Süddeutsche Zeitung

Osteuropa:EU will "Schwarze Liste" für Reisefirmen

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Die EU-Kommission beschließt Maßnahmen, um die Situation an der belarussischen Grenze in den Griff zu bekommen. Dazu gehören Sanktionen gegen Fluggesellschaften und Reiseveranstalter, die sich am Menschenhandel beteiligen.

Von Josef Kelnberger, Brüssel/Straßburg

Die Institutionen der Europäische Union sind im Umgang mit der polnischen Regierung derzeit einem Stresstest ausgesetzt. Sie müssen Solidarität mit Polen zeigen, wenn es um die Lage an der Grenze zu Belarus geht - und zugleich Entschlossenheit demonstrieren, wenn sie in Fragen der Rechtsstaatlichkeit gegen Polen vorgehen.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nutzt die Abwehr von Migranten an der Landesgrenze zu Belarus mittlerweile gern, um sich als Retter der wahren europäischen Werte darzustellen. Die EU-Kommission versucht nun, der polnischen Saga vom Freiheitskampf im Namen Europas eine andere Erzählung entgegenzusetzen: Es sei das gemeinschaftliche Handeln der Europäischen Union, das den belarussischen Machthaber und Menschenschleuser Alexander Lukaschenko in die Schranken weise.

"Ganz Europa steht in dieser Frage solidarisch an der Seite Litauens, Polens und Lettlands", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag in einer Rede vor dem Europaparlament in Straßburg. Es gebe mittlerweile eine Entspannung an den Grenzen zu Belarus. Und die Entspannung habe mit dem Vorgehen der EU zu tun. Was von der Leyen meinte: vor allem mit den vielfältigen Bemühungen ihrer Kommission.

Die Präsidentin erwähnte ihren eigenen Abstecher zu US-Präsident Joe Biden ebenso wie die vielen Reisen ihres Stellvertreters Margaritis Schinas. So sei es gelungen, durch das Mobilisieren internationaler Solidarität, durch die Androhung von Sanktionen, durch Gespräche mit Vertretern von Herkunfts- und Transitländern sowie mit Fluggesellschaften, die Reisen von Migranten Richtung Belarus zu begrenzen. Am Dienstag beschloss die Kommission ein Bündel weiterer Maßnahmen, um die Situation an der belarussischen Grenze in den Griff zu bekommen und für ähnliche Krisen in der Zukunft gerüstet zu sein.

Mit einem neuen Gesetz will die EU gegen Menschenhandel und Schleuserkriminalität vorgehen, wie man sie dem belarussischen Autokraten Lukaschenko vorwirft. Das Gesetz soll es ermöglichen, Fluggesellschaften und Reiseveranstalter auf eine "Schwarze Liste" zu setzen. Speziell für das Sanktionsregime gegen Belarus hatten die EU-Außenminister vergangene Woche entsprechende Strafen gegen Airlines und Reiseveranstalter beschlossen. Das neue Gesetz soll für alle Verkehrsmittel und Transportarten gelten - und auch in Zukunft für Fälle, in denen Schleuser versuchen, mit der illegalen Migration in die EU Geld zu verdienen. Den Unternehmen und Privatpersonen, die auf der "Schwarzen Liste" stehen, können beispielsweise Land-, Überflugs- oder Transitrechte in der EU entzogen werden. Von der Leyen appellierte an das Parlament, das Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden.

Mehr Geld für Polen, Litauen und Lettland für den Unterhalt ihrer Grenzen

Die Kommissionspräsidentin stellte zudem den Regierungen in Polen, Litauen und Lettland zusätzliche 230 Millionen Euro für den Unterhalt ihrer Grenzen zu Belarus in Aussicht. In der Frage, ob die Europäische Union Mauern oder Zäune in den drei Ländern bezahlen solle, hatte es zuletzt einen Dissens zwischen der Kommission und einem Dutzend Mitgliedsländern gegeben. Von der Leyen lehnte es ab, "Mauern und Stacheldraht" zu finanzieren; Ratspräsident Charles Michel, der die 27 Mitgliedsländer repräsentiert, stellte diese Haltung öffentlich infrage.

Die Präsidentin ließ am Dienstag erkennen, dass sie bei ihrer Haltung bleibt. Sie verwies darauf, dass im EU-Haushalt 6,4 Milliarden für das Grenzmanagement veranschlagt sind: für elektronische Überwachungstechnik, Patrouillenfahrzeuge, Satelliten-Bildgebung und ähnliche Infrastruktur. Nicht für Mauern und Zäune. Die Mittel, die daraus Polen, Litauen und Lettland zustehen, sollen für den Zeitraum von zwei Jahren verdreifacht werden.

Als eine weitere Lehre aus der Krise an der Grenze zu Belarus will die Kommission die europäischen Regeln für Asyl und Rückführung "bei hybriden Angriffen" reformieren. Wie genau, ließ Ursula von der Leyen offen. Sie sagte nur: "Irreguläre Einreisen" müssten "zügig und geordnet" behandelt werden, jedoch "im Einklang mit den Grundrechten". Das konnte man auch als Mahnung an Polen interpretieren. Den polnischen Grenzbeamten wird vorgeworfen, illegale "Pushbacks" zu betreiben, also Migranten zurückzuschicken, die bereits die Grenze überquert haben.

Die für Migration zuständige Kommissarin Ylva Johansson sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung und anderen europäischen Medien, die EU werde Pushbacks niemals legalisieren. Polens Regierungschef Morawiecki hatte vor kurzem ein anderslautendes Gesetz im nationalen Parlament verabschieden lassen. Dieses Gesetz widerspreche in Teilen den Werten und Prinzipien der EU, sagt Johansson, die Kommission werde mit der polnischen Regierung darüber reden müssen. Generell kritisiert die Schwedin die Art und Weise, wie Polen die Krise an der Grenze im Alleingang zu bewältigen versucht. "Dieser Ausnahmezustand, dieser Mangel an Transparenz ist nicht gut." Sie forderte zum wiederholten Mal, Polen solle die Hilfe der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Anspruch nehmen. Außerdem müssten internationale Hilfsorganisationen und Menschenrechtsorganisationen dauerhaft Zugang erhalten. Die Menschen, die an der Grenze feststeckten, bräuchten dringend Hilfe.

Unterstützung leistet die EU zusammen mit den Vereinten Nationen auch bei der Rückreise von Migranten, die in Belarus gestrandet sind. Bis zu 3,5 Millionen Euro werde man dafür mobilisieren, sagte von der Leyen. Es ist vor allem der Irak, der Staatsangehörige heimfliegen lässt. Die polnische Regierung bestätigte, am Montag sei neuerlich ein Flugzeug mit 118 Migranten an Bord aus Minsk abgeflogen. Weitere Flüge seien noch diese Woche geplant. Zugleich gebe es Anzeichen dafür, dass andere Migranten an die Grenze zu Polen gebracht würden. Die Krise sei noch längst nicht vorüber.

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