Berg-Karabach:Der Streit um Berg-Karabach, ein kaukasischer Teufelskreis

Berg-Karabach: Zerstörte Häuser und viele Tote sind die Bilanz der Kämpfe zwischen Armeniern und Aserbaidschanern um die Region Berg-Karabach.

Zerstörte Häuser und viele Tote sind die Bilanz der Kämpfe zwischen Armeniern und Aserbaidschanern um die Region Berg-Karabach.

(Foto: Vahan Stepanyan/AFP)
  • Aserbaidschan und das De-facto-Regime der Republik Berg-Karabach haben nach tagelangen Gefechten eine Waffenruhe vereinbart.
  • Ob diese auch zu einer politischen Lösung führt, ist schwer absehbar, denn das Grundproblem besteht seit mehr als 20 Jahren.
  • Völkerrechtlich gehört Berg-Karabach zu Aserbaidschan, es sieht sich aber mit Armenien verbunden und pocht auf Unabhängigkeit.

Von Frank Nienhuysen

Die Kaliber waren stetig größer geworden, die der Worte und die der Waffen. Nach tagelangen Gefechten drohte der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die von Armeniern bewohnte Enklave Berg-Karabach zu einem heißen Krieg zu werden. Aserbaidschan versetzte seine Armee in Gefechtsbereitschaft und drohte mit einem Angriff auf die Karabach-Hauptstadt Stepanakert, sollten armenische Separatisten nicht "mit dem Beschuss von Siedlungen aufhören. Armenien wiederum kündigte eine "schmerzvolle Antwort" an.

Dabei war schon die Bilanz der bisherigen Kämpfe erschütternd gewesen: 64 Tote seit dem Wochenende. Am Dienstag kamen die Beteiligten dann zur Besinnung. Aserbaidschan und die nach Unabhängigkeit strebende Region Berg-Karabach vereinbarten eine Waffenruhe, die noch am selben Tag begann.

Schießereien, auch vereinzelt Tote hat es immer wieder gegeben

"Die Berichte über einen Waffenstillstand sind ermutigend. Nun kommt es darauf an, diesen Waffenstillstand zu stabilisieren und eine neue Eskalation des Konflikts zu vermeiden", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier der Süddeutschen Zeitung nach einem Treffen der Minsk-Gruppe und des Ständigen Rates der OSZE in Wien.

"Dass sich die Mitglieder der Minsk-Gruppe - einschließlich der Türkei und Russland - erstmals seit ihrem Bestehen auf eine gemeinsame Erklärung verständigen konnte, ist ein wichtiges Signal an die Konfliktparteien", sagte Steinmeier, der derzeit OSZE-Vorsitzender ist. Eine militärische Lösung könne es für Berg-Karabach nicht geben. "Die Zuspitzung der Lage zeigt: Es muss jetzt darum gehen, dass die Seiten im Rahmen der Minsk-Gruppe schnell Verhandlungen für eine umfassende und nachhaltige politische Lösung des Konflikts aufnehmen."

Provokationen, Schießereien, auch vereinzelt Tote hat es in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Karabach immer wieder gegeben. Aber das war nun doch etwas Neues: Mindestens 30 Tote allein am Wochenende, seit Montag noch einmal 16 getötete aserbaidschanische Soldaten, wie Baku am Dienstag meldete. Nach Angaben der Karabach-Führung sollen auch armenische Zivilisten gestorben sein, unter ihnen eine 92 Jahre alte Frau.

Ob nun die Waffenruhe auch zu einer politischen Lösung führt, ist schwer absehbar, denn das Grundproblem besteht schon seit mehr als 20 Jahren. 1994 stimmten die Kaukasus-Länder Aserbaidschan und Armenien am Ende eines Krieges einem Waffenstillstand zu. Etwa 30 000 Menschen waren damals gestorben, Hunderttausende geflüchtet: Aseris mussten Berg-Karabach verlassen und gingen auch aus Armenien fort, Armenier flüchteten aus aserbaidschanischem Gebiet.

Für Aserbaidschan ist die militärische Niederlage seitdem ein Trauma. Völkerrechtlich gehört das umstrittene Berg-Karabach zu Aserbaidschan, auf dessen Territorium es auch liegt. Berg-Karabach aber, das über zwei Straßen mit Armenien verbunden ist und von ihm finanziell und militärisch abhängig ist, pocht auf Unabhängigkeit und argumentiert, dass in der langen Geschichte dieses Gebiets schon immer Armenier dort gesiedelt hätten.

Berg-Karabach: Konfliktregion Berg-Karabach. SZ-Karte

Konfliktregion Berg-Karabach. SZ-Karte

Gründe für die Eskalation

Dass auf den Waffenstillstand nie ein Friedensvertrag folgte, hat mit der nationalistischen Befindlichkeit auf beiden Seiten zu tun. Armenien will seine Unterstützung für Karabach nicht aufgeben und das Gebiet keinesfalls Aserbaidschan überlassen. Baku wiederum will auf seinen völkerrechtlichen Anspruch nicht verzichten, wonach Berg-Karabach zu Aserbaidschan gehört.

Dass nun aber die Lage militärisch derart eskaliert ist, lässt sich nicht allein mit den unterschiedlichen und starren Positionen erklären. Da spielte mehr mit. In Aserbaidschan etwa hat das Selbstbewusstsein in den vergangenen Jahren gesprudelt wie das Öl. Eine Menge Geld verdiente das energiereiche Land mit seinen Exporten, und sehr viel davon investierte Baku in die Aufrüstung seiner Armee. Aserbaidschan brüstete sich, dass allein sein Militäretat so groß sei wie der gesamte Staatshaushalt von Armenien. Immer wieder drohte es damit, notfalls den Karabach-Konflikt militärisch zu lösen.

Armenien steht eng an der Seite Moskaus, die Türkei hält zu Baku

Da war auch Getöse dabei, doch zuletzt ist die Führung in Baku innenpolitisch unter Druck geraten. Der Ölpreis fiel so rapide wie der Wert der aserbaidschanischen Währung Manat. Unternehmen gerieten in finanzielle Nöte, Angestellte forderten ihre Löhne ein, es begannen Sozialproteste in einem Land, dessen Führung in Demonstrationen bereits eine bedrohende Kraft sieht.

Wer genau die jüngsten Kämpfe ausgelöst hat, ist kaum auszumachen; beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig. Der Zeitpunkt für Baku schien indes günstig zu sein, die Nation mit außenpolitischen Triumphen zu einen. Die aserbaidschanische Armee schaffte es in den vergangenen Tagen, mehrere Stellungen in Karabach zu erobern. Ermunterung gab es zudem von der Türkei, die Aserbaidschan religiös, kulturell und sprachlich nahesteht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte vor wenigen Tagen, dass Berg-Karabach "unausweichlich" wieder aserbaidschanisch werde und die Türkei ihren Partner "bis zum Ende" unterstützen werde.

Aber Armenien hielt selbstbewusst dagegen. Das christliche Land steht eng an der Seite Russlands. Moskau unterhält in Gumri eine Militärbasis, gilt als Schutzmacht und ist Armenien auch durch das Militärbündnis mit dem komplizierten Namen "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" verbunden. Sollte es also direkt zu einem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan kommen, wäre Russland per Vertrag zum Beistand verpflichtet. Daran hatte Armeniens Präsident Sersch Sarkissjan Moskau auch erinnert.

So weit will Russland es aber keinesfalls kommen lassen. Moskau hat seine eigenen Interessen im südlichen Kaukasus, hat nicht nur Armenien mit Rüstungsgütern geholfen, sondern auch reichlich Waffen an Aserbaidschan verkauft. Moskau will seinen Einfluss sichern, aber es will sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen und so eine Art Stellvertreterkonflikt mit der Türkei riskieren. Eine Friedenstruppe könnte sich Moskau gut vorstellen, selbstverständlich mit großer russischer Beteiligung. Das aber lehnen die verfeindeten Kaukasus-Staaten bisher ab.

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