Süddeutsche Zeitung

Benedikt XVI. besucht Deutschland:Mit der Arroganz des Vatikans

Papst Benedikt XVI hat im Bundestag eine vielbeachtete Rede gehalten. Aber gehörte sie an diesen Ort? Nein - sagt der Jesuit und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach. Sie sei eine Provokation.

Friedhelm Hengsbach

Enttäuscht waren die Protestanten vom ökumenischen Auftritt des Papstes in Erfurt. Er hat die dogmatische Arroganz der vatikanischen Zentrale bestätigt. Aufgeschlossene Katholiken sind empört und schämen sich. Aber völlig anders haben die Medien den politischen Auftritt im Bundestag und die rechtsphilosophische Rede aufgenommen.

Sie beginnt mit der biblischen Erzählung vom Traum des jungen Königs Salomon, nachdem dieser sich seiner Rivalen gewaltsam entledigt hatte. Gott gibt ihm eine Bitte frei. Salomon wünscht sich ein hörendes Herz, um sein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden.

Mit dieser berührenden Erzählung erinnert der Papst die politisch Verantwortlichen an ihre Aufgabe, den Erfolg, den sie anstreben, dem Maßstab der Gerechtigkeit und der Anerkennung des Rechts unterzuordnen. Aber wie kann erkannt werden, was Recht ist?

Wenn es um Fragen der Menschenwürde geht, reicht das Mehrheitsprinzip als Maßstab ebenso wenig aus wie der Rückgriff auf religiöse Normen. Dem gegenüber nennt der Papst Natur und Vernunft als die allgemein verbindlichen Rechtsquellen, die in der schöpferischen Vernunft Gottes gründen. Sie sind in die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und in das Grundgesetz der Bundesrepublik eingeflossen.

In der Anerkennung dieser Grundlagen der Rechtsprechung habe sich jedoch während der letzten 60 Jahre die Situation dramatisch verändert: das Naturrecht werde abgelehnt, meint der Papst. Wenn nämlich zwischen Sein und Sollen ein unüberbrückbarer Graben besteht, Natur rein funktional begriffen und Vernunft auf naturwissenschaftliche Erkenntnis reduziert werden, fallen Moral und Religion aus dem Vernunftbegriff heraus.

Eine positivistische Vernunft, die sich exklusiv gibt, setzt die klassischen Rechtsquellen außer Kraft. Aber gleichzeitig verkleinert und bedroht sie den Menschen. Sie gleicht einem Betonbau ohne Fenster und ohne das Licht aus der weiten Welt Gottes.

Wie können die Fenster wieder aufgerissen werden, wie kann die Vernunft ihre Größe wiedergewinnen? Einen Schrei nach frischer Luft erkennt der Papst in der ökologischen Bewegung. Die Natur ist nicht nur das für den Menschen nützliche Material, die Erde trägt ihre Würde in sich selbst. Auf die Sprache der Natur ist zu hören und darauf angemessen ist zu antworten. Dies gilt auch für die Natur, die Ökologie des Menschen.

Die Frage, ob die Natur als Indikator der objektiven Vernunft eine schöpferische Vernunft voraussetzt, stellt der Papst im Blick auf das kulturelle Erbe Europas, das von der Überzeugung eines Schöpfergottes her zur Anerkennung der gleichen Würde eines jeden Menschen gelangt sei.

Dessen Identität habe sich aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom entwickelt, aus dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms.

Gehört eine solche Rede in den Deutschen Bundestag? Es gibt gute Gründe, diese Frage zu verneinen, finde ich. Als wer oder was spricht der Papst zu den Abgeordneten, die sich religiös und weltanschaulich plural orientieren? Als Landsmann, der an seiner Heimat und seinem Vaterlands Anteil nimmt? Als Bischof von Rom und höchster Amtsträger der katholischen Kirche? Oder als Staatschef eines anachronistischen Territoriums, der nicht einmal die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat? Der aus dem Turmfenster gleiches Recht für Frauen predigt, es den katholischen Frauen innerhalb der Kirchenmauern verweigert?

Auch inhaltlich provoziert die Rede einige Einwände. Dem Metaphysiker aus Rom ist die Ableitung von Vorschriften aus der Erkenntnis von Sachverhalten nicht problematisch, selbst zeitnahe Rechts- und Sozialphilosophen fechten ihn nicht an. Den Begriff der Natur verwendet er doppeldeutig: Mal meint er die natürliche Umwelt, mal den Kern des Menschseins, mal die gerechte Ordnung einer Gesellschaft. Was bedeutet der Satz: "Die Erde hat eine Würde in sich"? Will er bestreiten, dass Menschen die einzigen Subjekte moralischer Urteilsbildung sind? Oder will nur darauf hinweisen, dass alle Lebewesen als objektive Zwecke zu respektieren sind?

Unterstellt die Zauberformel: "Ökologie des Menschen" einen beliebigen Naturalismus, der biosomatische Erklärungen zur Rechtfertigung einer patriarchalen Sexualmoral missbraucht? Wer soll definieren, was die Natur des Menschen ist, was den Menschen zum Menschen macht? Kein außenstehender Beobachter kann die Gerechtigkeit einer pluralen Gesellschaft situationsfern buchstabieren. Sie muss in öffentlicher Auseinandersetzung und Verständigung gesucht werden.

Die Menschenrechtsideen und ihre Realisierung aus dem christlichen Schöpferglauben abzuleiten, gelingt wohl nur mit Hilfe einer Geschichtsklitterei, die den erbitterten kirchlichen Widerstand verklärt.

Und schließlich: Ich nehme nicht an, dass der Papst mit dem Hinweis auf die gewachsene Identität Europas die religiös nicht musikalischen Abgeordneten oder die an Gott glaubenden Muslime von dem Europa im Werden ausschließen wollte.

Friedhelm Hengsbach, 74, ist einer der renommiertesten Sozialethiker Deutschlands. Der Jesuit hat Philosophie und später Theologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Zwischen 1992 und 2006 leitete er das Oswald-von-Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik in Frankfurt am Main. Mittlerweile lebt Hengsbach in Ludwigshafen und gehört der Jesuitengemeinschaft im dortigen Heinrich-Pesch-Haus an.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1148909
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/hgn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.