Süddeutsche Zeitung

Belarus:"Wir unterstützen das brüderliche Russland und werden dies auch weiterhin tun"

Lesezeit: 4 min

Belarus' Machthaber Lukaschenko legt Wert darauf, nicht direkt am Krieg gegen die Ukraine beteiligt zu sein. Dabei ist sein Land fest in Putins Hand.

Von Frank Nienhuysen, München

Es gab gegrillten Mais, Schaschlik und Paprikaspieße. Die Sonne schien, die Minsker flanierten an Flohmarktbuden vorbei, Pärchen tanzten, und unter die offiziellen belarussischen Flaggen mischten sich sowjetische. Belarus beging am Wochenende den Tag der Unabhängigkeit, sogar US-Außenminister Antony Blinken schickte die "wärmsten Wünsche". Allerdings gingen sie nicht direkt nach Minsk, sondern "wo immer die Belarussen gerade sind". Geflüchtet vor den Repressionen in die weite Welt, oder auch in Belarus hinter Gittern.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko revanchierte sich am Montag mit Glückwünschen an die Amerikaner zu ihrem Unabhängigkeitstag am 4. Juli. Er appellierte sogar, die Streitigkeiten zu vergessen, "die ganze Familien, Gesellschaften und sogar Kontinente spalten", und gemeinsam einen Ausweg zu suchen aus der "sehr alarmierenden und gefährlichen Lage". Am Wochenende hatte Lukaschenko dem Westen noch gedroht.

Sollte es einen Angriff auf Belarus geben, werde sein Land sofort reagieren, sagte er. Lukaschenko sprach von den Städten Gomel, Brest oder dem Flughafen von Luninez nahe der ukrainischen Grenze. Er gab zu, dass er schon vor Wochen seine Streitkräfte angewiesen habe, "die Entscheidungszentren von Minsker Gegnern ins Visier zu nehmen". Angeblich versuche die Ukraine mit Hilfe des Westens das Land in den Krieg hinein zu ziehen. Als wäre es nicht Belarus, das sein Land für russische Raketenabschüsse auf die Ukraine zur Verfügung stellt.

Allein bei Angriffen vor einer Woche wurden nach ukrainischen Angaben morgens um fünf Uhr zwanzig Raketen von belarussischem Gebiet auf die Region Tschernihiw abgefeuert. Die ukrainische Führung wirft deshalb vielmehr Russland vor, Belarus in den Krieg hineinzuziehen. "Der Kreml hat bereits alles für Sie entschieden", sagte Präsident Wolodimir Selenskij, "aber ihr seid keine Sklaven und Kanonenfutter."

Belarus hat seit dem russischen Kriegsbeginn am 24. Februar eine wichtige Rolle gespielt und logistisch den russischen Streitkräften eine zusätzliche Front gegen die Ukraine ermöglicht. Die Sanktionen des Westens gelten deshalb auch Belarus. Lukaschenko selber hat immer wieder deutlich gemacht, dass sein Land sich an den Kämpfen in der Ukraine nicht direkt beteilige. Diese Abgrenzung ist ihm wichtig, denn der Krieg gegen die Ukraine gilt in der belarussischen Gesellschaft als extrem unbeliebt. Sein Land offiziell herauszuhalten, ist einer der rhetorischen Trümpfe, mit denen er in der eigenen Bevölkerung glaubt, punkten zu können.

Lukaschenko spricht von einer "vereinten Armee"

Praktisch gibt es zwischen den Positionen Russlands und Belarus' allerdings kaum noch Dissens. Lukaschenko hat Russlands Wortwahl zum Krieg übernommen, spricht wie Moskau von "Spezialoperation", vom "Kampf gegen Nazis" in der Ukraine, von angeblich "drohenden Schlägen in den Rücken durch die Truppen der Nato". Klarer denn je versicherte er am Tag der belarussischen Unabhängigkeit, dass er fest an Moskaus Seite steht. "Wir unterstützen das brüderliche Russland und werden dies auch weiterhin tun." Im gemeinsamen Unionsstaat gebe es bereits eine vereinte Gruppierung der Streitkräfte - "faktisch", sagte Lukaschenko, "ist es eine vereinte Armee". Und die Verflechtung wird noch enger.

Vor einer Woche hat Kremlchef Wladimir Putin angekündigt, dass er in den nächsten Monaten Iskander-M-Raketen nach Belarus liefern werde und belarussische Kampfjets modernisieren könne. Die Iskander-Raketen können mit Atomwaffen bestückt werden und von Belarus aus theoretisch Kiew erreichen. Der belarussische Politologe Alexander Klaskowskij spricht von einer "Schlinge der katastrophalen Abhängigkeit von Moskau", die Belarus um den Hals habe.

Der belarussische Diktator Lukaschenko hat den politischen und wirtschaftlichen Spielraum verloren, den er in den vergangenen knapp drei Jahrzehnten seiner Herrschaft immer wieder erfolgreich eingesetzt hat. Mal war das Verhältnis zum Westen schlecht, und Belarus ließ sich von Russland finanziell unterstützen. Mal antichambrierte er in Brüssel, attackierte Moskau und schaffte es, dass EU und USA ihre Sanktionen aufhoben. Damit ist es vorbei.

Seitdem er nach der manipulierten Präsidentschaftswahl im August 2020 die Proteste in Belarus unterdrückt, hat er keine Wahl mehr: Lukaschenko und der Westen haben miteinander gebrochen, die Sanktionen treffen Minsk hart. Internationale Zahlungen sind wegen der Blockaden schwierig geworden, der Export ist eingebrochen, etwa in der für Belarus so wichtigen Kali-Industrie.

Die Inflation ist gestiegen, das Realeinkommen gefallen. Und Pjotr Rudkowskij, Direktor des Belarusian Institute for Strategic Studies, prophezeit nichts Gutes für Minsk. Russland werde nach dem Krieg wirtschaftlich leiden. "Vieles weist darauf hin", schreibt Rudkowskij, "dass die nächste Folge der belarussischen Proteste vor dem Hintergrund eines geschwächten lokalen Hegemons - Russland - beginnen wird." Heißt: Moskau würde Lukaschenko dann nicht mehr so einfach helfen können, seine Macht zu sichern.

Auf einmal mussten sich viele Menschen bei den örtlichen Militärstellen melden

Der Grat ist schmal geworden zwischen enger Gefolgschaft zu Russland und betonter Souveränität. Putin selbst hat vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, dass die Sanktionen des Westens die russisch-belarussische Integration nur beschleunigen würden. Nicht nur in Russland und der Ukraine, sondern auch in Belarus hänge vieles davon ab, wie es mit dem Krieg weitergehe, womit er ende und wie schnell, sagt der belarussische Politikwissenschaftler Walerij Karbalewitsch. Und ob das Land selbst aktiv mit Soldaten eingreift.

Swetlana Tichanowskaja, die aus ihrem Exil heraus Lukaschenko von der Macht ablösen will, sagte kürzlich der SZ, dass 97 Prozent aller Belarussen den Krieg gegen die Ukraine ablehnten. Mehr als 1500 Freiwillige haben sich nach ihren Angaben der ukrainischen Armee angeschlossen, um so auch für ein freies Belarus zu kämpfen. Eine belarussische Partisangruppe namens Bypol soll immer wieder Signale an Eisenbahnstrecken zerstört und damit Nachschubwege für russische Soldaten sabotiert haben.

Lukaschenko scheint den Druck zu spüren, der aus der eigenen Gesellschaft kommt, auch wenn sich die Protestwellen wegen der Repressionen abgeschwächt haben. Die Todesstrafe, die bisher nur vereinzelt für besonders brutale Verbrechen vollzogen worden ist, kann nach einer Gesetzesnovelle jetzt auch bei "versuchten Terrorattacken" angewandt werden. Das dürfte eine Warnung an die Bevölkerung sein: nämlich Russland bei dessen Krieg von belarussischem Boden aus nicht in die Quere zu kommen.

Belarus will sich nicht hineinziehen lassen, aber die Sorgen bei den Menschen sind größer geworden. Unabhängige Onlinemedien berichten, dass sich in den vergangenen Tagen viele Leser plötzlich bei örtlichen Militärstellen melden mussten, ohne dass es offizielle Erklärungen gab. Also mutmaßten sie. Eine Krankenschwester aus Retschiza sagte, die Behörden wollten wohl testen, wie schnell sie wie viele Leute versammeln könnten.

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