Bergkarabach:Trügerischer Triumph der Türkei

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Der Rausch des Patriotismus: Ein aserbaidschanischer Junge posiert bei einer Feier in den Straßen von Baku. (Foto: TOFIK BABAYEV/AFP)

Ankara feiert den Sieg Aserbaidschans im Kampf um Bergkarabach. Denn das Abkommen stärkt seinen geopolitischen Einfluss in der Konfliktregion. Doch es ist vor allem Moskau, das an strategischem Gewicht gewonnen hat.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

In Baku kam der türkische Minister in seiner Rede so richtig in Fahrt: "Aserbaidschan hat einen Sieg errungen, der in der Geschichte des Landes mit goldener Schrift vermerkt wird." Und weiter ging es im Text: "Diese Operation kommt einem Erwachen gleich - die Armee Aserbaidschans hat der Welt ihre Kampfkraft vor Augen geführt". Zu Besuch in Baku bei seinem aserbaidschanischen Kollegen Zakir Hasanow fügte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar laut der Nachrichtenagentur Anadolu dann aber auch das hinzu, worauf es ihm eigentlich ankam: Aserbaidschan und die Türkei seien "zwei Staaten und eine Nation". Gemeint war, dass der aserbaidschanische Erfolg im Krieg um Bergkarabach auch ein türkischer Triumph sei.

Das stimmt. Ohne türkische Waffen, türkische Söldner und türkisches Militär-Know-how hätte Baku seinen Blitzkrieg gegen die armenischen Feinde kaum führen können. Die Welt sah zu, wofür die heutige Türkei als Bündnispartner steht: moderne Militärtechnologie, Drohnen, Präzisionswaffen. Und ein entschlossenes, oft skrupelloses Vorgehen bei der Umsetzung der eigenen außenpolitischen Agenda. "Die Türkei hat gezeigt, dass sie bereit ist, Risiken einzugehen", sagte der Leiter des Südkaukasus-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Stefan Meister, der Süddeutschen Zeitung. "Sie fordert sogar Russland heraus."

Nach dem Krieg stehen noch mehr russische Truppen in Armenien

Doch in anderer Hinsicht stimmt die Erfolgsgeschichte nur in Teilen. Der große Nutznießer im geopolitischen Ringen um den Südkaukasus ist nach dem Ende des sechswöchigen Bergkarabach-Kriegs zumindest auf den ersten Blick nicht Ankara, sondern Moskau. Russlands Staatschef Wladimir Putin hat nun das Sagen im gedemütigten Armenien, nach dem Krieg stehen noch mehr russische Truppen im Land. Und er gewinnt politischen Einfluss in der Rohstoffnation Aserbaidschan. Zusätzlich werden dort nach langen Jahren wieder russische Uniformierte eine Rolle spielen: die rund 2000 Soldaten der Friedenstruppe für Bergkarabach.

Kaukasus-Experte Meister sagt: "Am Anfang des Krieges erschien es, dass Russland an Einfluss im Südkaukasus verliert, dass mit der Türkei ein neuer Player auftritt." Moskau habe es aber geschafft, nach längerem Zögern die Dynamik des Geschehens im eigenen Sinne zu nutzen und am Ende handstreichartig seine Vormacht in einer Region zu bestätigen, die traditionell als russischer Hinterhof gilt. "Am Ende", so Meister, "ist Ankara von Moskau wieder weitgehend heraus gedrängt worden."

Aserbaidschan ist als Öl- und Gasnation für die Türkei von höchstem Wert

In der Türkei selbst wird in patriotischen Jubelveranstaltungen die Bilanz des Karabach-Abenteuers gezogen. Regierungsvertreter wie der Verteidigungsminister oder auch der Staatspräsident selbst besingen den Erfolg vollmundig. Auch die Führer von Oppositionsparteien wie der CHP gratulieren dem Volk und der Führung Aserbaidschans zu diesem Sieg. Nachdenklichere Stimmen wie der oppositionelle Gewerkschaftsführer Fevzi Karataş fragen aber, warum am Ende des Kriegs allein Moskau das Sagen habe, warum die russischen Friedenstruppen so lange in den umstrittenen Gebieten bleiben würden. "Die Russen werden mindestens fünf Jahre lang über die Hälfte Karabachs herrschen. Und was passiert, wenn Russland nach fünf Jahren nicht geht?"

Die Frage ist berechtigt. Aber sie ändert nichts daran, dass Ankara geopolitisch an Gewicht gewonnen hat. Denn die Türkei will sich unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Regionalmacht am Mittelmeer, in Nahost, in Nordafrika, am Schwarzen Meer und im Südkaukasus profilieren: politisch, militärisch, wirtschaftlich. Es geht Erdoğan um Regionen, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zum Osmanischen Reich gehörten. Staaten wie Aserbaidschan. Das Land ist den Türken nun zu größtem Dank verpflichtet. Es wird ein noch engerer Bundesgenosse werden. Und es ist als Öl- und Gas-Nation von größtem Wert für Ankara.

Die Unterstützung der "Brudernation" Aserbaidschan im Krieg um Bergkarabach war von Anfang an der Versuch der Türkei, mit Moskau auf Augenhöhe über die Geschicke der Region mitzubestimmen. Die Hoffnung, bei der Überwachung des brüchigen Friedens mitsprechen zu können, wurde von Moskau zwar eine Absage erteilt: Davon sei nie die Rede gewesen, hieß es aus dem Kreml. Nur zu einem eher unwichtigen Monitoring-Zentrum sollen türkische Vertreter Zugang haben.

Baku erhält ein Durchfahrtsrecht für seine Enklave auf armenischem Gebiet

Doch was bisher weniger beachtet wird: Das von Moskau vermittelte Abkommen zwischen Aserbaidschan und Armenien löst nebenbei ein anderes Problem der aserbaidschanischen Seite und nützt zugleich der Türkei: Es geht um die Enklave Nachitschewan. Dieses Territorium gehört zu Aserbaidschan. Es liegt aber wie eine Insel auf armenischem Staatsgebiet, grenzt im Westen an die Türkei. Das Moskauer Abkommen sieht vor, das Baku nun ein Durchfahrtsrecht quer durch Armenien bekommt. Entlang der Straße durch das Land des geschlagenen Erzfeinds werden russische Truppen stationiert, die für die Sicherheit des Transits garantieren.

Mit diesem Korridor würde aber nicht nur das aserbaidschanische Mutterland mit der Enklave Nachitschewan verbunden. Praktisch könnte die Türkei selbst einen direkten Zugang nach Aserbaidschan bekommen. Es entstünde ein "türkischer Korridor", der die Türkei über eine Landbrücke bis ans energiereiche Kaspische Meer bringt. Dies würde Ankaras geopolitische Situation am Ende des sechswöchigen Karabach-Kriegs schlagartig verbessern. Theoretisch. Denn die Kontrolle über die Überlandstraße hat Russland.

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