Süddeutsche Zeitung

Bericht zur Kundus-Affäre:Grüne nennen Luftschlag völkerrechtswidrig

Verstöße gegen das Völkerrecht, absichtliche Fehleinschätzungen, falsch verstandene Loyalität: In der Kundus-Affäre legen SPD und Grüne nun ihre eigenen Bewertungen vor - und haben sowohl gegen Kanzlerin Merkel, den früheren Verteidigungsminister Guttenberg und dessen Vorgänger Jung schwere Vorwürfe.

Bei der Bombardierung von zwei Tanklastern in der Nähe des afghanischen Kundus Anfang September 2009 und bei der Aufklärung des Vorfalls hat es nach Ansicht der Opposition eine lange Liste von Fehlern gegeben. Verantwortlich dafür seien die militärisch und politisch Verantwortlichen, erklärten Vertreter von SPD und Grünen am Donnerstag bei der Vorlage ihrer getrennten Sondervoten zu dem Ausschuss in Berlin.

Bereits am Mittwoch war bekannt geworden, dass die SPD den Angriff in ihrer Bilanz der Ausschussarbeit als "schweren militärischen Fehler" einstuft.

Jetzt legte der Grünen-Obmann Omid Nouripour nach und erklärte in Berlin, der zuständige Bundeswehr-Oberst Georg Klein habe gegen Einsatzregeln der Nato und gegen Vorschriften des Völkerrechts verstoßen. Allerdings habe der Offizier Entscheidungen auf der Grundlage von Falschinformationen getroffen, die möglicherweise aus der afghanischen Administration gekommen seien. Bei dem Luftschlag waren nach Erkenntnissen der Bundeswehr 91 Menschen getötet und 11 verletzt worden.

Union und FDP hatten bereits vor der Sommerpause ihre Bewertung vorgelegt. Darin wurden Guttenberg und Klein entlastet. In ihrem Bericht werfen die Grünen dem Ex-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan sowie dem ehemaligen Verteidigungs- Staatssekretär Peter Wichert jetzt vor, Informationen über den Ablauf der Bombardierung nicht an den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) weitergegeben zu haben. Dies sei offenbar aus "falsch verstandenem Gefühl" mit Oberst Klein geschehen, sagte Nouripour. Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte Schneiderhan und Wichert deswegen entlassen.

Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold nannte es allerdings "Unsinn", den beiden die Schuld in die Schuhe zu schieben. Vielmehr habe die "desaströse Öffentlichkeitsarbeit" Jungs zu den Fehleinschätzungen geführt. Jung habe die damaligen Vorgänge "aus falsch verstandener Loyalität heraus eher vernebelt als aufgeklärt".

Nach Ansicht der SPD war Guttenbergs Behauptung nur vorgeschoben, ihm seien wesentliche Dokumente vorenthalten worden. Guttenberg habe erst eine "grobe persönliche Fehleinschätzung" des Angriffs geäußert, "um sich bei den Soldaten beliebt zu machen", sagte Arnold. Später habe er versucht, diesen Fehler auf Schneiderhan und Wichert abzuwälzen. Arnold warf Union und FDP vor, sie hätten sich im Ausschuss "einer sachgerechten Aufklärung verweigert".

Beide Oppositionspolitiker hielten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "gravierende Bewertungsfehler" vor. Sie habe ihr Versprechen einer lückenlosen Aufklärung vor dem Bundestag nicht eingehalten. Nach Ansicht der Grünen hat auch der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seine Verpflichtungen "nur ungenügend" wahrgenommen und sich bei der Aufklärung zu passiv verhalten.

Linke: Bombenangriff völkerrechtswidrig

Die Linke im Bundestag sieht sich in ihrer Grundsatzkritik am Luftschlag bestätigt. Knapp zwei Jahre danach bestreite heute niemand mehr die zahlreichen zivilen Opfer des von einem deutschen Oberst befohlenen Bombenangriffes in Nordafghanistan, sagte der Verteidigungsexperte der Linksfraktion, Paul Schäfer.

Bei der Aufklärung im Untersuchungsausschuss sei auch klar geworden, dass Oberst Georg Klein seine Kompetenzen "weit überschritten" habe und der Bombenangriff völkerrechtswidrig gewesen sei. Zudem hätte sich die damalige schwarz-rote Bundesregierung aus Sorge um ihr Abschneiden bei der Bundestagswahl sowie um die Moral der kämpfenden Truppe "in Manipulation, Vertuschung und Grauzonenlaviererei geflüchtet", fügte Schäfer hinzu. Er beklagte, dass Union und FDP im Ausschuss "diese Fakten aus dem allgemeinen Ausschussbericht hinausgestimmt" hätten.

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