Anhaltende Proteste:EU beruft Sondergipfel zu Belarus ein

Anhaltende Proteste: Protest am Sonntag in Minsk

Protest am Sonntag in Minsk

(Foto: AP)

Die Menschen in Belarus hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen, sagt Ratschef Michel. Regierungssprecher Seibert sagt, die Wahl in Belarus lief "ohne jegliche demokratische Mindeststandards" ab.

Die Bundesregierung hat die Behörden in Belarus erneut aufgefordert, auf Gewalt gegen Demonstranten zu verzichten. Ferner müssten politische Gefangene unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden, sagte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, bei einer Pressekonferenz in Berlin. Die Wahl in Belarus sei "ohne jegliche demokratische Mindeststandards" abgehalten worden. Außerdem solle es nach Meinung der Bundesregierung einen nationalen Dialog geben, am besten unter Beteiligung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

"Es ist beeindruckend und es ist berührend, wie Hunderttausende auch an diesem Wochenende wieder friedlich und würdig für ihre Rechte als Bürger und gegen die Repressionen des Machtapparats auf die Straße gegangen sind - und das nicht nur in Minsk, sondern in vielen anderen Städten des Landes", sagte Seibert. Diese Menschen würden Rechte einfordern, "die selbstverständlich sein sollten", so der Regierungssprecher. Als Beispiel nannte er korrekte Auszählungen bei Wahlen "und dass Menschen nicht gefoltert werden". Es sei offensichtlich, dass das offizielle Wahlergebnis "mit der tatsächlichen Meinungslage im Land" nicht in Einklang zu bringen sei.

Ob es zu einer Ausweitung der von den EU-Staaten verhängten Sanktionen gegen Vertreter der Führung des Landes komme, hänge von den dortigen Behörden ab, so Seibert. "Natürlich sehen wir auch die Option, die Sanktionen auf weitere verantwortliche Personen auszuweiten."

Auch die EU reagiert auf die anhaltenden Massenproteste: EU-Ratschef Charles Michel hat für Mittwoch einen EU-Videogipfel angesetzt. Die Menschen in Belarus hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen, schrieb Michel auf Twitter. Gewalt gegen die Demonstranten sei inakzeptabel.

Die Bundesregierung habe mit der oppositionellen Politikerin Swetlana Tichanowskaja Kontakt gehabt, sagte Seibert. Die Frage, ob die Politikerin in Deutschland willkommen sei, stelle sich nicht, da sie sich im EU-Land Litauen aufhalte, nicht den Wunsch geäußert habe, nach Deutschland zu kommen, dafür aber gesagt habe, sie wolle eine politische Führungsrolle in Belarus übernehmen. "Ich bin bereit, die Verantwortung für die nationale Führung in Belarus zu übernehmen", sagte sie in einer von Litauen aus verbreiteten Videoansprache. Zugleich sprach sie sich dafür aus, den rechtlichen Rahmen für eine neue und faire Wahl zu schaffen.

An den Sicherheitsapparat ihres Heimatlandes appellierte sie, sich von der Regierung von Präsident Alexander Lukaschenko zu lösen und die Seiten zu wechseln. Ihr früheres Verhalten werde vergeben, wenn sie dies jetzt täten, sagte sie in Richtung der Sicherheitskräfte, brutal gegen die Demonstrationen in dem Land vorgehen.

Lukaschenko lehnt Neuwahlen ab

Die Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja war nach der Wahl am vorvergangenen Wochenende Angaben ihres Teams zufolge nach Drohungen der Behörden nach Litauen ausgereist. Ihr Mann ist als Oppositioneller seit Längerem in Belarus in Haft.

Staatschef Lukaschenko lehnte Neuwahlen am Montag erneut ab. Es werde keine geben, sagte der Präsident bei einem Besuch des staatlichen Fahrzeugherstellers MZKT in Minsk der Staatsagentur Belta zufolge. "Sie werden nicht erwarten, dass ich etwas unter Druck mache." Ähnlich hatte er sich bereits am Sonntag geäußert und Fälschungsvorwürfe bei der Präsidentenwahl vor gut einer Woche zurückgewiesen. Er sei aber bereit, die Macht zu teilen, sagte Lukaschenko. Es werde bereits an einer möglichen Verfassungsänderung dafür gearbeitet.

Seit der umstrittenen Wahl kommt es in Belarus zu massiven Protesten, auf die die Lukaschenko-Regierung zunächst mit brutaler Härte reagierte. Tausende Menschen wurden festgenommen, bei Freilassungen gegen Ende der Woche berichteten viele von ihnen über Folter in den Gefängnissen.

Zudem waren bei den Demonstrationen mindestens zwei Menschen gestorben. Sie wurden am Wochenende unter großer Anteilnahme der Bürger beerdigt. Die genauen Todesursachen bei beiden Männern sind unklar. Zudem werden Medien zufolge rund 80 Menschen vermisst. Nach Darstellung der Oppositionellen Maria Kolesnikowa befinden sich noch immer 4000 Menschen in Haft. Am Wochenende waren ins Minsk und anderen Städten erneut Hunderttausende Menschen auf die Straßen gegangen. Die Polizei schritt - anders als in der vergangenen Woche - nicht mehr ein.

Zu Beginn der neuen Arbeitswoche haben nun die Lukaschenko-Gegner erneut zu flächendeckenden Streiks in den Staatsbetrieben aufgerufen. Die Arbeitsniederlegungen sollen die Basis für den Machtapparat brechen - die staatlichen Betriebe gelten in der Ex-Sowjetrepublik als elementar für das Funktionieren des Staates. Am Morgen begannen bereits erste Streiks.

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