Beobachter bei Präsidentenwahl:Russisch Karussell

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So genau haben es die Russen mit einer Wahl noch nie genommen. Ein Heer von Freiwilligen beobachtet die Stimmabgabe. Doch es bleiben immer noch Möglichkeiten zur Manipulation: zum Beispiel "Karussell fahren".

Jessica Schober, Moskau

Selbst eine durchsichtige Urne ist bei dieser Wahl nicht transparent genug. Das zeigt sich bereits kurz vor acht Uhr im Moskauer Wahllokal Nummer 309, in dem Olga Kuraschewa gemeinsam mit vier anderen Freiwilligen die Wahl beobachten will.

Völlig transparent? Noch nie wurden Präsidentenwahlen in Russland so genau beobachtet. Manipulation wird so erschwert - aber nicht verhindert. (Foto: dpa)

Soeben hat die Leiterin des Wahllokals die beiden Urnen aus durchsichtigem Kunststoff geöffnet. "Kommen Sie, schauen Sie, das ist doch Ihre Aufgabe", ruft sie den jungen und etwas unbeholfenen Beobachtern mit einem süffisanten Lächeln zu. Und Kuraschewa, die sich erst vor Kurzem zur Wahlbeobachterin hat ausbilden lassen, zögert tatsächlich nicht. Obwohl die Wahlurnen offensichtlich leer sind, streckt sie ihren Kopf tief hinein, um sich persönlich zu überzeugen, dass keine vorab ausgefüllten Zettel darin liegen. "Es ist absurd", sagt Kuraschewa, "aber ich glaube einfach nicht, dass diese Wahlkommission unabhängig ist."

Viele Russen nehmen es dieses Mal ganz genau. Ein Heer von Freiwilligen hat sich in den vergangenen Wochen zu Beobachtern schulen lassen. So gründlich wurden nie zuvor - zumindest in Moskau und St. Petersburg - russische Wahlen observiert. Doch bleiben immer noch Möglichkeiten der Manipulation. Zum Beispiel das "Karussell fahren". Gemeint ist damit das organisierte Mehrfachabstimmen, bei dem Wähler mit Bussen von einem Wahllokal zum nächsten gefahren werden.

Für Anna Wassilewitsch von der Beobachterorganisation Golos ist das eine der empfindlichsten Stellen des russischen Wahlsystems: "Viele dieser Wähler konnten ihren Wahlzettel einfach behalten und zum nächsten Lokal weiterfahren." 70 Fälle dieser Art hatte auch die Wahlbeobachterorganisation Graschdanin Nabljudatel ("Bürgerbeobachter") bis zum frühen Sonntagabend in Moskau registriert.

"Ich glaube, wir haben gerade einen Fälschungsversuch verhindert"

Etwa 10.000 Helfer haben allein die Bürgerbeobachter im ganzen Land. Bereits Sonntagmittag ist die Beschwerde-Hotline überlastet. In der Telefonzentrale im Süden Moskaus ist es heiß, Stimmen schwirren durch die Luft, und eine ältere Dame legt jedem der 50 Telefonisten ein Karamellbonbon auf den Tisch.

"Hier geht es heute drunter und drüber", sagt der 31-jährige Pjotr Ostapenko. Gerade hat er einen Anruf bekommen, dass es ganz in der Nähe wieder eine "Karussellfahrt" gegeben haben soll. Ostapenko schickt eines der mobilen Teams zum Wahllokal am Proletarskij Prospekt.

"Vor ein paar Minuten kam eine Gruppe älterer Männer hier rein, die alle nicht in Moskau wohnen und hier wählen wollten", berichtet der Bürgerbeobachter Andrej Bojko. Er habe sich über deren Wahlscheine gewundert und die Polizei gerufen. Die Männer warten nun an der nächsten Straßenecke auf ihren Bus. Woher sie kommen, wollen sie nicht sagen, aber sie seien nun mal Arbeitskollegen und stimmten deshalb zusammen ab, erzählt einer mit Bart und grauer Wollmütze.

Als ein Polizeiwagen auftaucht, hauen einige ab. Pässe werden eingesammelt. Alexej Platonow, einer der Beobachter, ist zufrieden. "Ich glaube, wir haben gerade einen Fälschungsversuch verhindert." Die Statistiken von der Parlamentswahl im Dezember zeigten doch, dass in jenen Wahllokalen, in denen Beobachter waren, viel weniger Stimmen für Putin abgegeben worden seien, sagt Platonow, also: "Je mehr Beobachter, desto besser."

95.000 Wahllokale sind mit Webkameras ausgestattet

Das sieht der Wahlleiter Tschurow anders. Er hatte im Vorfeld davor gewarnt, dass die große Zahl der Beobachter die Arbeit der Wahlkommissionen behindern könnte. In "außergewöhnlichen Fällen" sei auch ein Rauswurf möglich, so Tschurow. Die Organisationen Golos und Bürgerbeobachter bestätigten, dass dies öfter vorgekommen sei.

Dabei hatte Wladimir Putin selbst alle Bürger zum Zuschauen eingeladen. Mit riesigem logistischem Aufwand hatte er die 95.000 Wahllokale im Land mit Webkameras ausstatten lassen. Obwohl bei einigen Kameras die Übertragung stockte, hatten sich Tausende zuvor im Internet registriert, um die Wahlen vom Computer aus zu überwachen. Kritiker hatten moniert, dass die Webkameras nur einen Blick aus der Distanz erlaubten und sie zudem in weiten Teilen des Landes zwischen Wahl-Ende und Stimmenauszählung ausgeschaltet würden.

Wahlleiter Tschurow dementierte indessen jeglichen Wahlbetrug. Seine Mitarbeiter hätten "perfekt gearbeitet", während sich die Beobachter "nervös" verhalten hätten. Beobachterin Olga Kuraschewa will sich nicht einschüchtern lassen. Den ganzen Tag zählt sie die Wähler in Lokal Nummer 309. Und wenn am späten Abend die Stimmenauszählung vorbei ist, wird sie ihre Ergebnisse mit dem Protokoll abgleichen.

© SZ vom 05.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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