Krise um die Ukraine:Die Kehrtwende des Alexander Lukaschenko

Krise um die Ukraine: Russlands Präsident Wladimir Putin und der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko (li.) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Kreml im Herbst 2021.

Russlands Präsident Wladimir Putin und der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko (li.) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Kreml im Herbst 2021.

(Foto: SHAMIL ZHUMATOV/AFP)

Belarus hat lange die Ukraine unterstützt, doch jetzt ist es fest mit Russland verbündet. Das vergrößert die Sorgen in Kiew und Washington.

Von Frank Nienhuysen

Die Warnungen Richtung Osten sind kaum noch zählbar, diesmal aber hat Washington nicht Moskau gemeint. Es ist Minsk. Das US-Außenministerium drohte am Dienstag mit einer "entschiedenen Antwort", sollte Belarus seinem Verbündeten Russland dabei helfen, in die Ukraine einzumarschieren.

Jahrelang hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko die Nerven im Kreml strapaziert, weil er Russland sogar deutlicher kritisierte als die USA, weil er das gute, freundschaftliche Verhältnis zum Nachbarn Ukraine betonte, die Krim-Annexion nicht anerkannte, weil er sich als Vermittler anbot im Minsker Friedensprozess. Die ukrainische Führung wusste: Sie kann einigermaßen auf Lukaschenko zählen, da dieser selber um die Souveränität seines Landes kämpfte und fürchtete, Russland könne auch Belarus an sich reißen.

Doch seit der offensichtlich manipulierten Präsidentenwahl vor anderthalb Jahren hat sich die Lage radikal verändert. Belarus ist nun noch abhängiger von seinem Bruderstaat Russland, es hat inzwischen die Krim-Annexion anerkannt, während viele belarussische Regimekritiker in die Ukraine geflüchtet sind und sich dort ein neues Leben aufbauen. Kiew und der Westen sind nun besorgt, dass sich im Norden, von Belarus her, eine weitere Bedrohung aufbauen könnte, im schlimmsten Fall sogar eine eigene Front.

"Belarus macht jetzt vollständig mit bei der russischen Eskalationskampagne gegen die Ukraine", heißt es in einer Analyse des amerikanischen Instituts Atlantic Council. Russland sei gerade dabei, seinen "militärischen Fußabdruck in Belarus zu vergrößern", da Moskau angekündigt habe, zwölf Kampfjets, zwei Einheiten des Luftabwehrsystems S-400 sowie ein weiteres Abwehrsystem nach Belarus zu bringen. Auch bei Cyberangriffen sei das Land "Putins kleiner Helfer", schreibt der Atlantic Council.

Belarussische Hacker wollen russischen Rückzug

Hintergrund ist, dass Lukaschenko und Kremlchef Wladimir Putin im Dezember ein gemeinsames russisch-belarussisches Militärmanöver vereinbart haben, das vom 10. bis 20. Februar stattfinden soll. Sein Name: Sojusnaja Reschimostj, etwa: Verbündete Entschlossenheit. Das allein dürfte in der ukrainischen Führung noch keine Ängste auslösen, denn Militärübungen diverser Art gibt es in der Region schon länger. Es ist eher Lukaschenkos scharfer Tonfall, der sich dem Putins angeglichen hat.

"Es schmerzt uns zu sehen, was in der Ukraine geschieht", sagte der Minsker Machthaber, "ihre politische Führung, die von außen kontrolliert wird, verhält sich manchmal unvorhersehbar und irrational. Deshalb müssen wir bereit sein für diese Unberechenbarkeit und, Gott behüte, militärische Aktionen." Russland hat die Krim annektiert, unterstützt seit Jahren die Separatisten in der Ostukraine, hat mehr als 100 000 Soldaten an der ukrainischen Grenze zusammengezogen - und Lukaschenko befürchtet einen Angriff der Ukraine. Nach seinen Worten: der fremdgesteuerten Ukraine.

Belarus zählt also anders: 23 000 Soldaten in westlicher und südlicher Nachbarschaft plus 10 000 Nato-Soldaten und 300 Panzer bedeuten demnach, dass "unser Land auf diese Herausforderungen antworten muss", wie der belarussische Generalstabschef Viktor Gulewitsch der Staatsagentur Belta sagte. Ein Bericht der Lukaschenko-treuen Propagandazeitung Belarus Heute vergleicht die Ukraine mit einem gescheiterten Staat in Afrika, in dem "Marionetten" an der Macht seien. Auch der Name des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko fiel dabei.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij gibt sich bisher recht gelassen; offensichtlich geht er nicht davon aus, dass Belarus mit seinem südlichen Nachbarn völlig bricht, zumal Stromlieferungen beide Länder aneinanderbinden. Spekulationen, Russland könne Atomwaffen in Belarus stationieren, hält Selenskij für unwahrscheinlich. Mit solchen Dingen spiele man nicht, und falls doch, wisse er dann wenigstens, wo sich ein Teil des russischen Atomarsenals befinde.

Einige Helfer in der schweren Krise scheint die Ukraine im Übrigen unter den Belarussen selbst zu haben. Die Zeitung Kyiv Post berichtete am Mittwoch, eine oppositionelle belarussische Hackergruppe namens Cyberpartisanen habe nach deren Angaben erfolgreich das Netz der belarussischen staatlichen Eisenbahn angegriffen. Sie drohe mit der Zerstörung von Daten und stelle zwei Forderungen: die Freilassung aller politischen Gefangenen - und den Rückzug russischer Truppen aus Belarus.

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