Benedikt XVI. in Großbritannien:Insel der Toleranz

Papst Benedikt XVI. besucht Großbritannien - und was passiert? Nach Jahrhunderten der Abwehr erfährt die katholische Kirche im Land der Anglikaner mittlerweile freundliches Desinteresse

Wolfgang Koydl

Das Papsttum existiert seit 2000 Jahren, und englische Könige gibt es fast ebenso lange. Die wechselseitige Geschichte beider Institutionen als bewegt zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Zwischen dem Jahr 598, als der Benediktinermönch Augustinus in Kent an Land ging, um die Angeln und Sachsen zu bekehren, und jenem Tag im April 2005, als der englische Thronfolger Charles seine Hochzeit mit Camilla verschob, um an der Beerdigung von Papst Johannes Paul II. teilnehmen zu können, durchlief sie viele Höhen und Tiefen. Doch ein Ereignis, wie es nun bevorsteht, hat es in dieser Geschichte noch nie gegeben: Papst Benedikt XVI. besucht zum ersten Mal als Staats- und Kirchenoberhaupt das Vereinigte Königreich. Johannes Pauls Pastoralvisite 1982 war im Vergleich dazu ein Privatbesuch. Er war lediglich als Seelsorger gekommen, eingeladen von Britanniens Katholiken. Der Rest der Nation sah interessiert, aber letztlich unbeteiligt zu.

Benedikt XVI. in Großbritannien: Im Frühjahr haben zahlreiche Menschen in Großbritannien wegen der Pädophilie-Vorwürfe gegen die katholische Kirche und den Papst demonstriert.

Im Frühjahr haben zahlreiche Menschen in Großbritannien wegen der Pädophilie-Vorwürfe gegen die katholische Kirche und den Papst demonstriert.

(Foto: AFP)

Diesmal aber war es die Königin selbst, die den Heiligen Vater auf die Insel bat. Zuvor hatten Scharen britischer Emissäre im Vatikan den Boden bereitet: gleich zwei Premierminister, Tony Blair und Gordon Brown, sprachen vor, dazu mehrere Minister und schließlich auch noch Prinz Charles. "Diesmal trifft das Beiwort 'historisch' wirklich zu", betont der Ex-Diplomat Chris Patten, der für die Regierung den Besuch vorbereitet. Erzbischof Vincent Nichols, das Oberhaupt der Katholiken in England und Wales, stimmt zu: "Wir befinden uns auf unbekanntem Territorium." Vor 50 Jahren noch wäre eine derartige Reise undenkbar gewesen. Zu tief wurzelten damals noch bei vielen Briten die Vorurteile gegen Katholiken, die man vor allem als unpatriotisch, unbritisch und nicht vertrauenswürdig empfand.

Papisten standen, so das seit Jahrhunderten gepflegte Klischee, im Dienste des Vatikan, oder sie waren republikanische irische Aufständische, die Krieg führten gegen das protestantische Königreich. Dass sich diese Haltung heute weitgehend verflüchtigt hat, liegt allerdings weniger an gestiegener Toleranz gegenüber der Kirche von Rom. Es ist vielmehr generelle Gleichgültigkeit gegenüber allen Religionen in einer säkularen Gesellschaft, die Briten mit den Achseln zucken lässt, wenn sie an Benedikts Besuch denken. T-Shirts mit der Aufschrift "Pope Nope" (Papst, nein danke) verkaufen sich denn auch ähnlich schleppend wie jene mit dem Porträt des Pontifex aus der offiziellen Souvenirkollektion.

Was es noch an religiösem Zwist gibt, wird meist im Fußball ausgelebt. In manchen Städten mit zwei Clubs wird der eine von Katholiken, der andere von Protestanten unterstützt. Bei Derbys wie etwa zwischen Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers kommt es dann zu einer Art Neuauflage der Religionskriege - ausgetragen in den Vereinsfarben.

Die meiste Unbill könnte Benedikt auf britischem Boden denn auch eher von bekennenden Atheisten oder von Briten mit ausgefallenem Sinn für Humor drohen. Die einen, zu denen der Wissenschaftler Richard Dawkins gehört, wollen den Papst wegen des Kindesmissbrauchsskandals anzeigen und verhaften lassen. Zur anderen Gruppe zählt ein unbekannter Diplomat des Außenministeriums, der in einem Scherz-Memo vorgeschlagen hatte, dass Benedikt in England eine Abtreibungsklinik eröffnen und ein schwules Paar trauen könnte.

Dennoch lauern Fallstricke politischer, theologischer und protokollarischer Natur. So ist es beispielsweise kein Zufall, dass die Königin den Papst nicht in London, sondern in der schottischen Hauptstadt Edinburgh empfängt. Elisabeth II. ist Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche und damit religiöse Führerin. Dies gilt aber nur für England und Wales und nicht für Schottland, dessen Kirche unabhängig von der Krone ist. In diesem Sinne also ist die Königin in Edinburgh keine Hausherrin, sondern ebenfalls nur Gast.

Dem Papst wird beim Treffen bewusst sein, dass einer der Titel der Königin von einem seiner Vorgänger verliehen wurde. Ausgerechnet Heinrich VIII., dessen Eheprobleme zur Abspaltung der englischen Kirche von Rom führten, wurde von Papst Leo X. zum Fidei Defensor (Verteidiger des Glaubens) berufen. Noch heute steht die Abkürzung F.D. auf jeder Pfund-Münze neben dem Namen der Königin. Sie erinnert daran, dass Heinrich in einer Streitschrift den Reformator Martin Luther als "Narren und Esel, Gotteslästerer und Lügner" gegeißelt hatte.

Der Bruch Londons mit Rom hatte denn auch weniger theologische als machtpolitische Gründe. Auch in den folgenden Jahrhunderten waren es keine religiösen Spitzfindigkeiten, aus denen sich die Animosität der Briten gegen alles Katholische speiste. Sie rührte vielmehr daher, dass Britanniens Gegner und Konkurrenten katholische Nationen waren. Sowohl Spanien als auch Frankreich verbrämten ihre politischen Konflikte mit dem Inselreich gerne religiös. Vor allem in Paris benutzte man die Religion als Werkzeug zur Schwächung des Erzfeindes jenseits des Kanals: Frankreich half den katholischen Stuarts in Schottland im Kampf um den englischen Thron.

Heinrichs Tochter Elisabeth I. ließ Katholiken gnadenlos verfolgen. Ihr Verbot katholischer Gottesdienste bestand mehr als 200 Jahre und wurde erst 1788 wieder aufgehoben. Den schwersten Imageschaden erlitt die Kirche von Rom im Jahr 1605, als das Komplott einer Gruppe katholischer Verschwörer aufgedeckt wurde, die das Parlament mitsamt der gesamten Elite des Landes, einschließlich des Monarchen, in die Luft sprengen wollte. Bis heute erinnern Feuerwerke und Lagerfeuer jedes Jahr am 5. November an diesen Tag. In der südenglischen Kleinstadt Lewes wird noch immer eine Strohpuppe verbrannt, die den Papst darstellt.

Vom 18. Jahrhundert an war es die irische Frage, die das Bild der Briten vom Katholizismus prägte. Antibritische, irische Freiheitskämpfer identifizierten sich mit ihrer Kirche; den Briten hingegen erschien der irische Widerstand als Neuauflage eines papistischen Komplotts. Der Zustrom armer irischer Migranten in die neuen Industriezentren von Manchester, Liverpool und Glasgow trug auch nicht zur Beruhigung der Gemüter bei. Erst 1829 wurde das Berufsverbot für Katholiken für staatliche Ämter aufgehoben - mit entscheidenden Ausnahmen. Bis heute darf kein Katholik den englischen Thron besteigen, und wer einen katholischen Partner heiratet, muss auf alle Thronansprüche verzichten. Auch einen katholischen Premierminister gab es im Vereinigten Königreich noch nie. Tony Blair konvertierte erst nach dem Amtsverzicht.

Bei seinem Besuch wird der Papst auf Schritt und Tritt mit dieser Geschichte konfrontiert werden. Im Holyrood-Palast in Edinburgh, wo ihn die Queen empfängt, lebte die katholische Königin Maria Stuart, die wegen ihres Glaubens auf dem Schafott starb. In Westminster Hall in London, wo der Papst die politische Führung des Landes treffen wird, wurde der englische Staatsmann Thomas More wegen seines Bekenntnisses zu Rom zum Tode verurteilt.

Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass Rom und London an die Zeit vor der Reformation anknüpfen wollen. In der Westminster-Abtei werden Benedikt und Rowan Williams, der anglikanische Erzbischof von Canterbury, sich zu einem gemeinsamen Gebet zurückziehen. Hier liegt Eduard der Bekenner begraben. Er herrschte vor 1000 Jahren und war der einzige König aus England, der heiliggesprochen wurde. Als Schutzheiliger ist er für Eheprobleme zuständig. Vielleicht wäre die Geschichte Englands und des Vatikans ja anders verlaufen, wenn sich Heinrich VIII. vertrauensvoll im Gebet an ihn gewandt hätte.

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