Energieversorgung:Belgiens befristeter Ausstieg aus dem Atomausstieg

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Das Atomkraftwerk Tihange, nur 80 Kilometer von Aachen entfernt, gilt als marode. Nun soll es für eine längere Laufzeit aufgerüstet werden. (Foto: Rainer Keuenhof/imago/Manngold)

Zwei Atommeiler sollen bis 2035 laufen - zehn Jahre länger als geplant. Doch der Zeitplan der Regierung in Brüssel wird nur schwer einzuhalten sein.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Die Gefahr, dass in Belgien in den nächsten Jahren die Lichter ausgehen, sei jetzt weitgehend gebannt, sagte Ministerpräsident Alexander De Croo in einem Radiointerview am Dienstagmorgen. Am Abend zuvor hatte seine Regierung einen entscheidenden Schritt zum befristeten Ausstieg aus dem Atomausstieg gemacht: Es gibt nun eine Rahmenvereinbarung mit dem französischen Energiekonzern Engie, die zwei Kernkraftwerke Doel 4 und Tihange 3 bis zum Jahr 2035 laufen zu lassen - zehn Jahre länger als ursprünglich geplant.

Schon im März vergangenen Jahres hatte sich De Croos Regierung darauf geeinigt, den für das Jahr 2025 vorgesehenen Abschied von der Kernkraft wenn möglich zu verschieben. Die Betreibergesellschaft lehnte jedoch zunächst ab: Zu teuer, ließ Engie verlauten, außerdem wolle man mit der Kernkraft nichts mehr zu tun haben. Dass es nach einem monatelangen Ringen tatsächlich eine Einigung gibt, die sowohl für den Konzern als auch die zerbrechliche belgische Regierungskoalition tragbar erscheint, ist nicht zuletzt ein persönlicher Erfolg des liberalen Ministerpräsidenten.

Aus Deutschland kamen immer wieder Forderungen, die Anlagen stillzulegen

Kernenergie wird in Belgien an zwei Standorten produziert, mit drei Reaktorblöcken in Tihange, Provinz Lüttich, und vier in Doel bei Antwerpen. Das Gesetz, die sieben Anlagen bis zum Jahr 2025 Zug um Zug stillzulegen, stammt aus dem Jahr 2003. Der Krieg in der Ukraine samt dem Abschied vom russischen Erdgas entfachte jedoch in der Regierung einen heftigen Streit über Belgiens Energiesicherheit.

De Croo wird getragen von einer Sieben-Parteien-Koalition, der die Liberalen, Sozialisten und Grünen aus der Wallonie und aus Flandern sowie die flämischen Christlichen Demokraten angehören. Vor allem die Liberalen drängten darauf, die Laufzeiten zu verlängern. Grundlage für die nun vollzogene Wende ist ein Gutachten, demzufolge im Winter 2026/2027 die Stromversorgung in Belgien möglicherweise nicht mehr gewährleistet sei.

Umgesetzt wird die Politikwende federführend von der grünen Energieministerin Tinne Van der Straeten. Sowohl Regierungschef Alexander De Croo als auch seine Ministerin rühmten den Beschluss am Montag mit den Worten, Belgien gewinne die Kontrolle über seine Energieversorgung zurück. Van der Straeten sagte, Belgien habe nun ausreichend Zeit, den Übergang zu erneuerbaren Energien zu gestalten. Allerdings hat man sich auf einen Zeitplan geeinigt, der schwer einzuhalten sein wird.

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Die nun getroffene Vereinbarung sieht vor, dass Engie die beiden Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 im Sommer 2025 vom Netz nimmt und bis zur neuerlichen Inbetriebnahme im November 2026 umfassend aufrüstet. Vor den Verhandlungen mit der Regierung hatte Engie allerdings noch erklärt, in so kurzer Zeit sei es gar nicht möglich, die Anlagen auf den neuesten Stand der Technik und der Sicherheitsbestimmungen zu bringen.

Die belgische Regierung muss die Genehmigung der EU einholen und auch eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung einleiten. Die dürfte vor allem in Deutschland großen Widerstand hervorrufen. Die belgischen Meiler, in den 1970er- und 1980er-Jahren gebaut, gelten als marode. Die Stadt Aachen, nur 80 Kilometer von Tihange entfernt, und auch die Bundesregierung haben in der Vergangenheit immer wieder gefordert, die Anlagen stillzulegen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke kritisierte den Beschluss der belgischen Regierung, Laufzeiten zu verlängern, schon vergangenes Jahr als "bedauerlich".

Die beiden aufgerüsteten Reaktoren sollen in einer Gesellschaft geführt werden, die zu 50 Prozent Engie und zu 50 Prozent dem belgischen Staat gehört. Auch die zusätzlichen Kosten der Atommüllentsorgung will man sich bis zu einer gewissen Summe teilen. Wo dieses Fixum liegt, muss noch verhandelt werden, darüber hinaus geht der belgische Staat ins Risiko.

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