Belgrad: Proteste nach Kosovo-Loslösung:US-Botschaft verwüstet - Leiche gefunden

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Nach einer Großdemonstration gegen die Unabhängigkeit des Kosovo haben aufgebrachte Serben ausländische Banken und Botschaften angegriffen. Die US-Vertretung geriet in Brand, im Anschluss wurde eine Leiche gefunden. Der serbische Außenminister verurteilte die Ausschreitungen, ebenso der UN-Sicherheitsrat.

Nach einer Massendemonstration von mindestens 150.000 Menschen gegen die Loslösung des Kosovo ist es in Belgrad zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Maskierte stürmten am Donnerstagabend die US-Botschaft.

Der Mob vor der brennenden amerikanischen Botschaft in Belgrad. (Foto: Foto: dpa)

Bewaffnet mit Stöcken und Stahlstangen rissen die Demonstranten die Gitter von den Fenstern der leeren US-Botschaft. Während etwa 1000 Zuschauer "Serbien, Serbien" skandierten, warfen sie Möbel und Papiere aus den Fenstern und hissten kurzzeitig die serbische Fahne.

Nach einer halben Stunde rückten etwa 200 Polizisten an und trieben die Menge mit Schlagstöcken und Tränengas auseinander. Insgesamt wurden bei der Auseinandersetzung mit der Polizei rund 100 Menschen verletzt.

Rätselraten um den verkohlten Toten

Im Anschluss wurde in der Botschaft nach US-Angaben eine verkohlte Leiche gefunden. Über deren Identität gab es zunächst keine Klarheit. Nach US-Angaben war das gesamte US-Personal der Botschaft in Sicherheit. Ob dies auch für Mitarbeiter galt, die keine US-Bürger sind, war unklar. Der Sprecher der US-Botschaft sagte dem Sender CNN, bei dem Toten könnte es sich um einen Teilnehmer der Kundgebung handeln. "Es sieht so aus, als ob es ein Demonstrant ist, der vom Feuer eingeschlossen wurde."

Mehrere hundert junge Serben griffen auch die deutsche Botschaft in Belgrad an. Es seien zahlreiche Fensterscheiben zu Bruch gegangen, ein Wachhäuschen vor dem Gebäude habe gebrannt, berichteten Augenzeugen. Zum Zeitpunkt des Angriffs waren keine Polizisten vor dem Gebäude zu sehen. Die Randalierer zogen sich erst nach einem verspäteten Polizeieinsatz zurück.

Auch die nahegelegene Botschaft Kroatiens wurde angegriffen. Kleinere Gruppen attackierten ferner Polizeiposten vor den Botschaften der Türkei und Großbritanniens, wurden aber zurückgedrängt.

Der UN-Sicherheitsrat in New York kam noch am Abend zusammen und verurteilte die Übergriffe. Diplomatische Vertretungen seien internationalen Vereinbarungen zufolge unantastbar, hieß es. Die Bemühungen serbischer Sicherheitskräfte zur Wiederherstellung der Ordnung würden allerdings gewürdigt.

Serbiens Außenminister Vuk Jeremic sprach von nicht akzeptablen Übergriffen durch Extremisten. Die Übergriffe seien bedauerlich. "Sie schädigen das Ansehen Serbiens im Ausland, sie spiegeln nicht das kollektive Gefühl des serbischen Volkes wider." Es habe sich offensichtlich um "organisierte Gruppen von Vandalen" gehandelt. Allerdings stehe Serbien derzeit unter Spannung. "Die Atmosphäre ist kurz vor dem Überkochen." Das Volk sei mit dem Verlust einer Provinz konfrontiert, die es als Wiege der Nation ansehe.

Der serbische Präsident Boris Tadic rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Er forderte die Demonstranten während eines Besuchs in Rumänien auf, die gewaltsamen Aktionen zu beenden.

Plünderungen in der Innenstadt

An anderen Stellen der Belgrader Innenstadt hatten überwiegend junge Leute mehr als 20 Autos, eine Straßenbahn und fünf Linienbusse in Brand gesteckt. Der öffentliche Nahverkehr wurde nach Angaben der Verkehrsbetriebe eingestellt. In der Fußgängerpassage im Zentrum wurden ein Warenhaus, mehrere Geschäfte und Kioske geplündert. Zwei ausländische Bankvertretungen wurden ausgeraubt, ein amerikanisches Fast-Food-Restaurant verwüstet. Spezialeinheiten der Polizei rückten erst mit Verzögerung an. Dann versuchten sie mit massivem Einsatz von Tränengas, die Menge in die Seitenstraßen abzudrängen.

Die Großkundgebung in Belgrad, die am späten Nachmittag vor dem Parlament begann, stand unter dem Motto "Das Kosovo ist unser". Geschätzte 150.000 bis 200.000 Menschen nahmen teil. Die staatliche Eisenbahngesellschaft hatte Züge für die kostenlose Anreise der Demonstranten zur Verfügung gestellt.

Hunderte serbische Reservisten attackierten am Donnerstag im Norden des Kosovo bei Merdare einen Grenzposten. Mit den Rufen "Kosovo ist unser! Kosovo ist Serbien!" bewarfen sie Polizisten sowie Soldaten der Nato-geführten Friedenstruppe Kfor mit Steinen und zündeten Autoreifen an. Die Reservisten, die zum Teil Uniform trugen, waren nach Angaben der UN-Polizei mit Bussen aus der serbischen Stadt Kursumlija angereist und brachten auch einen Bulldozer mit, mit dem sie auf kosovarisches Gebiet vordrangen. Die Polizei errichtete Straßensperren.

Italien erkennt Kosovo an

Unterdessen erkannte auch Italien den Kosovo als unabhängigen Staat an. Der amtierende italienische Ministerpräsident Romano Prodi erklärte, die Anerkennung solle nichts an den freundschaftlichen Beziehungen Roms zu Serbien ändern. Wie schon in anderen Fällen zuvor rief Belgrad jedoch seinen Botschafter aus Italien zurück.

Das Parlament des Kosovo hat die frühere serbische Provinz am Sonntag für unabhängig erklärt. Mehr als ein Dutzend Staaten weltweit haben dies bereits anerkannt, darunter Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich.

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