Proteste gegen Rassismus:Belgien ringt mit kolonialer Vergangenheit

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Die bei Demos besprühte Statue lässt sich reinigen, König Leopolds II. Bild in der Geschichte bleibt durch den Kolonialismus Belgiens befleckt. (Foto: Francisco Seco/AP)

Statuen von König Leopold II. werden beschmiert und entfernt. Demonstranten fordern eine umfassende Aufarbeitung der blutigen kolonialen Vergangenheit.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Leopold II. und sein Pferd stehen mit Füßen und Hufen im Sand. Nicht etwa, weil der frühere König der Belgier am liebsten am Strand geritten wäre. "Die müssen hier sofort mit dem Sandstrahler sauber gemacht haben", sagt Quenten Vanagt. "Gestern war das Denkmal noch beschmiert." Der blonde Student sitzt zu Beginn dieser Woche neben dem Reiterstandbild am Königspalast in Brüssel in der Mittagshitze, und wartet darauf, dass keine Passanten mehr zwischen ihm und dem Kolonialherrscher stehen. Dann will er das Monument von allen Seiten scannen, um eine digitale Kopie des Monuments zu erstellen. "Ich weiß noch nicht genau, was ich dann damit mache", sagt der Kunststudent. "Vielleicht zerstöre ich es, aber vielleicht füge ich auch einfach die Graffiti wieder hinzu oder mehr Informationen über das, was Leopold II. damals getan hat."

Dieselben Fragen wie Vanagt stellt sich, wenn auch in etwas größerem Maße, gerade das ganze Land. Nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA sind auch in Belgien heftige Proteste ausgebrochen, die sich nicht nur gegen strukturellen Rassismus richten, den es auch in Belgien gibt, sondern weiterreichen: Wie umgehen mit dem Erbe und dem Andenken an die koloniale Vergangenheit des Landes? Überall in Belgien wurden im Zuge der Proteste Statuen und Standbilder Leopolds II. beschmiert oder entfernt, oder Straßenschilder übermalt.

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An diesem Mittwoch wird sich auch das belgische Parlament mit diesen Fragen befassen müssen: Der Fraktionsvorsitzende der flämischen Liberalen, Patrick Dewael, will seinen Kollegen aus den anderen Parteien vorschlagen, eine Expertenkommission einzurichten, welche die Gräueltaten des einstigen Herrschers gründlich aufarbeiten soll, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. "Es ist Zeit, dass sich Belgien mit seiner kolonialen Vergangenheit aussöhnt", sagt Dewael.

Im Parlament regt sich Zuspruch für eine Untersuchung der kolonialen Vergangenheit

Unter Leopold II., der bis zu seinem Tod 1909 König der Belgier war, wurde der Kongo systematisch ausgeplündert. Millionen Menschen kamen dort ums Leben. Wie viele genau, darüber gibt es nur Schätzungen; manche sagen, es könnten bis zu 15 Millionen gewesen sein. Noch bis 1960 gehörte das Land zum belgischen Kolonialreich.

Aber weder das belgische Königshaus noch die Regierung haben sich jemals für die Verbrechen von damals entschuldigt. Lediglich die belgisch-kongolesischen Mischlingskinder, die in den 1940er und 1950er Jahren im Kongo, in Ruanda oder in Burundi geboren wurden, bat der damalige Premierminister Charles Michel im April 2019 um Vergebung: Hunderte von ihnen waren ihren Müttern weggenommen und nach Belgien gebracht worden, wo sie in Waisenhäusern oder Pflegefamilien aufwuchsen. Eine breiter angelegte Untersuchung aber hat es von staatlicher Seite bislang nicht gegeben - nun regt sich im Parlament Zuspruch dafür. Selbst eine Zustimmung der flämischen Nationalistenpartei N-VA scheint nicht ausgeschlossen: Parteichef Bart De Wever hatte den König bereits 2019 aufgerufen, sich zu entschuldigen.

König Philippe aber hat sich zu der aktuellen Debatte bislang nicht geäußert - anders als sein Bruder Laurent, der den gemeinsamen Großonkel in einem Interview in Schutz nahm: Leopold II. sei selber nie im Kongo gewesen, und könne darum wohl kaum für das Leid der Menschen verantwortlich gemacht werden. "Es ist wichtig, dass das auch mal gesagt wird." Die Zurückhaltung Philippes aber dürfte - zumindest auch - institutionelle Gründe haben: Im belgischen Verfassungsgefüge obliegt es allein der Regierung, die politischen Linien vorzugeben.

Das aber ist gerade auch aus einem anderen Grund schwierig: Nachdem Belgien nach den Wahlen im Mai 2019 viele Monate lang gar keine Regierung hatte, wurde Premierministerin Sophie Wilmès im März flugs ins Amt gehievt, um die belgische Reaktion auf die Corona-Pandemie zu organisieren. Ende Juni laufen ihre Corona-Sonderbefugnisse aus. Wilmès bleibt zwar auch danach zumindest bis September Premierministerin; wegen der Umstände ihrer Beförderung hatte sie bereits im März angekündigt, dann die Vertrauensfrage stellen zu wollen. Im Parlament hat sie allerdings nicht einmal im Ansatz eine Mehrheit: Ihre Minderheitsregierung ruht auf lediglich 38 von 150 Sitzen; nötig wären 71. "Selbst wenn sie wollten, könnten sie also gerade gar nichts machen", sagt der Student Vanagt.

Die Debatte um die Statuen dürfte in Belgien also noch etwas weitergehen - genau wie die Demonstrationen. Inzwischen werden in Waterloo auch die Statuen beschützt, die sich auf den französischen Herrscher Napoleon beziehen, weil der 1802 in den französischen Kolonien die Sklaverei wieder einführte: Man werde in den kommenden Tagen und Nächten besonders wachsam sein, teilte die örtliche Polizei mit.

© SZ vom 17.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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