Belgien:Die Affäre Chovanec

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Der frühere belgische Innenminister Jan Jambon kann sich nicht an den Fall des verstorbenen Slowaken erinnern, sagt er. Doch er soll wegen des Vorfalls Kontakt zur slowakischen Botschaft gehabt haben. (Foto: Nicolas Maeterlinck/afp)

Nach dem Tod eines Mannes in einer Arrestzelle ist eine Debatte über Polizeigewalt entbrannt. Das beeinflusst die Regierungsbildung.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Eine Woche, nachdem in Belgien ein mutmaßlicher Fall von Polizeigewalt aus dem Jahr 2018 öffentlich wurde, ist in der belgischen Politik ein Streit um die Frage entbrannt, wer was wann wusste. Es tue ihm leid, dass er der Sache nicht schon früher seine Aufmerksamkeit gewidmet habe, aber er bekomme einfach sehr viele E-Mails, entschuldigte sich etwa der Justizminister Koen Geens am Mittwoch bei einer Anhörung vor dem Innenausschuss des belgischen Parlaments.

Vor einer Woche hatten belgische Medien ein Video aus dem Januar 2018 veröffentlicht. Darin ist zu sehen, wie ein offenbar psychisch kranker Mann in einer Arrestzelle am Flughafen von Charleroi von fünf Polizisten rabiat auf einer Pritsche fixiert wird, daneben zeigt eine Polizistin den Hitlergruß. Jozef Chovanec, ein 38-jähriger Slowake, erlitt in der Zelle einen Herzinfarkt, drei Tage später starb er im Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft Charleroi untersucht den Fall seit mehr als zweieinhalb Jahren. Der Fall erinnert in Belgien viele an den Tod von George Floyd in den USA.

Der damalige belgische Innenminister, Jan Jambon von der flämischen Nationalistenpartei N-VA, hatte nach Bekanntwerden des Videos gesagt, er habe von dem Fall nichts gewusst: "Niemals, kein einziges Wort", sagte er vergangene Woche im flämischen Fernsehen. Eine Darstellung, der sein Nachfolger Pieter De Crem von den flämischen Christdemokraten CD&V am Mittwoch widersprach: Sein Vorgänger habe 2018 Kontakt mit der slowakischen Botschaft gehabt, dabei wurde über den Fall gesprochen. Jambon ließ nach der Anhörung mitteilen, er halte daran fest, sich an nichts zu erinnern. Allerdings sei sein damaliges Kabinett mit der Sache befasst gewesen - allerdings ohne auf das wahre Ausmaß der Affäre hingewiesen worden zu sein. Justizminister Geens teilte am Mittwoch außerdem mit, dass der Untersuchungsrichter angeordnet habe, den Vorfall nachzustellen, um mehr Klarheit über den genauen Ablauf zu gewinnen. Ganz schön spät, wie Kritiker sagen.

Die Diskussionen über die "Affäre Chovanec" könnten auch den Fortgang der Gespräche über die Regierungsbildung in Belgien beeinflussen. Die liberale Premierministerin Sophie Wilmès steht einer Minderheitsregierung vor und ist nur geschäftsführend im Amt. Sie hat angekündigt, im September die Vertrauensfrage zu stellen, um Platz zu machen für eine Regierung mit einer parlamentarischen Mehrheit. Am meisten Chancen werden derzeit einer Koalition eingeräumt, in der Liberale, Grüne, Sozialisten und die flämischen Christdemokraten zusammenarbeiten könnten. Bislang war so eine Koalition aber vor allem am Widerwillen der CD&V gescheitert: Gerade Pieter de Crem hatte wiederholt gesagt, dass er sich eine Regierungsbeteiligung nur vorstellen könne, wenn daran auch die flämischen Nationalisten von der N-VA beteiligt wären, die in Flandern die Mehrheit haben. Die anderen Parteien aber stehen einer Regierungsbeteiligung der N-VA kritisch gegenüber.

Dass CD&V-Minister De Crem seinem N-VA-Vorgänger Jambon nun öffentlich kritisiert, lässt manche hoffen, dass es mit der Solidarität der CD&V mit der N-VA auch bei der Regierungsbildung bald ein Ende haben könnte. Klarheit könnte es bald geben: An diesem Freitag erwartet der König einen Bericht über den Fortgang der Gespräche.

© SZ vom 28.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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