Süddeutsche Zeitung

Belarus:Die Vorzeigebranche übt Druck auf Lukaschenko aus

Belarus ist von Landwirtschaft geprägt, aber ein IT-Land ist es auch. Jetzt drohen Software-Unternehmen, wegen der Repression das Land zu verlassen. Ein Braindrain wäre ein Imageschaden für den Präsidenten.

Von Frank Nienhuysen

Sie kamen am Mittwoch, und sie waren zu viert. Mitarbeiter der Finanzbehörde durchsuchten das Büro und verboten Telefongespräche. Kurz darauf wurde Viktor Kuwschinow festgenommen, einer der führenden Manager der IT-Firma Panda Doc. Am Donnerstag berichtete seine Frau, ihm drohe eine Haftstrafe von fünf bis zwölf Jahren wegen "Unterschlagung durch Missbrauch von Dienstbefugnissen in großem Maße". Schon Stunden nach der Razzia demonstrierten Hunderte junge Belarussinnen und Belarussen in Minsk mit aufgemalten Panda-Bären oder hatten Panda-Stofftiere dabei, eine Frau hatte auf ein Plakat geschrieben: "Führt uns zurück ins 21. Jahrhundert."

Das Software-Start-up hat seine Zentrale in San Francisco, doch die Gründer kommen aus Belarus, und die Durchsuchung fand in der Minsker Dependance statt. Firmenchef Mikita Mikado sagte auf Instagram: "Alles, was gerade passiert, sind politische Repressionen. Wir sind eine ehrliche IT-Firma." Panda Doc hat sich wie ein Großteil der belarussischen Hightech-Branche auf die Seite der Protestbewegung gestellt und entlassenen oder von Entlassung bedrohten Mitarbeitern von Staatsbetrieben finanzielle Hilfe zugesagt. Für Präsident Alexander Lukaschenko und die heimische Wirtschaft könnte sich dies zu einem großen Problem auswachsen.

Belarus ist von Landwirtschaft geprägt, seine Traktoren sind ein Exporterfolg, aber ein IT-Land ist es auch. Es ist eine wachsende, geförderte Industrie, die bereits mehr als 20 Prozent der Exporte ausmacht und über sechs Prozent des Bruttosozialeinkommens. Symbol ist der 2005 gebaute Hightech-Park in Minsk, eine Art Sonderwirtschaftszone, die mit niedrigen Steuern lockt. Das weltweit erfolgreiche Panzer-Online-Spiel "World of Tanks" ist Produkt des belarussischen Entwicklers Wargaming.net.

Opposition fordert UN-Beobachter

Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat die Vereinten Nationen am Freitag aufgefordert, internationale Beobachter in ihr Heimatland zu schicken. Zugleich verlangte sie bei einer informellen Konferenz des UN-Sicherheitsrats eine Sondersitzung der Menschenrechtskommission der UN. (rtr)

Lukaschenko sagte einmal, dass die Schaffung eines IT-Staates "unser ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel" sei und dass dies Belarus zu einem "noch moderneren und blühenderen Land" mache. Dazu passte nun nicht, dass zu Beginn der Massenproteste immer wieder das Internet blockiert war. IT-Unternehmen reagieren auf so fundamentale Einschränkungen besonders feinfühlig.

Offener Brief von mehr als 2500 Mitarbeitern der Hightech-Industrie Minsk

Nachdem der russische Internetkonzern Yandex Mitte August durchsucht worden war, schloss er sein Büro in Minsk und holte belarussische Mitarbeiter nach Russland. Auch andere IT-Mitarbeiter sind geflüchtet, vor allem in die Nachbarschaft, nach Polen, Russland, ins Baltikum, in die Ukraine. Viele andere wollen offenbar abwarten, wie der Machtkampf sich entwickelt, denken aber darüber nach. In einem offenen Brief riefen mehr als 2500 Mitarbeiter der Hightech-Industrie Minsk auf, die Gewalt gegen Demonstranten zu beenden und Inhaftierte freizulassen; sonst würden Firmen das Land verlassen. Die IT-Branche kann dies leichter umsetzen, sie ist räumlich deutlich flexibler als andere Branchen.

Für Belarus wäre ein Braindrain einer florierenden Industrie wohl ein schwerer Imageschaden. Litauens Wirtschafts- und Informationsminister Rimantas Sinkevičius sagte, 21 belarussische IT-Unternehmen hätten sich an sein Ministerium gewandt. Der Software-Spezialist Kolja Ptaberg sagte der Kyiv Post, er habe genug von seinem Land, er wolle nach Litauen. Belarussische IT-Firmen hätten ausländische Investoren, die ihr Geld nicht "in ein weiteres Nordkorea" stecken wollten. Profitieren von der Abwanderung will vor allem die Ukraine. Sie kündigte für belarussische Spezialisten erleichterte Einreise an - trotz coronabedingten Einreiseverbots für Ausländer.

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SZ vom 05.09.2020
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