Berichterstattung über den US-Wahlkampf:Besser als Wrestling

Es geht um Sieger und Verlierer, um Drama und "Momentum": In den USA haben die spannenden Duelle Clinton vs. Obama und McCain vs. Romney das Profi-Wrestling als beliebtesten Fernsehsport abgelöst.

Tobias Moorstedt

Und dann ist das Spiel aus. Die Entscheidung ist gefallen. Der TV-Moderator Chris Matthews, sichtlich erhitzt, reißt seine Augen nur mit Mühe von den Statistiken und Tabellen los, spricht dann in die Kamera, spricht von "einem überzeugenden Sieg", den "richtigen Moves zum richtigen Zeitpunkt" und der "so wichtigen Siegermentalität".

Berichterstattung über den US-Wahlkampf: Wer schafft's als Erstes über die Ziellinie? Barack Obama und Hillary Clinton bei einem TV-Duell von CNN.

Wer schafft's als Erstes über die Ziellinie? Barack Obama und Hillary Clinton bei einem TV-Duell von CNN.

(Foto: Foto: AFP)

Wer sich gerade in der Küche etwas Schnelles in die Mikrowelle schiebt und den Bildschirm nicht im Blick hat, würde denken, es laufe die Nachberichterstattung eines Footballspiels. Aber Chris Matthews ist der Ulrich Wickert des amerikanischen Senders NBC und berichtet in der Sendung Hardball über die amerikanischen Primaries, die Vorwahlen.

Obama vs. Clinton, McCain vs. Romney, es sind Paarungen wie bei einem Boxkampf in Las Vegas, und so ist es auch inszeniert. Im Hintergrund sieht man Polit-Fans, die Schilder schwenken, ekstatisch kreischen und den Sieg ihres Kandidaten, ihres Teams feiern. Irgendwo flattert die amerikanische Fahne im stürmischen Wind.

Der Wahlkampf ist das größte Medienereignis des Jahres in den USA, größer als der Superbowl oder die Olympischen Spiele. Ähnlich wie bei einem Sportereignis konzentrieren sich die Journalisten und Politik-Analysten bei der Berichterstattung auf die Frage: Wer ist der Beste, Schnellste, Schönste? Wer wird gewinnen?

Politiker als Rennpferde

"Horse Race Journalism" heißt dieses Genre in Amerika, eine Form journalistischer Arbeit, die sich nicht mit den politischen Programmen befasst, sondern die sich die Triumph-Niederlagen-Semantik des Sports angeeignet hat, und von Underdog und Frontrunner spricht. Am Super Tuesday in dieser Woche stimmen Wähler in mehr als 20 Bundesstaaten über die Bewerber der Republikaner und Demokraten ab. Es ist der Showdown. Politiker verwandeln sich in Rennpferde, ihr Schnauben erfüllt die Sendungen.

Die Reality-Show "Who wants to be a President" läuft seit mehr als einem Jahr. Viele Kandidaten wurden vom Publikum bereits rausgewählt. Der Best-of-Zusammenschnitt: Hillary Clinton vergießt Tränen. John McCain schaut vor dem Mausoleum von Ronald Reagan in den kalifornischen Sonnenuntergang. Barack Obama lässt sich von den Kennedys als postmoderner JFK feiern.

Mehr Sendeminuten, weniger Information

2007 widmeten die Nachrichtenkanäle dem Thema Vorwahlkampf mehr Sendezeit als in den Jahren 2003, 1999, 1995 und 1991 zusammen, hat der TV-Analyst Andrew Tyndall errechnet. Die Einschaltquoten liegen um mehr als 100 Prozent über den Zahlen von 2003. Doch obwohl mehr als je zuvor über Politik gesprochen wird, haben die meisten Menschen, wie eine gemeinsame Studie des angesehenen Pew Research Institute und der Harvard Universität aufdeckte, nicht das Gefühl, gut informiert zu werden.

Mehr als zwei Drittel der Nachrichtenbeiträge (2005 waren es 54 Prozent), so das Ergebnis, beziehen sich auf Strategie und Taktik der Kandidaten und referieren über den Zwischenstand. Nur zwölf Prozent liefern relevante Informationen für die Entscheidungsfindung der Wähler, nur ein Prozent der Berichte analysieren die politische Arbeit der Kandidaten.

Moderatoren und Experten sprechen lieber über neueste Umfragen und die Zwischensumme der Spendensammler. Genau wie das Eckenverhältnis oder die Zweikampfquote im Fußball bieten diese Zahlen angebliche Deutungssicherheit.

Wie Kerner vor dem Kapitol

Es ist ein bisschen wie bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland: Als stünde Johannes B. Kerner vor dem Kapitol in Washington und würde den Mainzer Trainer Jürgen Klopp nach seiner Einschätzung fragen. Und Klopp würde dann mit Hilfe des Touch Screens die prognostizierten Feldvorteile des einen oder anderen Kandidaten skizzieren und besonders das "Momentum" erwähnen.

Was ist Momentum? Und sind nicht die Wähler eigentlich wichtiger?

Besser als Wrestling

Momentum ist ein Begriff aus der Physik und wird als das Produkt von Masse und Geschwindigkeit definiert. Amerikanische Sportberichterstatter bezeichnen damit gerne das Kräfteverhältnis zweier Teams. Schnürt eine Mannschaft den Gegner im 16-Meter-Raum ein, dann besitzt sie das Momentum, die Gunst des Augenblicks. Es ist kein empirischer Wert, sondern eine von Beobachtern erfühlte Tendenz, die noch nicht in die Sphäre des Zähl- oder Sichtbaren eingegangen ist.

Als Barack Obama die erste Vorwahl in Iowa überraschend hoch gewonnen hatte, besaß seine Kampagne nach Expertenaussagen ein "erhebliches Momentum". Da sich die Aufmerksamkeit der Medien auf den Favoriten, die Mannschaft der Stunde konzentriert, ist der Bericht über "zunehmendes Momentum einer Kampagne" auch so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Vergesst alles - bis auf die Wähler

Die Debatte um den Erfolg und die Strahlkraft von Obama entwickelte dabei eine seltsame Eigendynamik. Networks und Zeitungen berichteten über einen Siegeszug in den Vorwahlen, bevor dieser stattgefunden hatte.

Die Berater von Hillary Clinton sahen sich gezwungen, in der New York Times auf eine Niederlage zu reagieren, die ihre Chefin noch gar nicht erlitten hatte. Der Weltenlauf wird umgepolt.

Die Reaktion geht dem Impuls voraus. Auf Bildschirmen und Titelseiten wird eine Wirklichkeit verhandelt, die dann durch Ereignisse wie den unerwarteten Sieg von Clinton in New Hampshire als Paralleldimension entlarvt wurde.

"It's the voters, Stupid", titelte Time nach Clintons Sieg: "Die Wähler entscheiden, Herzchen!". Das Magazin empfahl: "Vergesst die Experten, vergesst die Umfragen, vergesst die Wahlwerbespots." Der anerkannte New Yorker Medienforscher Jay Rosen schreibt: "Die Medien konzentrieren sich auf die Erfolgs- und Comeback-Geschichten, die man aus Hollywood kennt. Das ist oft Fiktion."

Wahlkampf als politisches Trainingslager

Experten, Kommentatoren, Meinungsforscher übertönen mit der Frage nach den Erfolgsaussichten eines Kandidaten den Diskurs über seine politischen Ansichten. "Hat er, was es braucht, um Präsident zu sein?" fragen sie. Sie schauen dem Gaul ins Maul, fühlen seine Muskeln.

"Viele Journalisten denken, dass ein Präsident sich im Wahlkampf bewähren muss", sagt Rosen, "dass er zeigen muss, dass er dem Druck gewachsen ist." Das Campaigning als Trainingslager. Rosen: "Übersehen wird dabei, dass nicht ein geschickter Medienwahlkampf einen Präsidenten legitimiert, sondern nur die Stimmen der Wähler".

Mehrmals am Tag schaltet Moderator Chris Matthews zu den "eingebettete Korrespondenten" in jedem Team der Kandidaten. Diese lesen vor, was ihnen die Spin Doctors der Bewerber in den Block diktiert haben.

Und das hört sich endgültig an, wie ein Interview mit einem Fußballprofi nach dem Schlusspfiff: "Wir haben eine gute Figur gemacht. Wir sind zuversichtlich. Solange das Spiel läuft, ist alles möglich".

Hatte nicht Hillary Clinton ihre Kandidatur mit dem Sportlersatz schlechthin begonnen? "I am in it to win it!" Die eingebetteten Korrespondenten verhalten sich ähnlich wie die "embedded reporters" während der Invasion in den Irak.

Sie sehen nur auf die Bewegungen ihrer Kompanie. Was um sie herum passiert, den großen Kontext, sehen sie nicht. Er wird dem TV-Zuschauer vorenthalten.

"Sollen wir nach Hause gehen?"

Am Ende eines Tages sind allerdings auch die Taktik-Experten der Networks häufig ratlos - wie ein schöner Wortwechsel zwischen Chris Matthews und der NBC-Legende Tom Brokaw, 67, belegt.

Brokaw: "Wissen Sie, was wir jetzt machen müssen?"

Matthews: "Ja, Sir?"

Brokaw: "Wir müssen warten, bis der Wähler seine Entscheidung trifft."

Matthews: "Aber was sollen wir in der Zwischenzeit tun? Nach Hause gehen?"

Vielleicht haben die Menschen in diesem Augenblick sogar auf einen Moment der Stille gehofft. Aber Chris Matthews und seine Kollegen halten natürlich weiter die Stellung vor den Kameras, kneifen die Augen zusammen, halten das führende Pferd fest im Blick. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

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