Süddeutsche Zeitung

Belarus:Präsident in Not

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Alexander Lukaschenko kann sich einen Sieg bei der Wahl mühelos zurechtzimmern. Auch wenn er dann mit Protesten rechnen muss. Russland wird zu ihm halten - allerdings zu einem hohen Preis.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Alexander Lukaschenko ist in einem Vierteljahrhundert an der Macht immer wieder mal in Bedrängnis gewesen, und er hat stets gewusst, an wen er sich dann zu wenden hatte. Lief es schlecht mit dem großen Nachbarn Russland, traf er sich umso häufiger mit westlichen Politikern. Ließ er dagegen Demonstrationen niederprügeln, und die EU antwortete mit Groll und Sanktionen, konnte er sich das auch deshalb leisten, weil Moskau mit einem eindrucksvollen Kredit weiterhalf. Beim Umgang mit Menschenrechten stellt Russland keine unbequemen Fragen. Lukaschenko ist ein Meister dieser Form des Ausgleichs. Das ging auch deshalb für ihn auf, weil die belarussische Bevölkerung die außenpolitischen Volten meistens teilnahmslos oder eingeschüchtert ertrug. Jetzt ist vieles anders.

Am Sonntag ist Präsidentenwahl, und Lukaschenko ist in der größten Not seiner 26 Amtsjahre. Mit Russland hat er sich schon seit langer Zeit überworfen, jetzt äußert er sogar Invasionsphobien. Er gibt sich immer noch einigermaßen charmant gegenüber dem Westen, doch der warnt vor einer Fälschung der Wahl und könnte bei einer Niederschlagung der Protestbewegung vor der Frage neuer Sanktionen stehen. Das größte Ungemach für ihn aber droht aus der eigenen Bevölkerung. Unübersehbar ist der Überdruss, den viele Menschen gegenüber dem Präsidenten entwickelt haben; Zehntausende sind unerschrocken zu den Kundgebungen der jungen Herausfordererin Swetlana Tichanowskaja gekommen, und dies ist nur der sichtbare Teil der Unzufriedenen.

Das hat viel damit zu tun, dass es in Belarus bisher eine Art virtuelles Band zwischen Gesellschaft und Staat gegeben hat, das nun porös geworden ist: Die Menschen spüren ohnehin kaum Freiheit und Pluralismus, wie es sie im benachbarten Polen gibt, auf das viele Belarussen neidvoll schauen. Zugleich aber geht es auch wirtschaftlich nun schon länger bergab. Die Corona-Pandemie, von Lukaschenko ziemlich arrogant verharmlost, hat den Frust vieler Menschen vergrößert, weil sie den Staat nicht als Fürsorger in der Krise wahrnehmen, sondern sich alleingelassen fühlen. Die Wahl bietet ihnen die Gelegenheit, ihre Wut zu bündeln und Tichanowskaja zu unterstützen, die kaum mehr will, als bei einem Sieg die Wahl zu wiederholen, und zwar ehrlich. Viele werden diesem Angebot nicht widerstehen.

Das Szenario für die nächsten Tage ist aber leider düster. Lukaschenko hat klargemacht, dass für ihn nur ein Sieg infrage kommt. Den kann er sich bei dieser Wahl ohne OSZE-Beobachter zwar mühelos zimmern. Dann aber muss er mit Protest rechnen, den er vorauseilend als "Brand" und "hybriden Krieg" bezeichnet hat. Wenn er so ungeniert der eigenen Bevölkerung misstraut und nur noch zwischen Gefolgschaft und Feindschaft unterscheidet, lässt dies Schlimmes befürchten.

Auf eines kann er wohl trotzdem setzen: Der Kreml, so unzufrieden er mit Minsk ist, weiß, was er an Lukaschenko hat. Moskau wird sich im Zweifelsfall auf seine Seite stellen, denn bei einem Sieg Tichanowskajas könnte sich auch in Russland die wachsende Protestbewegung ermuntert fühlen. Das wird Wladimir Putin nicht wollen. Der Preis für eine neuerliche russisch-belarussische Verbrüderung dürfte aus Lukaschenkos Sicht hoch werden: eine vertiefte Integration, die er stets abgelehnt hat. Er hat viel zu verlieren.

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SZ vom 08.08.2020
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