Beppe Grillo und Italiens Intellektuelle:Ein Störenfried macht sich Gedanken

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Unter den italienischen Intellektuellen hat Beppe Grillo nur wenige Anhänger. Der Rechtsphilosoph Paolo Becchi ist einer von ihnen. Die alten Parteien hält er für "Reste der Vergangenheit", die Regierung für einen "Witz". Der Rektor seiner Universität findet schon mal, er solle "sein Gehirn einschalten".

Von Henning Klüver, Mailand

Der Genueser Rechtsphilosoph Paolo Becchi ist einer der wenigen bekannten italienischen Intellektuellen, die Beppe Grillo und dessen "Movimento Cinque Stelle" ("Grillini") öffentlich unterstützen. Die alten, weitgehend korrupten Parteien seien "Reste der Vergangenheit", sagt er, die nun regierende große Koalition zwischen der Berlusconi-Partei (PDL) und den Sozialdemokraten (PD) bleibe "ein Witz". Bei den wichtigen Medien des Landes, die sich von links bis rechts gleichsam in stiller Absprache zur Unterstützung der Regierung entschlossen haben, wird er als Störenfried angesehen - als "cialtrone" (Kanaille) gar, wie ihn ein Journalist der Tageszeitung la Repubblica bezeichnete.

Das alte Parteiensystem, sagt Paolo Becchi, sei durch eine Bewegung zu ersetzen, die von unten komme, sich an konkreten Themen orientiere und längerfristig eine direkte Demokratie durchsetzen wolle. Das Internet werde dabei eine wichtige Rolle spielen. Deswegen gehe es jetzt vor allem darum, auf Grundlage der Verfassung etwa Volksbefragungen zu verwirklichen. In Italien seien nach Schweizer Vorbild auch konstitutive Referenden ohne Mindestwahlbeteiligung zuzulassen.

Im Parlament, meint Paolo Becchi, solle nun etwa mit wechselnden Mehrheiten etwa der Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse für die Eisenbahn zwischen Turin und Lyon blockiert werden. Eine solche Entwicklung habe es in den westlichen Demokratien noch nicht gegeben - es könne nun sein, dass in Italien etwas ganz Neues entstehe.

Mit aller Kraft gegen die Grillini

Dabei wehren sich die etablierten Parteien mit aller Kraft gegen den "Movimento Cinque Stelle". Der PD hat gerade einen Gesetzentwurf eingebracht, der die "Bildung des Staatswillens" regeln soll. In Zukunft sollen Bewegungen und Vereinigungen unwählbar seien, die sich nicht als Partei und dementsprechend als juristische Person konstituieren - die Grillini verweigern hingegen eine solche Institutionalisierung, weil sie darin die Basis einer korrupten Parteienfinanzierung zu erkennen meinen. Die herrschenden Parteien wollten sich, so Paolo Becchi, mit diesem Gesetz endgültig "konstitutionalisieren", gegen die Grillini. Sie wollten "Organe des Staates" werden und nicht mehr "politischer Ausdruck der Zivilgesellschaft" sein.

Nicht immer wählt Paolo Becchi seine Worte mit so viel Bedacht. "Wenn jemand in ein paar Monaten zu den Waffen greift, dürfen wir uns nicht beklagen. Wir haben wieder einen Bankier zum Wirtschaftsminister gemacht." Als Paolo Becchi während eines Radiointerviews über den neuen Wirtschaftsminister Fabrizio Saccomanni, der zuvor als hoher Beamter der italienischen Zentralbank tätig war, diesen Satz sprach, brach ein Sturm der Entrüstung aus. Die Medien meinten einen Zusammenhang mit anonymen Gewaltandrohungen gegen Berlusconi zu erkennen. Und hatte es nicht schon Flugblätter gegeben, auf denen Gewalt gebilligt wurde?

Der Rektor der Universität Genua warf daraufhin seinem Professor vor, "er solle sein Gehirn einschalten", bevor er sich öffentlich äußere. Sogar die Abgeordneten der Grillini distanzierten sich von ihrem Gesinnungsfreund. Das wiederum löste im Internet eine Sympathiewelle für den Professor aus, die die beiden wichtigsten Blogs der Bewegung ( www.beppegrillo.it, www.byoblu.com) überschwemmte. Ein Tweet von Beppe Grillo führte dann zu einer "Rehabilitierung" des Philosophen.

Instrumentalisierte Aussagen

Die Aussagen seien bewusst instrumentalisiert worden, meint Paolo Becchi heute. Die Bewegung sei "absolut gewaltfrei". Wenn es bislang in Italien nicht zu größeren gewalttätigen Aktionen gekommen sei, dann sei das vor allem den Grillini zu verdanken, die den Protest gegen das alte System "demokratisch kanalisiert" hätten. Und hat nicht gerade sogar Mario Draghi, der Präsident der EZB, vor sozialen Unruhen in Italien gewarnt? Wenn jetzt Grillo und seine Bewegung bei kommenden Wahlen zu einer außerparlamentarischen Kraft gemacht würden, bestünde dann nicht erst recht die Gefahr von Gewalt?

Paolo Becchi selbst erinnern seine jüngsten Erfahrungen an Heinrich Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Tagelang musste er sich böser Verdächtigungen erwehren. Unter seinen Studenten seien Journalisten aufgetaucht, erzählt er, die nach dunklen Seiten in seinem Privatleben suchten.

© SZ vom 29.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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