Benno Ohnesorg:Der Tod des Träumers

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Vor 40 Jahren wurde Benno Ohnesorg getötet. Den Studenten kannte sie von Jugend an - wie Katja Ebstein den 2. Juni 1967 erlebt hat.

Willi Winkler

Sie probt wieder für ihren Auftritt, mehrere Stunden wie fast jeden Tag, Tango ist diesmal dran, und sie fügt sich ihrem Lehrer, der fast dreißig Jahre jünger ist, der sie hierum und herum zerrt, dass es wirklich auf die Knochen geht. Aus dem Lautsprecher immer dasselbe Stück, und wieder "other dancers are on the floor".

Katja Ebstein über den 2. Juni 1967: "Ein solcher Kolossal-Irrtum an diesem Menschen." (Foto: Foto: dpa)

Die Kamera ist ständig dabei und filmt mit Bedacht das zarte Persönchen im Arm des professionellen Tänzers, der sie - Tango! - herumreißt, bis sie nachgiebiger wird und ihm in jede Drehung folgt. Nach fünf Stunden Tango, unterbrochen nur von Luftholen und gelegentlich einem Glas Wasser, sitzt sie an der Bar, trinkt einen Espresso und sagt: "Ein solcher Kolossal-Irrtum an diesem Menschen, das krieg' ich bis heute nicht geregelt."

"Wie in einer Diktatur"

Die Sängerin Katja Ebstein trainiert in einer Tanzschule beim Münchner Ostbahnhof für ihren nächsten Auftritt in dem RTL-Wettbewerb "Let's Dance". Bild schreibt bewundernd über die sportliche 62-Jährige, lobt ihre Beine, ihre Eleganz. Früher wurde sie in den Zeitungen des Springer-Verlags gern als die "rote Katja" beschimpft, weil sie es als Westberlinerin wagte, "im Osten" aufzutreten, in der damaligen "DDR".

"Das war wie in einer Diktatur", sagt Katja Ebstein und sie spricht gar nicht von der DDR, sondern von Westberlin und meint den Abend des 2.Juni 1967, als an die 5000 Polizisten auf knapp 2000 wehrlose Demonstranten losgingen, damit einem klassischen Diktator, dem Schah von Persien, der Kunstgenuss nicht eingetrübt würde. "Das war, als sie den Benno Ohnesorg erschossen haben", erläutert Ebstein den anderen an der Bar, aber niemand kennt die Geschichte. Wer war das, ein Terrorist?

"Du dachtest, das ist der Polizeistaat!", sagt sie, doch das Verständnis der Zuhörer wird nicht größer. Die Bar schließt gleich, aber sie muss es den letzten Gästen erklären, wie sie den Abend damals erlebt hat, wie sich das freie Westberlin in einen "Polizeistaat" verwandelte und der Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg von hinten erschoss. Noch heute kann sie es kaum fassen. "Ich glaubte immer, der setzt sich in einen Turm und schreibt Gedichte." Manchmal hat er welche vorgelesen.

Eine Junge auf der Suche

Als er tot war, wurde Benno Ohnesorg ein Symbol. Nach dem Datum seines Todes nannte sich eine terroristische Vereinigung "Bewegung 2.Juni", und auch die RAF berief sich auf diesen Märtyrer, dessen Tod doch für sie bewies, wie der Staat noch immer autoritär und faschistisch war und nicht davor zurückschreckte, selbst seine sanftesten Gegner einfach umzubringen.

Katja Ebstein, die damals noch Karin Witkiewicz hieß, kannte Ohnesorg schon vor dieser tödlichen Demonstration gegen den Schah. In den letzten Kriegstagen war sie zur Welt gekommen, in Schlesien, die Russen standen schon vor der Tür. Da wurde sie "wie eine Puppe" eingewickelt und kam in den Treck nach Westen und nach Berlin. Der Vater war so versehrt vom Krieg, dass nur die Mutter arbeiten ging, um ihn und Karin und ihre ältere Schwester zu ernähren.

Mit sieben kam Karin zum ersten Mal nach Amrum, ferienkindverschickt. Das verhungerte Berliner Gör sollte doch einmal weg aus der eingesperrten Stadt, musste aufgepäppelt werden an der See, in der guten Luft, im freien Westen. Mit 17 fiel ihr das Kinderheim wieder ein, und so schrieb sie an das Kinderheim in Wittdün, fragte nach Arbeit. Es war einfach, drei Stunden jeden Tag, 80 Mark im Monat, Kost und Logis, eigentlich Urlaub. Ihre Freundin arbeitete in der Jugendherberge. Dort lernten sie einen anderen Schüler kennen, schon älter, zweiter Bildungsweg.

Benno Ohnesorg saß im Ami-Parka auf der Mauer, das weiß sie noch. Er hatte Ferien, aber sonst auch nichts. Schaufenster-Dekorateur hatte er gelernt, wollte aber jetzt das Abitur nachmachen. Im Oktober 1960 hatte er einen Brief an den Direktor des Braunschweig-Kollegs geschrieben und berichtet von dem, was ihn umtreibt. Seinen Eltern habe er sich entfremdet, wisse nicht, worüber er mit ihnen reden solle. "Das Gespräch, die Grundbeziehung zum Mitmenschen, existierte nicht. So zog ich aus, ein Mensch zu werden."

Das sind existenzialistische Sätze, nicht ungewöhnlich für die Zeit. Über Literatur sprachen sie, Camus und Sartre, über das Leben, und was man machen könnte nach dem Abitur. Katja wollte irgendwas mit Kunst studieren, Archäologie vielleicht, bei ihm war es Literatur. Lebensweise raten ihm die Mädchen, nach Berlin zu kommen zum Studium, weil er dann der Wehrpflicht entgehe.

In Berlin sahen sie sich wieder. Katja gehörte zur Bohème damals, die sich im Café am Steinplatz traf. Das Kino war dort, in dem die Filme der französischen "nouvelle vague" liefen, das Theater von Volker Ludwig, die Hochschule der Künste, wo sie 1965 auf dem Karikaturistenball mit Günter Grass tanzte, den sie 1972 wiedertraf, als sie beide Wahlkampf für Willy Brandt machten. Rudi Dutschke saß da auch, hatte immer das "Kapital" dabei, um gleich draus zitieren zu können, Gebrauchswert und Tauschwert, aber man konnte mit ihm "quatschen".

Jubelperser und eine Lüge

1967 kam der Schah nach Deutschland und auch nach Berlin. Der Schah, das wusste der aufmerksame Leser der Herz- und Kronenzeitungen, saß in Persien auf dem Pfauenthron und war bereits zum dritten Mal verheiratet, mit der märchenhaft schönen Farah Dibah. Wer hätte auch geahnt, dass dieser gutaussehende Schah seine Gegner mit Stromstößen und glühenden Eisen foltern und dann mit oder ohne Geständnis hinrichten ließ?

Die Berliner Studenten wussten es. Am Vorabend des Schah-Besuchs gab es ein Teach-In im Audimax, der Exil-Iraner Bahman Nirumand referierte über "Persien, Modell eines Entwicklungslandes". Benno Ohnesorg las das Buch mit dem gleichnamigen Titel, das mit einem Nachwort von Hans Magnus Enzensberger eben herausgekommen war.

Die Studenten waren präpariert, aber auch sonst wurden für den Staatsbesuch Vorkehrungen getroffen, wurden die wichtigen Autobahnen gesperrt und die Kanaldeckel zugeschweißt; es gab sogar die Überlegung, die in der Bundesrepublik studierenden Iraner auf einer Nordseeinsel zu internieren.

Die Stadt ließ es geschehen, dass eigens eingeflogene "Jubelperser", nachdem sie mit dem Herrscherlob fertig waren, die Stangen ihrer Transparente dazu nutzten, die hinter ihnen stehenden Protestierer zu verprügeln. Die Polizei sah zu. Die Polizei sorgte dafür, dass der Schah mitsamt Gemahlin, Bundespräsident und Bürgermeister unbehelligt in die Deutsche Oper gelangten, und begann dann wieder, auf die Studenten loszugehen.

Den Zeitungen galten sie ohnehin als "FU-Chinesen", "Gammler" und die "rote SA", arbeitsscheues Gesindel mit langen Haaren, reichen Eltern und viel zu viel Freizeit. Den Beamten wurde vorsorglich mitgeteilt, dass die verhassten Studenten einen Polizisten erstochen hätten, und natürlich wollten sie den Kollegen rächen. Es war nur nicht wahr.

Den ganzen Abend wurde der angebliche Tote über Lautsprecher durchgesagt. Die Polizisten schlugen kräftig zu, die Taxifahrer weigerten sich, verletzte Studenten zu befördern. Es war ein bisschen so, wie man sich seit dem Teach-In am Abend zuvor den Polizeistaat Persien vorstellen musste, nur in der Stadt Berlin, die als tapfere kleine Insel in der unfreien, der kommunistischen DDR aushielt.

Vor ein paar Wochen geheiratet

Der erschossene Benno Ohnesorg wird nach der Demonstration gegen den Besuch des persischen Kaiserpaares abtransportiert. (Foto: Foto: AP)

Selbstverständlich ging auch Katja Ebstein zu der Demonstration vor der Deutschen Oper. Sie hatte immer demonstriert, gegen die Mauer, gegen die Atomrüstung, gegen Vietnam. Sie wurde von der Polizei verprügelt, sie kannte das schon. Er nicht. Benno Ohnesorg, sagt sie, und das sagen auch andere, war ein "großer Schweiger", kein Protestierer.

Ein paar Wochen vor dem 2.Juni hatte er geheiratet; seine Frau war schwanger. Mit ihr ging er zur Deutschen Oper. Auf einen Kissenbezug malte er seinen Protest, forderte Autonomie für die Teheraner Universität. Auf einem Foto, aufgenommen nur zwanzig Sekunden, ehe ihn die Kugel traf, hält er das Tuch zusammengeknüllt noch in der Hand. Dafür wurde er wie die anderen gejagt, geschlagen, getreten, sogar noch, wie das Gericht erkannte, nachdem er niedergeschossen am Boden lag.

Sie haben sich nicht getroffen bei der Demonstration, und Katja Ebstein wunderte sich hinterher, dass er überhaupt dabei war, der "Träumer". Sie stand nicht in seiner Nähe wie Bernd Rabehl, der SDS-Führer und Freund Dutschkes, wurde nicht zusammengeschlagen und sechs Monate unter falschen Beschuldigungen eingesperrt wie Fritz Teufel, geprügelt und festgenommen wie der Filmstudent Rüdiger Minow, und sie hat auch nicht, wie Herta Däubler-Gmelin, später bei Gerhard Schröder Justizministerin, den Schuss gehört, der ihn traf, aber sie hat selber erlebt, wie die Polizei plötzlich "drallig" wurde und "blindwütig losgeschlagen hat" gegen die Demonstranten.

Das Obduktionsprotokoll verzeichnete Prellungen und Schläge an Kopf und Oberkörper, von der Polizei wurde zunächst "Schädelbasisbruch" als Todesursache angegeben.

Hätten die Studenten sich nicht zusammengetan, hätten sie nicht in dem Juraprofessor Roman Herzog einen Experten gefunden, der das Vorgehen der Polizei als "rechtswidrig" bezeichnete, hätte nicht Rechtsanwalt Horst Mahler im Auftrag der Witwe gegen die von den Berliner Zeitungen fast einmütig verteidigte Polizei ermittelt, es wäre die Wahrheit vielleicht nie ans Licht gekommen: dass der Student dem Wohlgefallen des Schahs zum Opfer gebracht wurde.

Schwül schon am Vormittag der Sonntag, und Charlottenburg ist noch müde von der Nacht. Der Schah ist lange tot. 1979 wurde er vertrieben, und die Mullahs übernahmen die Macht in Iran. Der Oper gegenüber steht heute wie ein historisches Zitat der Supermarkt Kaiser's. Eine Frau holt ihren altersfetten Hund aus der Tasche, lässt ihn an den eingezäunten Baum an der Ecke Schillerstraße koten und trägt ihn dann in der Tasche wieder zurück in die Wohnung. Vor dem Zeitungsladen sitzt der Besitzer im Unterhemd unter den Schlagzeilen mit dem neuesten Terror in Afghanistan in der Sonne und bespricht mit der Laufkundschaft die Auswirkungen der Klimakatastrophe. Drei Autos stehen auf dem Platz, das Haus drüber, das Haus Krumme Straße 66/67, das keine Nummer mehr trägt, auch sonst weist nichts auf die Ereignisse vor vierzig Jahren hin.

Der Innenhof, in den der Romanistik-Student Benno Ohnesorg hineingetrieben wurde, war eine Falle. Der Polizist Kurras habe sich bedroht gefühlt, hieß es in der Anklageschrift verständnisvoll, "deshalb zog er zur Abschreckung seine unter der Jacke im Schulterhalfter getragene Dienstpistole, Mod. PPK Nr. 211319 des Kalibers 7,65 mm".

Zur Abschreckung die Waffe gezogen

Und der Schuss? Kam offenbar aus heiterem Himmel. "Plötzlich wurde aus der Waffe ein Schuss abgefeuert", heißt es im Schriftsatz. "Der Schuss traf unbeabsichtigt den Studenten Benno Ohnesorg über dem rechten Ohr, als dieser sich zwischen den Betonblenden befand." Wenn er nur gewollt hätte, sagte der Schütze später, er hätte leicht 18 Menschen töten können, aber er wollte ja gar nicht. Ohnesorg wollte ein Mensch werden, und dann starb er doch, unbeabsichtigt, ein Opfer von Hysterie, Liebedienerei, Opfer eines Obrigkeitsstaats, der für die letzten Gäste neben Katja Ebstein im Café des Tanzstudios so märchenhaft fern ist wie für die Berliner der gutaussehende Mann auf dem Pfauenthron, den sie ein Mal, an jenem 2.Juni 1967, aus der Nähe bestaunen durften. Und dann dieser Ärger.

Als der tödliche Schuss Benno Ohnesorg traf, gegen halb neun, war in der Oper die Ouvertüre bereits verklungen, und Papageno tirilierte "Der Vogelfänger bin ich ja,/Stets lustig, heißa, hopsassa!" Der Schah ergab sich ganz dem Kunstgenuss, und der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz nickte ihm zu. Bei der Verabschiedung auf dem Flughafen am nächsten Tag wusste Reza Pahlewi seinen Gastgeber zu trösten.

Den Tod des Studenten solle er sich nicht zu Herzen nehmen, in Iran geschehe dergleichen jeden Tag. Später forderte der Schah auf diplomatischem Weg die Bestrafung der majestätsbeleidigenden Studenten, und Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger entschuldigte sich in einem Telegramm für die unglaublichen Vorgänge.

Im Haus an der Ecke, dort, wo der Wasserwerfer für Ordnung sorgen sollte, besteht heute ein Seniorenprojekt mit dem schönen Namen "Initiative für Alterswohlstand". Benno Ohnesorg wäre heute 66. Hinten im Hof die üblichen Müll-Container. Ein leichter Windstoß in der Schwüle, und gelb und weiß regnen die Blüten der einzelnen Robinie herab und treiben über den unregelmäßigen Boden bis an den Pfeiler, wo er lag.

© SZ vom 31.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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