Belgien:Das doppelte Land

Zwar wählen Flamen und Wallonen am Sonntag in Belgien ein gemeinsames Parlament, doch die Gesellschaft bleibt tief gespalten.

Cornelia Bolesch

Wenn zwei liberale Politiker sich auf ein Tandem setzen, um Wahlkampf zu machen, ist das nichts Besonderes. In Belgien schon. Hier war es den Medien eine extra Meldung wert, dass der flämische Liberale Vincent Van Quickenborne und sein frankophoner Kollege Alain Destexhe gemeinsam die belgische Nordseeküste entlangstrampelten, um für ein gutes Abschneiden der Liberalen bei den landesweiten Wahlen an diesem Sonntag zu werben.

In Belgien gibt es nämlich gleich zwei liberale Parteien und die haben im politischen Alltag nicht viel miteinander zu tun. Im niederländisch sprechenden Flandern heißt die liberale Partei Open VLD. Für die kandidiert nicht nur Belgiens gegenwärtiger Premier Guy Verhofstadt, sondern auch sein Parteifreund Van Quickenborne.

Alain Destexhe dagegen ist ein Liberaler aus dem Süden, wo man Französisch spricht. Dort heißt die Partei MR (Mouvement Reformateur) und wird von Belgiens Finanzminister Didier Reynders geführt. Im Kleinstaat Belgien leistet man sich alle Parteien gleich doppelt: Christdemokraten, Sozialisten, Liberale, Grüne, Rechte. Je eine Version pro Sprachgebiet.

Verhofstadt spielt Kaninchen

Nur in der zweisprachigen Region Brüssel treten sie alle zusammen an. Die Regierungsbildung gleicht einem schwierigen Puzzle. So ungewiss wie diesmal war der Wahlausgang noch nie. Amtsinhaber Verhofstadt ist als Einziger unter den Spitzenpolitikern zwar überall in Belgien populär. Dennoch kämpft der 54-Jährige mit dem Rücken zur Wand.

Zurzeit regiert er eine Koalition aus Liberalen und Sozialisten. Doch Verhofstadts Liberale liegen jetzt in den Umfragen in Flandern nur auf dem vierten Platz, weit hinter dem christdemokratisch-nationalen Parteienbündnis CD&V-NVA des flämischen Ministerpräsidenten Yves Leterme.

Den Liberalen in der Wallonie geht es unter Finanzminister Didier Reynders zwar viel besser - nicht zuletzt durch tatkräftige Mithilfe des fülligen Louis Michel, der sich für den Wahlkampf vom Posten des EU-Kommissars für Entwicklungshilfe hat beurlauben lassen.

Doch niemand traut es den beiden liberalen Parteien zu, gemeinsam zur stärksten Kraft zu werden. Als hätte er innerlich schon resigniert, übt Verhofstadt im Internet schon mal den Dialog mit der nächsten Wählergeneration. Auf der Seite www.guy4kids.be tritt er als blaues Kaninchen auf und bekennt, dass er gerne Bücher liest und Turnen sein Lieblingsfach war.

Das doppelte Land

Favorit bei diesen Wahlen ist Yves Leterme aus Flandern. Er ist Jurist und wie Verhofstadt überzeugter Europäer. Beide Männer sind Radsportfans. Hier enden die Gemeinsamkeiten allerdings. Verhofstadt pflegt das Image eines politischen Wirbelwinds. Leterme wirkt eher wie ein seriöser Buchhalter. "Ein politischer Messias ist er nicht", urteilte jüngst ein Kommentator. In Flandern aber kommt die Nüchternheit an.

Damit Leterme Premierminister werden kann, müssen auch die wallonischen Christdemokraten (CDH) zulegen. Die sind mit Letermes Kurs aber nicht immer einverstanden. Wie alle frankophonen Parteien hält die CDH unter der Politikerin Joelle Milquet strikt am aktuellen Finanzausgleich zwischen dem reichen Flandern und dem armen Wallonien fest.

Letermes großes Projekt - mehr politische "Autonomie" für Flandern - betrachtet die CDH mit großem Argwohn. Sie plädiert lieber für das neue Amt eines Ministers für "intra-belgische Angelegenheiten".

Ein frankophoner Premier wäre eine Provokation für flandrische Politiker

Bleiben die Sozialisten. In Flandern treten sie im Wahlbündnis S.PA-Spirit an und sind nach den Christdemokraten und dem Vlaams Belang die drittstärkste Kraft. Spitzenkandidat ist der angesehene Johann Vande Lanotte, der auch schon Haushaltsminister in der Regierung Verhofstadt war.

Die Hochburg der Sozialisten jedoch ist das sozial gebeutelte Wallonien. Dort heißt die Partei SP und wird seit einigen Jahren von einer atemberaubenden lokalen Korruptionsserie heimgesucht, in die fast alle SP-Funktionsträger der Stadt Charleroi verwickelt sind.

Elio Di Rupo, wallonischer Ministerpräsident und SP-Parteichef, kämpft dennoch unverdrossen und nicht ohne Erfolg um ein sauberes Image der Sozialisten. Doch selbst wenn sich die SP an der Spitze der Wallonie halten kann, hätte Di Rupo kaum Chancen, nächster belgischer Premier zu werden.

Das doppelte Land

Weder seine italienische Herkunft noch seine Homosexualität gelten als größtes Hindernis, sondern seine Sprache. Ein Französisch sprechender Premier aus der armen Wallonie wäre für die politische Klasse im prosperierenden Flandern eine Provokation.

Von den geschätzten sieben Milliarden Euro, die pro Jahr aus dem reichen Norden in den verarmten Süden fließen, könne sich jeder Flame einmal im Jahr einen VW kaufen - so lautet ein populärer Slogan in Flandern. In Wallonien würden die Gelder verschwendet, in dieser Kritik sind sich alle flämischen Parteien einig. Offen für die Unabhängigkeit Flanderns tritt aber nur der Vlaams Belang ein.

Yves Leterme spricht lieber von "Transparenz" und "Fairness". Er will mehr politische Autonomie für Flandern in der Arbeitsmarktpolitik. Auch die Liberalen und die Sozialisten im Norden stützen diesen Kurs und stellen die bisherige Subventionspolitik zugunsten der Wallonie in Frage.

Bis das Puzzle passt, werden Wochen vergehen

Auf der anderen Seite der Grenze weisen alle frankophonen Parteien solche Planspiele entrüstet zurück. Im Wahlkampf wurde dieser Konflikt eher verdeckt ausgetragen. Lieber stritt man sich über den Klimaschutz, die überfüllten belgischen Gefängnisse und über die Frage, ob öffentliche Amtsträger Kopftücher tragen dürfen.

Verhofstadt präsentierte sich als visionärer Politiker, der seinem Land gute Wirtschaftsdaten beschert und das Abenteuer Irak erspart habe. Über Leterme spottete er, dem fiele politisch nicht viel mehr ein als "gute Verwaltung".

Mitten im Wahlkampfgetöse wissen die Politiker jedoch, dass sie sich bald in einer übergroßen Koalition wiederfinden könnten. Die wäre jedenfalls nötig, um Belgien weiter zu reformieren. Wahlbezirke entlang der sensiblen Sprachengrenze müssen neu angepasst, die Finanztransfers neu ausgehandelt werden.

Bis das Puzzle passt, bis die Regierung endgültig steht, werden Wochen vergehen. Die Welt wird sich dann bald wieder abwenden von diesen 30 528 Quadratkilometern europäischer Erde, die man in zwei Sprachen und mit Hilfe der berühmten belgischen Kompromisse zu regieren versucht.

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