Wahl zum Oberbürgermeister in Hannover:"Ist schon 'ne coole Botschaft"

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Belit Onay und seine Frau Derya nach dem ersten Wahlgang in Hannover. Am Sonntag muss er gegen Eckhard Scholz (CDU) in die Stichwahl. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Der Grüne Belit Onay hat die Chance, erster Oberbügermeister mit Migrationshintergrund in einer Landeshauptstadt zu werden. Und das nach 73 Jahren SPD-Herrschaft.

Von Peter Burghardt, Hannover

Eine ältere Dame kommt auf ihn zu, sie starrt ihn an und umrundet ihn wie eine Statue. "Ich wollte Sie nur ankucken", sagt sie. "Ich kann Sie gar nicht wählen, ich wohne nicht in Hannover. Aber wenn ich schon mal die Chance habe, wollte ich einmal um Sie rumgehen. Ich drücke Ihnen die Daumen." Belit Onay bedankt sich höflich nach der Besichtigung und bittet: "Wenn Sie Menschen aus Hannover kennen, gerne ansprechen."

Er steht im Nieselregen vor einem grünen Wahlkampfstand mit Schirm und Plakat in der zubetonierten Fußgängerzone, mitten im lange so knallroten Hannover, seiner Heimat, deren Oberbürgermeister er am Sonntag werden könnte. Groß, schlank, graue Mütze. Plötzlich ist er eine Attraktion. Denn es sieht so aus, als würde dieser 38 Jahre alte Grünen-Politiker mit dem türkischen Namen bei der Stichwahl am Sonntag diese SPD-Hochburg erobern.

Belit Onay wäre tatsächlich der erste Chef einer deutschen Landeshauptstadt, dem man so etwas wie Migrationshintergrund zuschreiben kann. Kind türkischer Zuwanderer, geboren 1981 in Goslar. "Ein junger Mensch, auch mit Migrationshintergrund, steht für Diversity, für eine junge, lebendige Stadt", sagt er, es klingt nicht aufgesetzt. "Das empfinden viele auch als Signal und Chance für Hannover, gerade in diesen Zeiten der Polarisierung, des Rechtspopulismus. Ist schon 'ne coole Botschaft." Das andere: Im schlossartigen Neuen Rathaus am Maschteich enden am Wochenende 73 Jahre SPD-Herrschaft.

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Seit 1946 regieren die Genossen Niedersachsens Zentrale, doch seit dem Verfahren wegen Untreue und dem Rücktritt von OB Stefan Schostok im Mai 2019 fällt auch diese Bastion. Der SPD-Bewerber hat die erste Wahlrunde nicht überstanden. Gegenüber stehen sich nun der Jurist und Landtagsabgeordnete Belit Onay und der parteilose Ingenieur und frühere VW-Manager Eckhard Scholz, 56, der für die CDU antritt. Beide bekamen in Durchgang eins 32,2 Prozent der Stimmen, Onay dreimal so viel wie der Kandidat der Grünen 2013.

Umfragen sehen ihn jetzt vorne. Hannover neigt wie Hamburg zu Mitte-links, der Mann der Grünen scheint das Lebensgefühl der Wähler am besten zu treffen. Die ausgeschiedene SPD, im Stadtrat noch in der Mehrheit, hat sich für Belit Onay ausgesprochen. Als Schüler war er selbst mal in der SPD und an der Uni im CDU-nahen Studentenring. Seine Herkunft spielte im Wahlkampf alles in allem eine Nebenrolle, von den knapp 550 000 Bewohnern hat jeder dritte ausländische Wurzeln.

Der Brandanschlag 1993 in Solingen hat ihn geprägt

Manchmal wird er auf Türkisch angesprochen, Belit Onay spricht die Sprache und bringt sie auch seinem Sohn bei. "Ist doch eine Bereicherung", sagt er. Seine Russischkenntnisse sind ebenfalls nützlich, "Hannover ist eine bunte Stadt". Seine Eltern sprechen längst gutes Deutsch, sie kamen in den Siebzigerjahren, der Vater arbeitete erst in einem Hotel. Ihre Sprache zuhause war Türkisch, Deutsch lernte der kleine Belit im Kinderarten.

Er erzählt, wie ihn der Brandanschlag 1993 in Solingen geprägt hat, Neonazis töteten fünf türkischstämmige Menschen. Die Onays hatten damals ein Lokal und wohnten darüber, "wie auf einem Präsentierteller". Sie hatten Angst, sie überlegten, in die Türkei zu ziehen. Nun könnte Onay für die nächsten sieben Jahre Oberbürgermeister von Hannover werden. In Netzwerken liest er auch giftige Beiträge, aber die Zustimmung überwiege, meint er. Und vielen sei dieses Migrationsthema völlig egal: "Mich interessiert nicht, wo der herkommt, sondern wo der hinwill."

Belit Onay ist für besseres Klima, für eine autofreie Innenstadt, für bezahlbaren Wohnraum, für soziales Miteinander. Er will dann am Abend erst mal zu Verdi, nächstes Duell der zwei Rivalen, wieder ohne SPD. Unterwegs kauft er sich am Kiosk ein Stück vegetarische Pizza. Im Gewerkschaftshaus geht es um Mieten, Kitas, Jugend, Pflege, Frauenhäuser, Obdachlose. Belit Onay spricht von der diskriminierungsfreien Stadt, die er sich wünscht, von der Single-Hauptstadt, die es ist, von der Achse Warschau - Amsterdam, auf der Hannover liege. Er findet, beim Wohnen habe der Markt versagt. "Nicht an der schwarzen Null festhalten", will er, "jetzt ist die Zeit zu investieren." Auffällig häufig nickt sein freundlicher Rivale Scholz, wenn Belit Onay antwortet.

© SZ vom 08.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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