Belarus:"Als hätte man mich in den Gulag verfrachtet"

Vitali Shkliarov

Er gibt etlichen Opfern der Willkür in Belarus ein Gesicht: Vitali Shkliarov, hier bei einem Termin 2016 in Moskau.

(Foto: Andrew Roth/The Washington Post via Getty Images)

Der Politikwissenschaftler Vitali Shkliarov ist einer von vielen, die in den Verliesen der belarussischen Staatsmacht schmoren. Er gibt den Opfern der Willkür ein Gesicht.

Von Daniel Brössler, Berlin

Vitali Shkliarov wollte zum Markt, Wassermelonen kaufen. Als er in seiner Heimatstadt Gomel in ein Auto gezerrt wurde, trug er T-Shirt, kurze Hosen und Flipflops. Das ist acht Wochen her. Acht Wochen, in denen der Politikwissenschaftler in einem Gefängnis in Minsk festgehalten wird. Shkliarov ist einer von vielen, die seit Beginn der Proteste gegen die Herrschaft von Alexander Lukaschenko in den Verliesen der Staatsmacht gefangen gehalten werden. Einer, der etlichen Opfern der Willkür in Belarus ein Gesicht gibt.

Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag, etwa sagt: "Es macht einen Unterschied, wenn man jemanden persönlich kennt." Auch der Schriftsteller Wladimir Kaminer fordert "Freiheit für Vitali Shkliarov und alle politischen Gefangenen". Shkliarov ist ein alter Freund des Autors. Einst legte er mit ihm in der "Russendisko" auf.

So wie Kaminer es sieht, ist Shkliarov Opfer jener autoritären Beharrungskräfte, die er sonst als Politikwissenschaftler analysiert. Der 44-Jährige hat im niedersächsischen Vechta Sozialwissenschaften studiert, er machte Musik, trieb viel Sport und interessierte sich für politische Kampagnen. Mittlerweile hat er sich international einen Namen gemacht als Wahlkampfstratege. 2008 ging er in die USA und arbeitete als Freiwilliger für die Präsidentschaftskampagne von Barack Obama.

2016 war Shkliarov Vize-Direktor der Kampagne des Gegenspielers von Hillary Clinton im Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur, Bernie Sanders. Zwischendurch interessierte er sich auch für die Bundestagswahl, informierte sich bei Buschmann über die FDP-Kampagne. Aktiv war er auch in Moskau, wo er oppositionelle Politiker bei der Bezirksratswahl unterstützte. Freunde beschreiben ihn als Tausendsassa, der sich in einem Land aber konsequent heraushielt, um seine Familie nicht zu gefährden: Belarus.

Der FDP-Politiker Buschmann hat eine Parlamentspatenschaft für Shkliarov übernommen

Die belarussischen Behörden werfen Shkliarov vor, am 29. Mai in Grodno eine Kundgebung für den inhaftierten Oppositionspolitiker Sergej Tichanowskij organisiert zu haben, Ehemann der nach den gefälschten Wahlen vom 9. August nach Litauen geflohenen Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja.

Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Shkliarov allerdings zuhause in Washington auf, wie seine Frau Heather, eine US-Diplomatin, beteuert. Mit ihrem gemeinsamen achtjährigen Sohn sei er im Juli nur nach Belarus gefahren, um seine Mutter zu besuchen. Nach einer zweiwöchigen Quarantäne habe er erstmals das Haus verlassen, um auf den Markt zu gehen, als er festgenommen worden sei.

In Haft stehe er unter massivem psychologischen Druck. Ständig müsse er die Zelle wechseln, nie werde das Licht gelöscht. Mit warmem Wasser waschen könne er sich nur einmal die Woche. Trotz eindeutiger Covid-Symptome sei ihm ein Corona-Test verweigert worden. "Es scheint so, als hätte irgendeine defekte Zeitmaschine mich direkt in den Gulag verfrachtet", schrieb Shkliarov in einem Kassiber.

FDP-Mann Buschmann hat für den Belarussen eine Gefangenenpatenschaft übernommen. "Man muss klarmachen, dass es Aufmerksamkeit für den Fall gibt und das Regime unter Rechtfertigungsdruck setzen", sagt er. In einem Brief an Außenminister Heiko Maas (SPD) wies er auf den Fall hin und forderte Maas dazu auf, "sich auf EU-Ebene für die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen des Despoten Lukaschenko und für einen menschenwürdigen und rechtsstaatlichen Umgang mit Inhaftierten generell einzusetzen".

Der Schriftsteller Kaminer fordert wirtschaftlichen Druck - und auch auf Russland. Das habe über Belarus "praktisch die Vormundschaft übernommen".

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