Rudy Steenbeek weiß nicht, warum man das ändern sollte. Interesse an einer Sprache könne man ja nicht einfach verordnen. Er selbst hat Niederländisch gelernt, um seinen flämischen Kunden Medizin zu verkaufen.
An der Grenze zwischen flämischer und wallonischer Region: der Großraum Brüssel
(Foto: Grafik: SZ)Ohne Niederländisch zu können, dürfte er in Kraainem auch gar nicht im Sozialausschuss der Gemeinde sitzen. "Man braucht einen Grund, um Sprachen zu lernen. Die Liebe, die Suche nach einem Job ..."
Das Motiv "Respekt" nennt Rudy Steenbeek nicht. Respekt gegenüber dem Milieu, in dem man lebt. Er findet, das gelte doch nur im Ausland. Dort müsse man sich anpassen. Aber doch nicht hier. Nicht in Belgien.
"Ich bin doch kein Fremder im eigenen Land." Dabei ist mangelnder gegenseitiger Respekt die Ursache der belgischen Krankheit. Sie grassiert vor allem am Brüsseler Rand.
In sechs Brüsseler Randgemeinden haben deren französisch sprechende Einwohner seit 1963 spezielle Rechte. Die Ortsschilder sind zweisprachig. Auskünfte werden auch auf Französisch erteilt. Die Kommune finanziert frankophone Grundschulen und Bibliotheken.
Was am Anfang als perfekte Minderheitenpolitik erschien, hat sich zwischen Flamen und Frankophonen im Laufe der Zeit in ein groteskes Missverständnis verwandelt. In einem Teil der flämischen Gemeinden ist aus der Minderheit längst die Mehrheit geworden. Doch den Flamen fällt es schwer, das zu akzeptieren.
Klingende Namen
In Kraainem leben nur noch 1800 Flamen, aber 7900 Frankophone. Die Frankophonen besetzen 18 von 23 Sitzen im Gemeinderat. Sie wollen nicht mehr nach der Pfeife der flämischen Regionalregierung tanzen.
Ihre Bürgermeister sind Adelige mit klingenden Namen wie Arnold d'Oreye de Lantremange in Kraainem oder François van Hoobrouck d'Aspre in Wezembeek-Oppem. Sie legen sich mit flämischen Politikern an, die schlicht Leo Peeters oder Marino Keulen heißen, aber stur verfügen, dass Wahlaufrufe und andere offizielle Bekanntmachungen in französischer Sprache den Frankophonen nicht mehr automatisch zugestellt werden dürfen, sondern immer extra beantragt werden müssen.
Einige der 2006 frisch gewählten frankophonen Bürgermeister halten sich nicht an diese Order. Die flämische Regionalregierung hat sie deswegen wegen Unbotmäßigkeit immer noch nicht im Amt bestätigt.
Im Gemeindezentrum von Kraainem ist von solchen Turbulenzen nichts zu spüren. Vor dem modernen Bau wehen einträchtig die Flaggen von Europa, Belgien, Flandern und Kraainem. Im Gebäude herrscht die Atmosphäre einer offenen und effizienten Verwaltung.
400 Brillen haben die Einwohner gerade für Afrika gesammelt. Wer in Kraainem wohnt, dem hilft die Gemeinde mit einem Füllhorn bunter Ratgeber beim Bau von Veranden, Carports, Schwimmbädern und Terrassen. Zweisprachige Hinweise zeigen den Besuchern, wo man "sacs poubelles" beziehungsweise "huisvuilzakken" (Müllsäcke) abholen kann.