Terrorgefahr:Hat Belgien wirklich gelernt?

Terrorgefahr: Ausschreitungen marokkanischstämmiger Fußballanhänger in Brüssel nach dem WM-Sieg gegen Belgien: Woher kommt dieser Hass auf den Staat?

Ausschreitungen marokkanischstämmiger Fußballanhänger in Brüssel nach dem WM-Sieg gegen Belgien: Woher kommt dieser Hass auf den Staat?

(Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP)

Der Tod eines jungen Polizisten weckt Zweifel, ob der Sicherheitsapparat im Kampf gegen einheimische Islamisten wirklich funktioniert.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Thomas Monjoie war nach allem, was über ihn bekannt ist, ein Polizist mit Leib und Seele. Er wurde am Abend des 11. November dieses Jahres in der Nähe des Brüsseler Nordbahnhofes im Alter von 28 Jahren getötet - erstochen von einem Mann, der den belgischen Sicherheitsbehörden als möglicher islamistischer Gefährder bekannt war. Mehr noch: Der offensichtlich verwirrte Yassine M. hatte einige Stunden zuvor auf einer Polizeiwache die Beamten vor sich selbst gewarnt: Es dränge ihn, ein Attentat zu begehen, er wolle das nicht, er brauche Hilfe.

Hat Belgien aus den verheerenden Selbstmordanschlägen vom 22. März 2016 gelernt? Im Prinzip ja, lautet die zynische Antwort, wenn nun diese Woche der Strafprozess gegen die überlebenden Täter und ihre Helfer beginnt.

Salah Abdeslam und die meisten seiner Gefährten stammten aus Brüssel. Polizei und Geheimdienste wussten, dass manche von ihnen mit dem "Islamischen Staat" sympathisierten, aber niemand führte die Fäden zusammen. Ein neues System der Überwachung gibt es seither, von dem Yassine M. erfasst wurde.

Sicherheitsexperten beklagen nachlassende Aufmerksamkeit

Bei einem Gefängnisaufenthalt wurde M. als potenzieller Islamist erkannt, deshalb in eine nationale Datenbank für potenziell gewaltbereite Extremisten aufgenommen. Nach seiner Entlassung entließ der Staat M. nicht aus seiner Aufsicht. Gefährder wie M. werden auf lokaler Ebene vom Staat zweigleisig verfolgt: einerseits von Polizei und Geheimdiensten, andererseits von Sozialarbeitern. Auch auf regionaler Ebene gibt es sozialtherapeutische Betreuung für Gefährder. Alle diese Instanzen kümmerten sich um Yassine M., alle diese Instanzen sind miteinander vernetzt, im Prinzip.

Der zuständige Staatsanwalt verweigerte am 11. November der Polizei die Erlaubnis, Yassine M. in die geschlossene Psychiatrie einzuweisen. Offenbar drang nicht zu ihm durch, wie dringend er nach Ansicht seiner Betreuer psychiatrische Hilfe brauchte. Deshalb brachte ihn eine Polizeistreife in eine psychiatrische Ambulanz und gab dem Pflegepersonal auch nicht auf den Weg, wie gefährlich Yassine M. war. Im Krankenhaus ließ man den Mann ziehen, bevor ein Arzt ihn sprechen konnte. Am Ende war Thomas Monjoie tot.

Belgische Sicherheitsexperten sagen nun, offenbar habe die Aufmerksamkeit im Sicherheitsapparat nachgelassen. Nur noch rund hundert "potenziell gewalttätige Extremisten" sind in der nationalen Datei festgehalten, nur Einzelpersonen, Hinweise auf terroristische Gruppierungen gibt es offenbar nicht. Der Tod von Thomas Monjoie zwingt dem Land ebenso wie der nun beginnende Prozess die vertrauten Debatten wieder auf, sie gehen weit über die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten hinaus. Warum lassen sich islamische junge Männer nicht in die Gesellschaft integrieren? Woher kommt dieser Hass auf den belgischen Staat?

Vergangene Woche setzten junge Männer mit marokkanischen Wurzeln in der Brüsseler Innenstadt Autos in Brand, sie zerstörten Ampeln und bewarfen Polizeibeamte mit Steinen. Die marokkanische Fußball-Nationalmannschaft hatte die belgische Mannschaft besiegt - das genügte ihnen als Anlass.

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