Bericht zu Menschenrechten:Human Rights Watch sieht USA als Wegbereiter für Internet-Zensur

Friedensnobelpreisträger als Negativ-Beispiel: Nach Ansicht von Human Rights Watch können die Überwachungsprogramme der USA autoritären Staaten als Vorwand für Zensur dienen. Die von US-Präsident Obama versprochenen Reformen würden sogar vom eigentlichen Skandal ablenken.

Die USA haben nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mit ihren weltumspannenden Überwachungsprogrammen ein negatives Exempel statuiert.

Die Missachtung des Rechts auf Privatsphäre durch den Geheimdienst NSA könne autoritären Staaten als Vorwand für Zensur im Internet dienen, heißt es in dem Jahresbericht von HRW. Die USA seien die globalen Anführer, wenn es um das Erfassen von Daten gehe und "andere Nationen und Akteure" dürften entsprechend darauf reagieren.

Eine Reaktion auf die NSA-Aktivitäten sei, dass "viele Länder eine Art nationales Internet entwickeln werden", um die Nutzerdaten in den Landesgrenzen zu halten, sagte HRW-Chef Kenneth Roth. Das mache es den Regierungen leichter, herauszufinden, wer im Internet was geäußert habe - und dies zu zensieren. Roth sagte anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts, besonders Länder wie China, Russland und Indien nähmen sich ein Beispiel am "Trendsetter" USA.

Kritik an Geheimdienstreform

Die von US-Präsident Barack Obama angekündigte Geheimdienstreform kritisiert HRW als unzureichend. Der Friedensnobelpreisträger höhle die Privatsphäre aus. "In juristischer Hinsicht hat Obamas Rede nichts an der bisherigen Abhörpraxis geändert", erklärte Roth. Spätestens jetzt sei klar, dass die USA das Recht jedes Einzelnen auf Privatsphäre weiterhin verletzten. Dabei gebe es keine Beweise für die Behauptung, dass die USA mit ihren Spähprogrammen auch nur einen Anschlag verhindert hätten.

Die Ankündigung, enge Verbündete nicht mehr abzuhören, lenke dabei vom eigentlichen Skandal ab. "Ich freue mich zwar sehr für Kanzlerin Angela Merkel, dass ihr Mobiltelefon nicht mehr überwacht werden soll. Aber darum geht es nicht", sagte Roth. Spionage unter Regierungen habe es schließlich schon immer gegeben. Das Problem sei die Missachtung der Privatsphäre der ganz normalen Leute. Und da habe Obama "lediglich vage Versprechen" gegeben. So sollten Daten nur ausgespäht werden, wenn die nationale Sicherheit gefährdet sei. "Und das ist eine ziemlich schwammige und breite Definition", kritisierte er.

"Stellen Sie sich vor, die Regierung stellt in jedem Schlafzimmer eine Videokamera auf, speichert die Aufnahmen und behauptet dann, die Privatsphäre werde nicht verletzt, weil das Material nur bei Verdacht angeschaut werde", sagte Roth. "Das ist der Ansatz der US-Regierung und das hat absolut keinen Sinn." Jeder Mensch habe das Recht, dass seine Privatsphäre geachtet werde. Die USA müssten daher die Massenspeicherung von Telefon- und Internetdaten sofort stoppen.

Obama hatte in der vergangenen Woche Verständnis für die Welle der Empörung in Deutschland und vielen anderen Ländern über die enthüllten Ausspähprogramme gezeigt. Im Kern hielt der US-Präsident aber an dem Grundsatz fest, dass die Geheimdienste im Kampf gegen Extremisten von ihren umfassenden Möglichkeiten zur digitalen Überwachung weiterhin Gebrauch machen sollen.

"Der globale Angriff der NSA auf die Meinungsfreiheit"

Human Rights Watch weist immer wieder darauf hin, dass die Ausspähaktivitäten vor allem durch die NSA die Meinungsfreiheit weltweit bedrohen. So schrieb Roth vor einigen Wochen in dem US-Magazin The New York Review of Books unter der Überschrift "The NSA's Global Threat to Free Speech" ("Der globale Angriff der NSA auf die Meinungsfreiheit"), welche "besorgniserregenden Konsequenzen" aus seiner Sicht die "umfangreiche Missachtung der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation" für die freie Meinungsäußerung haben.

Syrien, Zentralafrika, Russland EU: Weitere Details aus dem Bericht

In dem jetzt veröffentlichten, fast 700 Seiten starken Bericht äußert sich Human Rigths Watch zur Lage der Menschenrechte in mehr als 90 Ländern, die wichtigsten Punkte im Überblick:

  • Syrien: Die Autoren des Textes beklagen das Versagen der internationalen Gemeinschaft in dem Konflikt. Der Druck, den Staaten wie etwa die USA bisher auf Machthaber Baschar al-Assad ausgeübt hätten, sei zu gering. "Dies ist ein Krieg gegen die Bevölkerung. Es ist Eile geboten, nicht Selbstzufriedenheit."
  • Zentralafrika: Ausdrücklich lobende Erwähnung findet, dass sich die internationale Gemeinschaft angesichts des schwelenden Konflikts zu schnellem Handeln durchgerungen habe. Frankreich schickte Soldaten nach Zentralafrika. Zudem beschloss die EU hat einen Tag vor Erscheinen des Berichts eine Militärmission. "Doch es muss noch viel mehr getan werden, um das Land vor dem Abgrund zu bewahren", heißt es abschließend zur Lage in Zentralafrika.
  • Russland: Neben der Diskriminierung von Homosexuellen und Nichregierungsorganisationen kritisiert Human Rights Watch die Verfolgung von Journalisten und Organisationen, die sich negativ über die Olympischen Winterspiele in Sotschi äußern. Die menschenrechtliche Situation sei vor Ort durchaus schwierig - vor allem unter den Gastarbeitern. "Einige berichten, noch immer keinen Vertrag zu haben", heißt es. Die Polizei habe sogar einen Arbeiter festgenommen nachdem er sich beschwert hatte.
  • Europäische Union: Der Bericht kritisiert vor allem die EU-Asylpolitik. Die Europäische Union unternehme mehr, um Boote mit Flüchtlingen im Mittelmeer zu stoppen, als die Menschen auf diesen Booten zu retten, sagte HRW-Chef Kenneth Roth. "Wir fordern Europa auf, diese Prioritäten ins Gegenteil umzukehren."
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