Bergkarabach:Der Frieden ist brüchig

Bergkarabach: Ein Trümmerfeld: Ein Mann prüft in Bergkarabach die Schäden an der Wohnung des Nachbarn.

Ein Trümmerfeld: Ein Mann prüft in Bergkarabach die Schäden an der Wohnung des Nachbarn.

(Foto: Bulent Kilic/AFP)

Die Waffenruhe in der umkämpften Region hält noch nicht - beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, sie zu brechen.

Von Silke Bigalke, Moskau

Es war der zweite Anlauf für eine Waffenruhe zwischen Armenien und Aserbaidschan, und wieder ist sie nach kurzer Zeit gebrochen worden. Damit wiederholte sich am Wochenende, was die beiden Gegner im Konflikt um die Kaukasusregion Bergkarabach bereits eine Woche zuvor durchgespielt hatten: Am Samstagnachmittag erklärten sie auch auf Druck aus Moskau, sie wollten die Gefechte von Mitternacht an einstellen. Schon am Sonntagmorgen beschuldigten sie sich aber gegenseitig, geschossen zu haben. Längst droht eine humanitäre Katastrophe, weil beide Seite auch zivile Ziele treffen. Die Bergregion, um die es dabei geht, liegt in Aserbaidschan, wird jedoch von Armeniern bewohnt. Ein Waffenstillstand ist dort der Status quo seit 1994, damals gewann Armenien den Krieg um Bergkarabach. Der aserbaidschanische Teil der Bevölkerung wurde vertrieben, nun möchte die aserbaidschanische Führung in Baku die Kontrolle über Bergkarabach und die umliegenden Gebiete zurückerobern.

Seit drei Wochen kämpfen die verfeindeten Nachbarn wieder offen darum, setzten Artillerie, Panzer und Drohnen ein. "Minuten nach Erklärung einer humanitären Waffenruhe", schrieb am Montag das armenische Außenministerium, hätten aserbaidschanische Streitkräfte die Kämpfe schon wieder fortgesetzt. Am Sonntagmorgen hätten sie eine groß angelegte Offensive an der "südlichen Front" begonnen. Das Militär in der Enklave Bergkarabach berichtete ebenfalls von aserbaidschanischen Angriffen. Allein dort seien seit Beginn der Kämpfe mehr als 670 Soldaten gefallen. Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium dagegen beschuldigte die armenische Armee, am Sonntag die Stadt Cebrayil sowie mehrere zuvor von Aserbaidschan unter Kontrolle gebrachte Dörfer beschossen zu haben.

In den vergangenen drei Wochen haben beide Seiten wiederholt auch zivile Ziele getroffen. Die aserbaidschanischen Streitkräfte zielen dabei vor allem auf Stepanakert, die größte Stadt in Bergkarabach. In der Region mussten bereits mehr als die Hälfte der etwa 140 000 Einwohner aus ihren Wohnungen fliehen. Wohnhäuser und Infrastruktur seien zerstört, schrieb Armeniens Premier Nikol Paschinjan am Sonntag auf Twitter, es drohe eine humanitäre Katastrophe. Baku dagegen wirft der armenischen Armee vor, aserbaidschanische Städte anzugreifen. Vor allem die zweitgrößte Stadt Ganja nördlich von Bergkarabach wurde vergangene Woche mehrfach von Raketen getroffen. Allein am Samstag sollen dabei 13 Menschen ums Leben gekommen sein.

Die aserbaidschanische Armee meldet militärische Eroberungen, doch die Gebietsgewinne lassen sich häufig nicht überprüfen. Armenien verteidigt nicht nur Bergkarabach, sondern auch sieben umliegende Bezirke. Sie dienen den Streitkräften als Puffer und sind inzwischen weitgehend unbewohnt. Am Sonntagmorgen twitterte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew eine ganze Liste mit zurückeroberten Dörfern in diesen Gebieten. "Karabach ist Aserbaidschan!", schrieb er.

Bereits vor einer Woche hatten sich die beiden Außenminister von Armenien und Aserbaidschan in Moskau getroffen, um über eine "humanitäre" Waffenruhe zu sprechen. Sie sollte dazu dienen, Verwundete zu versorgen und die Leichen gefallener Soldaten zu bergen. Schon vergangenes Wochenende beschuldigten sich beide Seiten kurz nach Beginn der Gefechtspause, diese gebrochen zu haben. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat seither mehrfach mit den Außenministern beider Länder gesprochen und sie ermahnt, die Waffenruhe einzuhalten. Die Angriffe auf "zivile Infrastruktur und besiedelte Gebiete" nannte Lawrow am Montag "unzumutbar". Das Wichtigste sei jetzt, die "Verschärfung der Konfrontationsrhetorik" zu stoppen, gleichzeitig müssten die Angriffe auf zivile Objekte aufhören.

Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete am Montag, sowohl Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew als auch Armeniens Premier Nikol Paschinjan seien bereit, zu Gesprächen nach Moskau zu kommen. Bisher hatte vor allem Nikol Paschinjan Verhandlungen abgelehnt, solange die Kämpfe anhielten. Russland sieht sich als Vermittler im Konflikt zwischen den beiden früheren Sowjetrepubliken, obwohl Armenien Mitglied in einem von Moskau angeführten Verteidigungsbündnis ist, Aserbaidschan jedoch nicht. Die Türkei dagegen hat sich früh hinter Aserbaidschan gestellt und militärische Unterstützung zugesagt. Es sollen bereits von Ankara angeworbene syrische Söldner auf aserbaidschanischer Seite kämpfen.

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