schlicht verlernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen", schrieb er schon zu Beginn der Krise, damals noch an deutsche Politiker gerichtet. Ein Vorwurf, der heute auch den Medien gemacht wird. Der Glaube an die eigene Überlegenheit, so Lübberding weiter, mache blind für die Interessen anderer.
Das ist nichts anderes als ein Aufruf zur Empathie. Und hier kommt man aus Mediensicht auch dem näher, was sich eigentlich hinter dem Begriff "Objektivität" im Journalismus verbirgt: Nicht nur den Blickwinkel einer Seite einzunehmen, sondern sich auch mit den Interessen der Gegenseite zu beschäftigen. Ob man diese dann akzeptabel findet oder nicht, ist dann noch einmal eine andere Frage. Eine Frage, die niemand beantworten kann, außer der Berichterstatter selbst - und die er für sich und seine Leser früher oder später auch beantworten muss, selbst wenn er kein reines Meinungsstück schreibt.