Belarus:Lukaschenkos Angst-Apparat

MINSK, BELARUS - AUGUST 10, 2020: Riot police officers guard a street during a protest against the results of the 2020

Polizisten, wie hier am 10. August in Minsk, sollen die Demonstranten einschüchtern. Die aber lassen sich bisher nicht aufhalten.

(Foto: Natalia Fedosenko/ITAR-TASS/imago images)

Kaum jemand weiß, wie groß die belarussischen Sicherheitsorgane wirklich sind. Für den Dauerpräsidenten aber sind sie enorm wichtig: Sein Schicksal hängt davon ab, ob es ihm gelingt, die Angst wieder zu wecken.

Von Julian Hans

Zum Abschluss eines Wahlkampfes senden Politiker gern Signale entspannter Selbstgewissheit: Bilder im Kreis der Familie, zuversichtlich lächelnd mit dem Team der engsten Unterstützer.

Alexander Lukaschenko hat vor der Präsidentschaftswahl in Belarus am vorvergangenen Sonntag eine andere Botschaft verschickt: Gemeinsam mit dem Sekretär seines Sicherheitsrates begab er sich auf eine Tournee durch die Kasernen. Beiläufig, aber unmissverständlich erinnerten die beiden daran, dass die Einheiten auch eingesetzt werden können, um Unruhen im eigenen Land zu bekämpfen.

Heutzutage begännen Kriege mit Auseinandersetzungen im Innern, sagte der Sekretär des Sicherheitsrats, Andrej Rawkow, "mit Farbrevolutionen, die möglicherweise von außerhalb inspiriert wurden". Und Lukaschenko ergänzte, dass die Spezialkräfte laut Gesetz dazu da seien, die Ordnung wiederherzustellen, "falls - Gott behüte! - irgendwo ein Maidan beginnt".

Bereits im Juni hatte Rawkow bei einem Besuch der 103. Falschirmjäger-Brigade in Witebsk öffentlich ein Szenario erörtert, bei dem die Armee auf das eigene Volk schießt: Aufgabe der Streitkräfte, der Miliz, der Grenztruppen und anderer Sicherheitsorgane sei es, den Untergang des Staates und ein "Blutvergießen im Volk" zu verhindern. Belarus veröffentlicht keine Zahlen, aber konservative Schätzungen beziffern die Stärke der Sicherheitsorgane auf insgesamt etwa 120 000 Mann. Davon etwa 39 000 Milizionäre und etwa 11 000 Angehörige der Streitkräfte des Innern.

Über Jahrzehnte hat Lukaschenkos Unterdrückungsapparat zuverlässig funktioniert: Anführer der Opposition wurden vom Geheimdienst unter Druck gesetzt und unter Vorwänden jahrelang weggesperrt. Demonstrationen wurden von der Polizeisondereinheit Omon brutal auseinandergetrieben, einzelne Teilnehmer zu drakonischen Strafen verurteilt. Das genügte, um andere abzuschrecken.

Vor der Präsidentschaftswahl 2010 lösten Truppen des Innenministeriums und Spezialeinheiten eine Demonstration mit mehr als zehntausend Teilnehmern auf, die gegen den Ausschluss oppositioneller Kandidaten protestierten. Mehr als 600 Frauen und Männer wurden festgenommen. Am Tag nach der Wahl trauten sich nur noch wenige Hundert auf die Straße, mit denen der Omon schnell fertig wurde. Seitdem gab es in Belarus keine Massenproteste mehr. Was es allerdings gab, waren Sanktionen der EU gegen 170 Angehörige des Regimes, die für die Gewalt gegen das eigene Volk verantwortlich gemacht wurden.

Zehn Jahre danach ist das Bild ein anderes: Als der Omon nach der Wahl gegen Demonstrierende vorging, begann das Volk, sich zu wehren. Auf vielen Videos war zu sehen, wie Bürger Festnahmen vereitelten und bereits Festgenommene befreiten. In Chatgruppen wurden Adressen und die Zugangscodes zu Treppenhäusern geteilt, in denen man auf der Flucht vor Knüppeln, Blendgranaten und Gummigeschossen Schutz finden konnte. Von Balkonen und aus Fenstern schrien die Bewohner Warnungen, wenn sich irgendwo die Polizei postierte. Und als entsetzliche Bilder von grün und blau geprügelten Körpern und die Nachrichten von Folter und Vergewaltigungen auf den Stationen der Miliz die Runde machten, schreckte nicht einmal das die Menschen ab.

Etwa 7000 wurden festgenommen, eine Woche danach gelten immer noch mehr als 70 als vermisst, mindestens drei Todesfälle sind bekannt. Doch diesmal hat die Brutalität das Volk nicht eingeschüchtert, vielmehr fachte die Empörung über das Unrecht die Proteste weiter an. Frühere Angehörige von Spezialeinheiten verbrannten ihre Uniformen, der Innenminister entschuldigte sich.

Anfang der Woche vollzog das Regime dann erneut eine Kehrtwende. Lukaschenko zeichnete mehr als 300 Beamte des Innenministeriums "für die vorbildliche Erfüllung der Amtspflichten" aus und verlieh ihnen Medaillen "für hervorragende Leistungen". Regierungsgebäude und bestreikte Fabriken wurden abgeriegelt. Lukaschenkos Schicksal könnte davon abhängen, ob es gelingt, die alte Angst wieder zu wecken.

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