Berichte von Neonazi-Aussteigern:Dumpfe Kameradschaften und beunruhigende Kreativität

Studie über rechtsextreme Einstellungen in Sachsen-Anhalt vor

"Das sind nicht alles Dummies und Brutalos": So reden Neonazi-Aussteiger, die sich mit den neuen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus auskennen.

(Foto: dpa)

Springerstiefel und Bomberjacken sind lange passé: Neonazis sind heute rhetorisch geschult und im Internet aktiv. Gewaltbereite Rechte werden vorgeschickt, doch wer das Sagen hat, bleibt im Hintergrund. Aussteiger berichten von den Strukturen der rechten Szene, fernab von NPD und Kameradschaften.

Von Jan Bielicki und Thomas Trappe

Der NPD-Chef gewährte Audienz, und die rechtsradikalen Kameraden aus Dresden durften dazu in Holger Apfels Privathaus im sächsischen Riesa kommen. Was Robert dort sah, gefiel ihm ganz und gar nicht. Wie "eine Bonzenvilla" kam ihm das Haus vor, in dem Apfel mit seiner Familie wohnt, und "einen dicken Mercedes" will er davor bemerkt haben. Tatsächlich hatte die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, der Apfel vorsteht, damals zwei Limousinen der Stuttgarter Marke als Dienstwagen geleast. Das aber passte zu dem Bild, das sich der junge Extremist von den Repräsentanten der wichtigsten rechtsradikalen Partei im Lande gemacht hatte. Als "arrogant" und "intrigant" empfand er den damaligen Bundesvize und heutigen Vorsitzenden. Die Verachtung, mit der Robert und seine rechten Kameraden auf die NPD und ihren Chef blicken, verdichtet sich in einem Satz: "Der Apfel lebt den NS nicht."

Der NS - so heißt der Nationalsozialismus im Jargon der jungen Ultraradikalen. Und Robert hat ihn bewundert, verehrt, gelebt, diesen NS. "16 Jahre lang", sagt der heute 25-Jährige. Seit er ein Kind war also, und noch bis vor wenigen Wochen. In der Adventszeit ist er ausgestiegen. Oder vielmehr: Seit damals steckt er in dem mühseligen Prozess des Ausstiegs aus einer Szene, die sein ganzes Leben bestimmte. "Der NS ist so etwas wie eine Droge", sagt er, "ich bin auf Entzug."

Einblicke in das Neonazi-Milieu jenseits der NPD

Darum redet Robert, der natürlich ganz anders heißt, sogar mit Leuten, denen er - jedenfalls noch bei einem ersten Treffen zwei Wochen nach seinem Ausstiegsentschluss - als "Systemjournalisten" misstraut. Doch er scheint das Gespräch gerade darum zu suchen, um sich den Weg zurück zu verbauen. Deshalb gibt er jenen, die den Rechtsradikalen als Feinde gelten, Einblick in das Innenleben einer Szene, die sich sonst gerne abschottet - in das Milieu der neuen Neonazis jenseits der schrumpfenden NPD.

Diese Szene hat nach den Eindrücken der staatlichen Verfassungsschützer in den vergangenen Jahren zusehends mehr Anhänger und Einfluss am rechten Rand gewonnen. So zählte das Bundesamt für Verfassungsschutz 2009 noch 5000 Neonazis in der Republik, zwei Jahre später waren es schon 6000.

Robert war einer von ihnen. Er war fast immer dabei, wenn sich die führenden Kameraden aus der Dresdner Umgebung monatlich in ihrem Club "Baubude" im Stadtteil Reick zum Stammtisch trafen. Er kam zu den regelmäßigen Vorträgen und Seminaren, zwei Mal im Monat reiste er zu Aufmärschen und Kundgebungen in ganz Sachsen und auch mal darüber hinaus. Und in seinem Heimatort nahe Dresden machte er regelmäßig bei den Aktionen der Kameraden mit. "Tags haben wir Flugblätter verteilt, nachts ging es zum Sprühen" - nämlich von Nazi-Parolen an Hauswände. "Es gab keine Woche", sagt er heute, "in der man nicht mindestens zwei, drei Tage mit dem NS beschäftigt war."

Wer das Sagen hat, bleibt im Hintergrund

Nur an Gewalt - "gegen Zecken, gegen Türken, gegen Juden", wie er sie nennt - will er sich nie beteiligt haben. "Keine Straftat, nicht einmal eine Anzeige" habe er auf seinem Konto, sagt er und nippt an seinem Mineralwasser. Selten trinke er Alkohol, "mal ein Bier", aber "betrunken war ich eigentlich noch nie". Dem Klischeebild von Kameradschaften, das in der Außenwelt immer noch besteht, wollen die neuen Neonazis nicht mehr entsprechen. Glatzen, Springerstiefel, Bomberjacken - die Zeiten, in denen sich Nazis schon an ihrem Äußeren erkennen ließen, sind längst passé. Robert trägt einen Kapuzenpulli, mit dem er auch unter Linksautonomen nicht auffallen würde. Von martialischem Auftreten hat er nie etwas gehalten: "Da hatten Kinder und Mütter Angst vor uns, das Ziel bringt so etwas nicht voran" - das Ziel NS, versteht sich.

Natürlich gibt es sie noch, die "Doof-Kameradschaften", wie Robert sie nennt. Die Gruppen, die sich in tristen Garagensiedlungen zu ohrenbetäubender Nazi-Musik mit Bier und Schnaps zulaufen lassen und am Wochenende im Stadion Hooligan spielen. "Es gibt viele Idioten in der Szene", sagt er. "Laufburschen" nennt er solche Typen. Oder auch: "Kanonenfutter". Die wurden dann vorgeschickt, "wenn die Zecken kamen", wie in der Szene alle heißen, die dem rechten Mob entgegentreten. Doch die Leute, die bei den neuen Nazis das Sagen haben, bleiben im Hintergrund.

"Das sind nicht alles Dummies und Brutalos"

"Das sind nicht alles Dummies und Brutalos", sagt Robert, "die sind straff organisiert." Allerdings längst nicht mehr in festen, überschaubaren und dadurch kontrollierbaren Strukturen wie Parteien, Vereinen oder Kameradschaften. Neue Nazis bilden Netzwerke im Internet und unterhalten so engste Verbindungen mit Kameraden im In- und Ausland. Blitzschnell lassen sich aus dem Netz Aktionen organisieren wie ein Fackelzug von 350 mit weißen Masken verkleideten Neonazis durch das nächtliche Bautzen, kurz darauf schon netzöffentlichkeitswirksam als rasant geschnittener Clip auf YouTube zu sehen: "Die Rechten", sagt Robert, "sind extrem professionell geworden."

Und wenn die Innenbehörden einzelne Gruppen wie die brandenburgischen "Spreelichter" verbieten und ihre Netzseiten sperren, sind die gleichen Leute unter neuem Namen und neuer Adressen kurz darauf wieder online.

Sommerlager, Überlebenstraining, Kampfsport

In den bisweilen beunruhigend kreativen Köpfen der Szene wie "Spreelichter"-Chef Marcel Forstmeier sieht Robert die Ikonen dieser neuen Nazis, die sich als Elite der Bewegung gebärden. Bei den Treffen von Dresdens "Netzwerk Mitte" in der "Baubude", die Robert regelmäßig besuchte, standen nicht Saufen und Rüpeln, sondern vor allem Schulungen - von Rhetorik bis zum Umgang mit Behörden - auf dem Programm. So genannte Lesezirkel betrieben die Exegese nationalsozialistischer und revisionistischer Literatur. "Asoziale", sagt Robert, "haben da keinen Platz."

Auch er selbst ist über das Lesen "zum NS gekommen". Die Eltern arbeiteten in Schichtarbeit und merkten nicht, dass der Sohn in der dritten Klasse große Schwierigkeiten hatte. Der große Bruder eines Sandkastenfreundes aber wurde aufmerksam: "Er hat mir Lesen und Schreiben beigebracht" - und zwar anhand von Texten, die Wehrmacht und Nationalsozialismus verherrlichten. Schnell lernte der Bub Runen zu lesen und germanische Mythologie kennen. So zogen die Führer der Kameradschaft in seinem Heimatort den Teenager immer tiefer in die Szene. Wandern, Sommerlager, Überlebenstraining, Kampfsport, mal auch eine Schießübung mit alten Karabinern, vor allem aber immer wieder Schulungen - so wurden und werden junge Leute in die Ideologie eingesponnen.

"Die Gebildeten brauchen wir, damit der Laden läuft"

Mit denselben Methoden hat Robert später seinerseits Jüngere geworben. Da er für Szeneverhältnisse gut reden kann, war er mit einer Sonderaufgabe betraut: potenzielle Führungskräfte zu finden. Akquise an Gymnasien hieß das: "Die Gebildeten brauchen wir, damit der Laden läuft."

Einer, den er rekrutiert hat, ist Martin. Er ist 17 Jahre alt, trägt modischen Cord und akkuraten Haarschnitt. Er besucht das Wirtschaftsgymnasium und schloss vor zwei Jahren die Regelschule als Klassenbester mit Note 1,6 ab. Martin, der natürlich auch anders heißt, will Jura studieren. Er wohnt im Nachbardorf von Robert. Vor etwa zwei Jahren lernten sich die beiden kennen. Martin interessierte sich damals besonders für Geschichte und hatte eine Vorliebe für den Nationalsozialismus. Im Laufe der Zeit verinnerlichte er die NS-Propaganda, jetzt hat er sich zusammen mit Robert für den Ausstieg entschieden.

Der Antisemitismus sitzt tief

Vom Ausländerhass sei er weg, erzählt er, einer seiner besten Freunde ist Araber. Döner esse er, und auch bei McDonalds, beides für die rechten Ultras ein Tabu. Doch die Ideologie sitzt tief. "Ich weiß, dass es falsch ist. Aber dieser Antisemitismus ist noch drin", sagt Martin, und im nächsten Moment spricht er von der "roten Blutspur des Zionismus" und dem "Trieb der Juden, Kriege anzuzetteln", wenn er erklären will, was ihn nach rechtsaußen getrieben hat. Dann hält er inne. "Wir haben eine Klippe übersprungen, aber einen NS-Rucksack tragen wir immer noch mit uns rum." Martins Schwester hatte Hilfe gesucht. Und der Ausstiegshelfer Michael Ankele schaffte es, mit dem Jungen ins Gespräch zu kommen. "Er ist sehr intelligent und wäre für die Szene Gold wert", sagt Ankele.

Mit der NPD haben die Extremradikalen längst gebrochen. Die Partei ist ihnen zu lasch, von Ausnahmen abgesehen: NPD-Vize Udo Pastörs genießt noch Ansehen, weil er in Mecklenburg-Vorpommern offen antisemitische Hetzreden hält. Angewiesen auf die NPD sind die Freien Kameradschaften und Autonomen Nationalisten nicht mehr. Der betriebene Handel mit Neonazi-Musik spült reichlich Geld in die Kassen der Bewegung. Manchmal, so erzählt Robert, veranstalten Neonazis sogar Techno-Partys ganz ohne rechte Musik.

"Wenn die Revolution kommt"

Bleibt die Frage nach dem Verhältnis der neuen Nazis zur Gewalt. Die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" seien unter ihnen "nie ein Thema gewesen", behauptet Robert. Sie seien allenfalls verschwörungstheoretisch als vom Verfassungsschutz gesteuertes Phänomen gedeutet worden. Die neue Generation, so der Aussteiger, halte Terror für kontraproduktiv - allerdings nur für den Moment: "Wenn die Revolution kommt, wird es viele geben, die bereit sind, Leute umzubringen, Linke, Ausländer, Schwule."

Er selbst, sagt Robert, habe nie eine Waffe besessen, und die 16.000 Titel an rechtsradikaler Musik, die er gesammelt hat, will er gerade nach und nach "abfackeln". Zum Ausstieg gebracht haben ihn seine Zweifel und Depressionen, die in der NS-Welt, in der nur Stärke zählt, als Zeichen nicht zu duldender Schwäche gelten. Und eine 16-jährige Freundin, die ihn "ohne jeden Vorwurf" gefragt habe, was ihm sein Leben im NS gebracht habe: "Eigentlich", so seine Antwort, "nur Hass und Wut."

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