Heulende Sirenen, klingende Glocken, tanzende Menschen, ein Land im nationalen Rausch - und mittendrin Chiles Präsident Sebastián Piñera mit der Landesfahne in der Hand. Alles, aber auch alles hat der Präsident richtig gemacht: Er hat sich früh am Ort des Unglücks in der Atacama-Wüste gezeigt. Er hat dafür gesorgt, dass er selbst im August der besorgten Nation mitteilen konnte, die Kumpel in 600 Meter Tiefe seien wohlauf; die Nachricht war stundenlang zurückgehalten worden, damit der Präsident persönlich sie verkünden konnte. Und mit jedem Geretteten, den Piñera umarmt, steigt auch seine eigene Popularität.
Chile: Minenarbeiter gerettet:Landung auf der Erde
Alle 33 zurück im Leben: Die ganze Welt nimmt Anteil an der Rettung der chilenischen Bergleute. Als der letzte Kumpel aus der Rettungskapsel steigt, brechen die Menschen vielerorts in Chile in Tränen aus.
Was zählt es da noch, dass Chiles Regierung von der Bergbau-Gewerkschaft seit Jahren mit den unhaltbaren Zuständen in der Kupfermine San José konfrontiert wurde? Arbeits- und Sicherheitsbedingungen seien skandalös, heißt es. Die Warnungen verhallten ungehört, bis heute hat Chile die internationale Konvention über Sicherheit und Gesundheit im Bergbau nicht ratifiziert. Das nächste Unglück sei programmiert, sagen die Gewerkschaften.
Ein Auftritt zur rechten Zeit am rechten Ort kann die Karriere und den Nachruhm beeinflussen; Gerhard Schröder etwa verdankte seine Wiederwahl 2002 auch der Tatsache, dass er während des Oderhochwassers in Gummistiefeln den obersten Katastrophenschützer des Landes markierte.
Umgekehrt kann es einen Politiker kurzfristig Popularität und langfristig das Amt kosten, wenn er persönlich falsch oder gar nicht reagiert. George W. Bush hat das schmerzlich erfahren müssen, als er nach dem Wirbelsturm Katrina nur kurz in luftiger Höhe über New Orleans kreiste und sich dann schnell wieder davonmachte. Nicht der Präsident - und nicht der Staat, dem er vorstand - vermochten damals den Amerikanern das Gefühl zu geben, dass sie beschützt und versorgt werden.
Dieser unverzeihliche Ausweis von Überheblichkeit und Überforderung hing Bush bis zuletzt nach. Denn mag sie auch letztlich nur ein symbolischer Akt sein, so zählt die Präsenz der Mächtigen bei den Opfern eines Unglücks doch viel. Sie beweist, dass sich die Regierenden zu den Menschen herablassen.
Während der Flut in Pakistan, als jede noch so gut organisierte Hilfe nicht genug war, hätte ein mitfühlender und engagierter Präsident gleichwohl die nationale Einheit und die innere Befriedung des Landes befördern können. Asif Zardari aber dinierte in London.
Chile: Rettung der Bergarbeiter:Stars unter und über Tage
69 Tage waren die 33 Minenarbeiter in Chile in über 600 Metern Tiefe verschüttet. Unter Tage sind manche Kumpel zu kleinen Berühmtheiten geworden: Die Helden von San José in Bildern
Werden Katastrophen professionell und zugleich menschlich gehandhabt, können sie viel zur nationalen Mythenbildung beitragen. Die Rettungsaktion von San José wird als Wunder von Chile in die Geschichte eingehen.
Allerdings bergen erfolgreiche Inszenierungen die Gefahr, dass das Wesentliche zu kurz kommt: die Suche nach den Ursachen - und ihre Behebung. Werden in den kommenden Monaten in Chile erneut Minenarbeiter verschüttet und hat die Regierung bis dahin die Sicherheitsauflagen nicht verschärft, dürfte die Freude der Chilenen in Wut umschlagen.
Gelungene Inszenierungen sind nicht nur ein Lebenselixier von Demokratien, sondern umso mehr von autoritär regierten Staaten. Ein Politiker wie Wladimir Putin weiß, dass mit dem positiven Image der Aufwand für den Machterhalt sinkt. Als das U-Boot Kursk 2000 in der Barentssee unterging, weilte Russlands Präsident auf Urlaub in Sotschi. Es war womöglich sein größter Fehler, dass er damals nicht nach Murmansk flog.
Der Vorwurf der Ignoranz verfolgt ihn bis heute - auch deshalb agierte Putin während der Feuersbrunst im Sommer, als könne er jeden Brandherd persönlich löschen. Der Premier gab den Helden und erntete Dankbarkeit. Doch selbst für sein Regime gilt: Die Frage nach der politischen Verantwortung - in diesem Fall für eine überforderte Feuerwehr und ein miserables Waldmanagement - wird immer nur kurzfristig überdeckt.