Benedikt XVI. in Deutschland:Der Glaube versetzt - in Rage

Die Kraft der Kirche zeigt sich darin, wie vehement viele Deutsche den Papst ablehnen. Doch die Abgeordneten, die sich geweigert haben, Benedikt XVI. im Bundestag zuzuhören, haben ihm nur noch mehr Aufmerksamkeit eingebracht. Er hat sie verdient, weil er eine große und menschliche Rede gehalten hat - in der er sich zu den Grund- und Menschenrechten bekennt. Wenn es dem Papst damit ernst ist, müsste das für die Kirche selbst spektakuläre Folgen haben.

Heribert Prantl

Die römisch-katholische Kirche hat noch immer Kraft. Diese Kraft zeigt sich nicht mehr in der gesellschaftlichen Präsenz dieser Kirche. Sie zeigt sich auch nicht mehr in ihrer vitalen Religiosität; diese ist matt geworden, geknickt von den Zweifeln an der Papst-Kirche.

Der Papst besucht Deutschland

Papst Benedikt XVI. im Bundestag: Große, menschliche, beeindruckende Rede.

(Foto: dapd)

Die Kraft der Kirche zeigt sich auch nicht mehr im Glaubensstolz ihrer Gläubigen; den gibt es zwar, aber er ist gedrückt von den Missbrauchsskandalen; er hat sich zurückgezogen in Kirchen und Klöster, in die alten Hochburgen der Frömmigkeit. Der Glaube versetzt in Deutschland keine Berge mehr, aber er versetzt noch immer die Kirchenkritiker in Rage.

Die Kraft dieser Kirche zeigt sich in der Vehemenz, mit der ihr Oberhaupt abgelehnt wird. Der reflexhafte Anti-Klerikalismus demonstriert im Umgang mit dem Papst die Unduldsamkeit, die man diesem vorwirft. Bei den Kritikern des Vatikans findet man also das, was diese dem Vatikan vorwerfen, spiegelbildlich wieder. Zu diesem Spiegelbild gehört auch das Fehlen von hundert Abgeordneten des Bundestags bei der Rede des Papstes. Sie wollten so angeblich darauf hinweisen, dass der Staat sich neutral gegenüber Religionen zu verhalten habe.

Das ist in dieser Ausdeutung falsch. Erstens heißt Neutralität nicht Respektlosigkeit. Zweitens lebt der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Die Werte, welche die christliche Religion lehrt - Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Solidarität - gehören zu diesen Voraussetzungen.

Kraft aus dem Geist

Die Abgeordneten, die sich geweigert haben, dem Papst zuzuhören, haben im Übrigen diesem noch mehr Aufmerksamkeit eingebracht, als er es ohnehin gehabt hätte. Er hat diese Aufmerksamkeit verdient, weil er eine große und menschliche, eine beeindruckende rechtsphilosophische Rede gehalten hat - die in ihren Details kompliziert, aber in ihrer Botschaft einfach war: Es war eine fundamentale, aber überhaupt nicht fundamentalistische Rede.

Es war die Rede eines gelehrten alten Mannes, die spüren ließ, warum sich die Kraft dieser Kirche nicht nur aus dem Mythos einer zweitausendjährigen Geschichte speist. Diese Kraft kommt auch aus dem Geist, den sie verkörpern kann.

Der Papst beklagte den Umgang mit der Natur, er sprach von der Erde, "die ihre Würde in sich trägt" und von der "Ökologie des Menschen". Er stellte die Frage nach dem Ordnungsprinzip, das der Natur innewohnt. Die Natur, auch die des Menschen, könne eine ihr innewohnende Norm nur dann haben, wenn eine schöpferische Vernunft, ein "Creator Spiritus", also ein "Schöpfergott" sie hineingelegt habe.

Bedenkenswerte Gedanken - und folgenreiche

Das waren grüne und christliche, das waren auch für Sozialisten und Liberale bedenkenswerte Gedanken. Man muss sie sehr wohl diskutieren in einem Staat, dessen Verfassung mit der Anrufung Gottes beginnt: "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das Deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben."

Der Weg zu diesem Grundgesetz führte durch Abgründe. Am Wegrand lagen Auschwitz, Dachau und Treblinka, am Wegrand standen Gestapo, Herrenmenschen und ein Recht, das kein Recht mehr war. Die Erinnerung daran steht als Mahnung in Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Für die Mütter und Väter des Grundgesetzes lag es nahe, sich hier auf Gott zu berufen, weil die Nazis die Inkarnation der Gottlosigkeit waren. Für Christen ist also der Gott am Beginn des Grundgesetzes der göttliche Gott; für Nichtchristen ist er Chiffre für Grundwerte, die der Mehrheitsentscheidung entzogen sind. Die Rede des Papstes war der Versuch, die Grund- und Menschenrechte auf das Christentum zurückzuführen - der Versuch einer Versöhnung mit der Aufklärung.

Benedikts Behauptung freilich, das Christentum habe dem Staat und der Gesellschaft nie eine Rechtsordnung aus göttlicher Offenbarung vorgegeben, ist historisch nicht haltbar. Die katholische Rechtslehre unterscheidet spätestens seit der scholastischen Theorie zwischen dem "Naturrecht" und dem "positiv-göttlichen Recht", das aus der Offenbarung hergeleitet und auch für das weltliche Recht für verbindlich gehalten wurde.

Innerkirchliche Konsequenzen

Darauf beruht seit jeher die Lehre über die Stellung des Papstes in der Welt, darauf beruhen auch die kirchlichen Positionen im Eherecht. Entscheidend für die Lösung des Rechts von der Autorität biblischer Aussagen war die Theorie der Aufklärung. Wenn der Papst nun das "Offenbarungsrecht" als Autorität für die staatliche Ordnung verabschiedet, kann man darin die Anerkennung dieser aufgeklärten Position sehen.

Bemerkenswert: Sein Bekenntnis zur Gleichheit aller Menschen vor dem Recht und zum Rechtsstaat. Hier ist ein Durchgriff auf das Naturrecht nicht mehr üblich, weil diese Grundrechte in Verfassungen und Konventionen festgeschrieben sind. Spektakulär aber ist, was sich aus dem Bekenntnis des Papstes ergeben müsste: Die Geltung dieser Rechte im innerkirchlichen Bereich!

Diese Frage blieb in der Rede offen; sie kann aber nicht offen bleiben. Sie betrifft die Stellung der Frauen und der Laien in der Kirche, sie betrifft die Hierarchie. Wenn sich Benedikt XVI. zu den Grund- und Menschenrechten bekennt, kann er sie innerkirchlich nicht missachten.

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