Benedikt XVI. in Polen:Stille an der letzten Station

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Auschwitz war der heikelste Ort beim Besuch des deutschen Papstes in Polen, wahrscheinlich sogar der bisher schwerste Gang seines Pontifikats. Eine formale Bitte um Vergebung, wie von vielen gefordert, gab es nicht.

Thomas Urban

Gespannte Stille liegt über der Stadt Oswiecim, die auf Deutsch Auschwitz heißt. Es ist der letzte Tag der viertägigen Polen-Reise des Papstes Benedikt XVI. Eine Dreiviertelstunde ist er in einer schwarzen Regierungslimousine von Krakau, der Bischofsstadt seines Vorgängers Johannes Paul II., durch die gewellte Landschaft nach Westen gefahren.

Papst Benedikt XVI. auf der letzten Station seiner viertägigen Polenreise: Auschwitz-Birkenau. (Foto: Foto: dpa)

Weg vom lauten Jubel der Hunderttausenden, mit denen er am Sonntagvormittag in Krakau Messe gefeiert hat, hin zum einstigen Konzentrationslager, hin zu seinem einsamen Gang durch das Tor mit der zynischen Botschaft "Arbeit macht frei". Es ist wohl der bisher schwerste Gang seines Pontifikats.

Schweigend geht er über den Kiesweg, in der Ferne läuten Glocken einer Kirche. Hier wartet nur eine kleine Gruppe ehemaliger Häftlinge auf den deutschen Papst, darunter Marta Domagala, die zwei Jahre dort Zwangsarbeit leisten musste.

"Hass im Herzen"

Sie hat die Häftlingsnummer 59074 eintätowiert. "Ja, wir haben schon lange verziehen", sagt sie. "Wir könnten doch nicht mit Hass im Herzen weiterleben."

Regenschwer hängen graue Wolken über dem Lager Auschwitz I. Hier wurden gleich nach dem Angriff der Wehrmacht auf Polen im September 1939 Tausende Angehörige der polnischen Intelligenz interniert. In einer kleinen Talsenke gleich hinter dem Lager, dem "Kiesplatz", erschoss ein SS-Kommando 153 Professoren der Krakauer Jagiellonen-Universität.

Benedikts Weg führt erst zur Todeswand, vor der Häftlinge erschossen wurden. Er verharrt im stillen Gebet, entzündet er ein Grablicht. Nun geht er zu den 32 ehemaligen Häftlingen. Er gibt jedem die Hand, verweilt einen Moment bei jedem. Einer gibt ihm ein Foto, sagt etwas dazu. Nur Wortfetzen sind zu verstehen - er spricht Deutsch.

Auch andere Häftlinge sagen ihm ein paar Sätze - ebenfalls auf Deutsch. Es sind die ersten Worte auf Deutsch im offiziellen Programm des Papstes. Langsam geht er die Reihe ab, legt einer älteren Frau sichtlich bewegt die Hand auf.

140 000 ermordete Katholiken

Dann führt sein Weg in die Todeszelle des polnischen Franziskanerpaters Maksymilian Kolbe, auch er Symbol polnischen Leidens unter der deutschen Besatzung. Kolbe hatte freiwillig den Platz eines polnischen Familienvaters eingenommen, der mit anderen Häftlinge zur Abschreckung für Fluchtwillige erschossen werden sollte.

Der Papst weiß, wie sehr mit Kolbes Schicksal, den Johannes PaulII. heiliggesprochen hat, andere schmerzhafte Fragen verbunden sind. Denn Kolbe hatte vor dem Krieg antisemitische Schriften verfasst, wie Polens Amtskirche sprach er sich für die Isolierung der Juden in der Gesellschaft aus.

Kolbe war einer von rund 140 000 polnischen Katholiken, die in Auschwitz zu Tode kamen, von den Deutschen ermordet oder an Auszehrung gestorben.

Ein Regenschauer setzt ein, als Benedikt im zwei Kilometer entfernten früheren Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, ankommt, Todesstätte rund einer Million Juden aus nahezu allen Ländern Europas. Drohend ragt der Turm mit dem breiten Einlass für die Todeszüge in den Himmel. Dann bricht die Sonne durch, ein Regenbogen steht über den stacheldrahtbewehrten Wachtürmen.

"Schar von Verbrechern"

Der Regenbogen, biblisches Zeichen der Versöhnung. Die Sonne strahlt, der Himmel ist blau, als Gebete für die Opfer gesprochen werden: in der Sprache der Roma, auf Russisch, Polnisch, Hebräisch und Englisch. Dann bittet der Papst Gott um Eintracht unter den Menschen, zwei Sätze auf Deutsch.

Nach dem Kaddisch, dem jüdischen Totengebet, hält er seine mit Spannung erwartete Ansprache zu Auschwitz, dem Menschheitsverbrechen, auf Italienisch, in der Staatssprache des Vatikan. Doch es kommen einzelne deutsche Wörter vor, die er betont: "lebensunwertes Leben", "Abschaum der Nation".

Hassbegriffe der Nazi-Sprache, die in Deutschland galten, dem Land, dessen Sohn er sich nennt. Die Deutschen seien von einer "Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen" zum Instrument ihrer "Wut des Zerstörens missbraucht" worden.

Einige Schritte entfernt von dort, wo die Krematorien standen, spricht der Papst von der Liebe Gottes, die allen Hass und alle Gewalt überwinden helfe. Es ist keine formale Bitte um Vergebung, wie erwartet und von einem Teil der Medien gefordert. Marta Domagala, Häftling Nr.59074, aber sagt zu dieser Debatte: "Wir sind doch alle Kinder Gottes." Mit Tränen in den Augen fügt sie hinzu: "Benedikt ist ein guter Mensch."

© SZ vom 29.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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