Die Meldung klingt etwas sperrig, ist aber für Bundeswehr-Verhältnisse in geradezu bestechender Klarheit formuliert: "Ein Treffen ist mit dieser Waffen-Munition-Kombination im Einsatz, als auch im Ausbildungsbetrieb auf mittlere Entfernung (innerhalb der Kampfentfernung des G36) nicht möglich."
So steht es in der Meldung der 1. Panzerdivision, verfasst im Frühjahr, unterzeichnet von Oberstleutnant B. Und damit beginnt eine Geschichte, die tiefe Einblicke in das Innenleben der Bundeswehr und vor allem des zugehörigen Apparats erlaubt, des Verteidigungsministeriums und der Wehrverwaltung.
Der Süddeutschen Zeitung liegen dazu zahlreiche Dokumente vor, sie ergeben kein erfreuliches Bild, vor allem für die Spitze dieses Apparats nicht. Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) will ja Schluss machen mit den Mauscheleien im Rüstungswesen. Transparenz, so lautet ihre Losung.
Doch die Geschichte, die mit der Meldung von Oberstleutnant B. beginnt, zeigt vor allem: Auch unter von der Leyen läuft manches in ihrem Haus noch so, wie es immer gelaufen ist. Strukturen und Personen sind ja weitestgehend dieselben. So wie der Geist im Ministerium derselbe ist.
Anfang des Jahres sollte plötzlich alles an der Munition liegen
Es geht um das Gewehr G36. Seit 1996 ist es das Standardgewehr der Bundeswehr, also sozusagen die zentrale Waffe der Truppe. Die Soldaten müssen sich im Einsatz auf sie verlassen können wie auf kaum eine andere, doch schon seit Längerem gibt es Berichte über Probleme. Im Kern geht es um mangelnde Treffsicherheit, sobald das Gewehr heiß geschossen oder, wie etwa in Afghanistan, starker Hitze ausgesetzt sei.
Es gab zahlreiche Tests, Gutachten und Gegengutachten - bis Anfang des Jahres eine überraschende Ursache präsentiert wurde. Da hieß es in einem Bericht des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik: "Für das kritisierte Treff- und Warmverhalten des Gewehrs G36 im heiß geschossenen Zustand ist eindeutig nicht die Waffe, sondern die untersuchte Munition eines Herstellers ursächlich."
Gemeint war die Munition der Firma Metallwerk Elisenhütte. Unproblematisch dagegen sei die Munition des Herstellers Ruag. Alles geklärt also? Vorbei der Spuk? So sah es aus, und in diesem Glauben veranstaltete Oberstleutnant B. von der 1. Panzerdivision Ende März eine Weiterbildung für Schießlehrer beim Logistikbataillon 142.
"Grundsätzlich erwartete ich KEINE Treffpunktverlagerung / signifikante Streukreisaufweitung, da wir ausschließlich Munition des Herstellers DAG (RUAG) verwendeten", so schrieb er später in seine Meldung. Doch zu diesen Effekten kam es nun bei zwei der verwendeten Gewehre auch mit der vermeintlich unproblematischen Munition, nachdem die Waffen warm geschossen waren - wobei es sich offenbar um sogenannte Weichkernmunition handelte und nicht die für den Einsatz vorgesehene Doppelkernmunition.
B. ließ die Ergebnisse erneut überprüfen - und wählte dafür zwei Schützen aus, die "besonders gute Trefferbilder beim Anschießen" erzielt hatten. Das Ergebnis: "signifikante Treffpunktverlagerungen und Streukreisaufweitungen". Oberstleutnant B. schrieb die Meldung, mit der alles begann.
Daraufhin wurde die Wehrtechnische Dienststelle für Waffen und Munition aktiv, kurz WTD 91. Sie sitzt in Meppen und ist mittelbar der Rüstungsabteilung des Verteidigungsministeriums unterstellt - genauer: der Abteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung. Die WTD 91 untersuchte im Mai die beiden Gewehre, bei denen es Auffälligkeiten gegeben hatte.
Ihr Ergebnis, nachzulesen im Bericht vom 9. Juli: "Die Meldung zur deutlichen Streukreisaufweitung bei heiß geschossener Waffe der 1. PzDiv konnte nicht nachvollzogen werden." Bei der Verlagerung des Mittleren Treffpunkts hingegen hätten sich die Befunde teilweise bestätigt.
Doch warum verging zwischen den Untersuchungen im Mai und der Unterzeichnung des Berichts im Juli eigentlich so viel Zeit? Was geschah dazwischen? Darüber gibt ein Mailwechsel unter anderem zwischen der WTD und der Rüstungsabteilung des Ministeriums Aufschluss.
Ging es nur um Sprachliches - oder um den Inhalt?
Dort war man in der Unterabteilung V unzufrieden mit dem ersten Entwurf des WTD-Berichts. Am 18. Juni bat daher der zuständige Projektkoordinator, Ministerialrat M., die WTD "um kurzfristige Überarbeitung und Wiedervorlage" bis zum 23. Juni. Unter anderem monierte er, der Bericht sei "technisch sehr detailliert und für einen externen Leser schwer verständlich".
Für externe Leser eines internen, als Verschlusssache eingestuften Dokuments? Was steckte wirklich dahinter? Ging es tatsächlich nur um Sprachliches - oder passte dem Ministerialrat der Inhalt nicht?
Darauf deutet manches hin. Mit dem zweiten Entwurf war er nämlich wieder nicht zufrieden: "Die vorgenommenen Anpassungen entsprechen nicht den Feststellungen und der Überarbeitungsbitte", schrieb er am 25. Juni. Diesmal waren "entsprechende Formulierungsvorschläge unmittelbar in den Text aufgenommen". In Kopie setzte er unter anderem den stellvertretenden Leiter der Rüstungsabteilung.
Nun stand der Verfasser des Berichts, der Technische Oberregierungsrat K., unter Druck. Denn die Änderungsvorschläge hatten es in sich. Doch K., ganz aufrechter Beamter, lehnte all jene Korrekturen ab, bei denen es sich seiner Auffassung nach um "Änderungen von Kernaussagen bzw. sinnentstellende Änderungen" handelte. Und davon gab es einige. Unter anderem hatte man folgenden Satz in den Bericht eingefügt: "Das System Waffe und Munition zeigt hinsichtlich des Treffverhaltens keine besonderen Auffälligkeiten."
Eine rein sprachliche Änderung? Das sah K. anders und löschte den Satz - schließlich, so schrieb er zur Begründung, sei es bei den Tests in der WTD tatsächlich in einigen Fällen zu einer "Verlagerung des Mittleren Treffpunkts" gekommen, kurz MTP. Es gebe "Auffälligkeiten im Treffverhalten", schrieb K. - der im Ministerium eingefügte Satz hingegen "würde das Gegenteil suggerieren und kann daher so nicht übernommen werden".
Doch in der Rüstungsabteilung hatte man noch weitere Änderungswünsche. So hatte man dort den Satz eingefügt, dass bestimmte Effekte "auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten" beruhten und "nicht nur G36 spezifisch" seien. Auch diese Formulierung lehnte K. ab, ebenso wie die folgenden Sätze: "Bei einer Erwärmung der Waffe kommt es in wenigen Fällen zu einer unwesentlichen Verlagerung des MTP. Diese liegt bei schussinduzierter Erwärmung zumeist innerhalb des Toleranzbereiches."
Ging es hier wirklich darum, den Bericht besser verständlich zu machen? Oder war es nicht doch so, dass man in der Rüstungsabteilung angesichts immer wieder erscheinender Medienberichte und regelmäßiger Empörung der Opposition nur ja nicht die Zweifel am G36 nähren wollte?
Die Frage ist zentral, schließlich geht es hier nicht um den Streit, ob das G36 ein tadelloses Gewehr ist. Sondern darum, ob das Ministerium in der Sache glaubwürdig ist. Bereits Ende Mai, also lange vor der Unterzeichnung des Berichts, informierte das Ministerium den Verteidigungsausschuss mit einer klaren Tendenz über die WTD-Untersuchungen: "Nach erster Auswertung der Rohdaten können die gemeldeten Schießergebnisse nicht als Auffälligkeiten am Gewehr G36 gewertet werden", heißt es in einem schriftlichen Bericht, den der Parlamentarische Staatssekretär Markus Grübel (CDU) an den Ausschuss schickte.
Das Ministerium will sich auf Anfrage nicht äußern: "Interne Vorgänge oder Papiere, die als Verschlusssache eingestuft sind" könne man nicht kommentieren. Derzeit gebe es "weitere Untersuchungen" zum G36 - abgestimmt mit dem Bundesrechnungshof, der das Ministerium im Juni für seinen Umgang mit den Problemen kritisiert hatte. Im Frühjahr wolle man einen gemeinsamen Bericht vorlegen.
Die Grünen argwöhnen, dass Mängel "systematisch kleingeredet wurden"
Deutlicher wird bereits jetzt die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. "Sollte sich dieser Vorgang so bestätigen, wäre das ungeheuerlich", sagt sie: "Wenn das Ministerium derart in die Arbeit der Experten eingegriffen hat, bestätigt sich mein Verdacht, dass die Berichte zum G36 massiv beeinflusst werden sollten.
Daher ist es auch kein Wunder, dass sich das Ministerium nur widerwillig auf eine umfassende Überprüfung durch den Bundesrechnungshof eingelassen hat." Ministerin von der Leyen habe stets Transparenz versprochen - "doch einmal mehr wird deutlich, dass sich trotz der großspurigen Ankündigungen nichts geändert hat".
Brugger fordert "Aufklärung, ob die Berichte geschönt und Mängel systematisch kleingeredet wurden" - vor allem darüber, ob die Spitze des Hauses von dem Vorgang wusste: "Ich will wissen, wer noch eingebunden war und welche Konsequenzen daraus gezogen wurden." Die Soldaten verlören "nicht nur das Vertrauen in ihr Material, sondern vor allem in die politische und militärische Führung, wenn sie solche Vertuschungsmanöver in ihrem eigenen Ministerium befürchten müssen".
Und selbst wenn es nur um sprachliche Änderungen gegangen wäre: In der betreffenden Zentralen Dienstvorschrift heißt es eindeutig, dass die Berichte des nachgeordneten Bereichs "unverändert Eingang in die ministerielle Arbeit" zu finden haben. Immerhin setzte sich der aufrechte Beamte K. am Ende weitgehend durch.
Die härtesten Änderungsvorschläge wurden gelöscht, der WTD-Bericht fällt ausgewogen aus - ein Teil der Befunde der 1. Panzerdivision hat sich demnach bestätigt, ein Teil nicht. Am 10. Juli nahm die übergeordnete Behörde in der Sache Stellung: Waffe und Munition entsprächen "uneingeschränkt den derzeit gültigen Forderungen".
Und der stellvertretende Leiter der Rüstungsabteilung? Der baut gerade Urlaub ab und geht dann in den Ruhestand. Eine Konsequenz aus der versuchten Einflussnahme? Nein, versichert man im Ministerium. Das sei ohnehin geplant gewesen. Mit dem G36 habe das rein gar nichts zu tun.