Süddeutsche Zeitung

Krise in Belarus:Der große Spagat der Lukaschenko-Gegner

Die Opposition sucht einerseits Unterstützung in Europa. Zugleich muss sie aber das Signal nach Moskau senden, dass ihre Ziele nicht antirussisch sind.

Von Silke Bigalke, Moskau

- Während Machthaber Alexander Lukaschenko am Mittwoch angeordnet hat, wieder mit ganzer Härte gegen Demonstranten vorzugehen, versucht die belarussische Opposition in diesen Tagendrei Botschaften zu senden. Eine an Europa - die Bitte um Unterstützung für freie Wahlen in Belarus. Eine an ihre Anhänger, die sich nicht entmutigen lassen und an einen Zukunftsplan glauben sollen. Die dritte richtete sie an Moskau. Es ist die Versicherung, dass sich Belarus auch oder gerade ohne Machthaber Alexander Lukaschenko gute Beziehungen zu Russland wünscht.

Man kann ahnen, wie groß dieser Spagat ist, den die kleine Gruppe Oppositioneller da probiert. Ihre Anhänger glauben, dass Kandidatin Swetlana Tichanowskaja die manipulierte Präsidentschaftswahl am Sonntag vor einer Woche eigentlich gewonnen hat. Die 37-Jährige ist nach Litauen geflohen und kommuniziert seither durch Videobotschaften mit ihnen.

Nun wandte sie sich an die Staatschefs der EU. Das Wahlergebnis sei gefälscht, sagte sie im schwarzen Blazer vor schwarzem Hintergrund. Die Menschen, die ihre Stimmen verteidigen wollten, seien brutal geschlagen, festgenommen und gefoltert worden, "durch ein Regime, das verzweifelt an der Macht festhält". Ein Koordinierungsrat solle das Land erst durch den Machtwechsel und dann zu demokratischen Wahlen führen. "Ich rufe Sie auf, das Erwachen von Belarus zu unterstützen", sagte sie.

Der Koordinierungsrat traf sich am Mittwoch zum ersten Mal. Praktisch jeder Experte oder Prominente konnte sich bewerben. Mehr als 30 Mitglieder suchte Tichanowskajas Stab bisher aus, darunter Ökonomen, Politiker, Juristen, Journalisten, Kulturschaffende. Bekanntestes Mitglied ist Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, die Lukaschenko davor gewarnt hatte, Belarus in den "Abgrund eines Bürgerkriegs" zu stürzen. Am Dienstag stieß Pawel Latuschko dazu, früher Kulturminister, Diplomat und zuletzt Theaterdirektor. Er wurde entlassen, als er sich auf die Seite der Demonstrierenden stellte.

Der Rat solle den besten Weg für eine Machtübergabe finden, seien dies Neuwahlen oder "eine andere Option", sagte Maria Kolesnikowa, die letzte des Frauentrios um Tichanowskaja, die noch in Minsk ist. Sie stellte auch klar, dass es für eine Neuauszählung der Stimmen zu spät sei, viele Stimmzettel wurden inzwischen vernichtet. Am Dienstag war sie noch in Soligorsk, um die streikenden Minenarbeiter zu unterstützen.

Die Proteste gegen Lukaschenko halten zwar an. Doch wie viel Kraft der landesweite Generalstreik entfalten wird, ist unsicher. Streikende stehen unter großem Druck ihrer Betriebsleiter. Am Mittwoch gingen Einsatzkräfte gegen Demonstrierende am Minsker Traktorenwerk vor. Dutzende seien verhaftet worden, sagte der Vorsitzende des Streikkomitees. Zwei waren es laut Innenministerium.

Am Mittwoch traf sich Lukaschenko erneut mit dem Sicherheitsrat und gab Anweisungen, noch härter durchzugreifen. Der Innenminister solle alle Unruhen, besonders in Minsk, beenden und "arbeitende Leute" schützen, "sie wollen Ruhe und Frieden". Der Grenzschutz müsse die ganze Grenze stärker bewachen, damit "kein ausländisches Militär, Waffen, Munition oder Geld, um Proteste zu finanzieren" ins Land kämen.

Dem Verteidigungsministerium trug er auf, Nato-Truppen in Polen und Litauen zu beobachten: "Bestimmte Fakten, vor allem in Richtung Grodno, machen uns Sorgen." In Grodno an der polnischen Grenze gab es wie in vielen Städten Proteste. Lukaschenko sah dort "großes Verlangen zu destabilisieren". Zuvor hatte er erklärt, die Streitkräfte an der Grenze zu EU-Nachbarländern würden in volle Gefechtsbereitschaft gesetzt. Den Protest stellt er weiter als vom Ausland gesteuert dar.

Schon am Dienstag deutete Lukaschenko vor dem Sicherheitsrat an, nach der Zurückhaltung am Wochenende erneut hart gegen Demonstrierende vorzugehen. Den Koordinationsrat nannte er "einen Versuch der Machtergreifung". Vor allem bemüht sich Lukaschenko, die Opposition als russlandfeindlich hinzustellen.

Sie wolle Verträge mit Russland kündigen, Grenzkontrollen und Zölle einführen, russische Sender in Belarus verbieten, der Nato beitreten, die russische Sprache nach und nach verbieten, Krieg gegen die russisch-orthodoxe Kirche anzetteln. Nichts davon entspricht den Fakten. Doch versucht Lukaschenko, Russland zum Eingreifen zu bewegen. Die Opposition kennt diese Taktik. "Russland ist für uns ein wichtiger außenpolitischer und wirtschaftlicher Partner, das ist uns bewusst, und wir schätzen das", sagte die Oppositionelle Maria Kolesnikowa dem russischen Radiosender Echo Moskwy, "alle bestehenden Vereinbarungen müssen eingehalten werden". Sie bedauere, dass es zuletzt Spannungen in der Zusammenarbeit gab. Dies beweise, dass Lukaschenko dem Aufbau normaler Partnerschaftsbeziehungen "absolut nicht gewachsen" sei. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow erklärte am Mittwoch, Russland sehe derzeit keinen Grund, im Rahmen des Sicherheitsvertrags in Belarus einzugreifen.

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SZ vom 20.08.2020/odg
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