Belarus:Flucht nach Litauen

Lukaschenkos Gegnerin Swetlana Tichanowskaja verlässt Belarus. In einem Video wendet sie sich an ihre Unterstützer.

Von Silke Bigalke, Moskau

Die Präsidentschaftskandidatin der belarussischen Opposition hat das Land verlassen. Swetlana Tichanowskaja ist in der Nacht zum Dienstag nach Litauen ausgereist. Sie habe diese schwierige Entscheidung selbst getroffen, sagte sie in einer Videobotschaft. "Viele werden mich verstehen, mich verurteilen oder hassen. Aber Gott bewahre, dass die je vor so einer Wahl stehen müssen, wie ich es musste", sagte sie. Vermutlich ist sie ihren beiden minderjährigen Kindern zuliebe ausgereist. Diese hatte sie bereits vor der Wahl zur Sicherheit nach Litauen geschickt.

Die EU teilte am Abend mit, wegen der international kritisierten Wahl ihre Beziehungen zu Belarus zu überprüfen, auch Sanktionen gegen Behördenmitarbeiter wurden ins Spiel gebracht. Das Außenministerium in Minsk wies die Kritik aus dem Ausland zurück. Die schnellen Erklärungen zahlreicher europäischer Politiker seien inakzeptabel. Es werde nicht einmal versucht, die Lage objektiv zu verstehen.

Noch am Montagvormittag hatte Swetlana Tichanowskaja während einer Pressekonferenz erklärt, sie wolle in Belarus bleiben und weiterkämpfen. Die 37-Jährige geht davon aus, dass sie die Wahl am Sonntag gewonnen hat. Gegen das offizielle Ergebnis wollte sie am Montagnachmittag Beschwerde bei der Zentralen Wahlkommission einlegen. Deren Zahlen zufolge hatte Amtsinhaber Lukaschenko mehr als 80 Prozent der Stimmen geholt.

Nach ihrem Termin bei der Wahlkommission war Tichanowskaja für mehrere Stunden nicht erreichbar, berichtete ihr Stab. Sie sei in Litauen und in Sicherheit, teilte schließlich am frühen Dienstagmorgen der litauische Außenminister Linas Linkevičius mit. Tichanowskajas Vertraute Olga Kowalkowa berichtete der Nachrichtenseite tut.by jedoch, die Oppositionskandidatin sei nicht freiwillig gegangen. Ihr Ehemann Sergej Tichanowski, ein oppositioneller Blogger, sitzt bereits seit Mai im Gefängnis. Weil er nicht zur Wahl zugelassen worden war, sprang seine Frau für ihn ein, um faire Wahlen durchzusetzen. Kurz nach der Botschaft an ihre Anhänger tauchte ein zweites Video von ihr auf. Den förmlich gehaltenen Text liest sie darin mit gedämpfter Stimme ab: ein Aufruf an die Belarussen, sich an die Gesetze zu halten, sich der Polizei nicht zu widersetzen. In der Nacht zu Dienstag war es in Minsk und anderen Städten wieder zu heftigen Protesten gegen Machthaber Lukaschenko gekommen. Die Polizei setzte erneut Gummigeschosse, Blendgranaten und Tränengas ein. Die Protestierenden errichteten Barrikaden. Hunderte sollen verletzt worden sein, ein Demonstrant kam ums Leben. Er habe einen Sprengsatz werfen wollen, der noch in seiner Hand explodiert sei, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Laut Ministerium sind erneut 2000 Menschen festgenommen worden. Bereits in der Nacht zuvor hatte es nach offiziellen Angaben etwa 100 Verletzte und 3000 Festnahmen gegeben. Am Dienstagabend kam es erneut zu Protesten und Festnahmen. Beschäftigte in Staatsbetrieben legten ihre Arbeit nieder.

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