Süddeutsche Zeitung

Belarus:Jetzt geht es gegen die Anwälte

Nach dem brutalen Einsatz gegen die Protestbewegung setzt Minsk nun auch Rechtsbeistände unter Druck. Das ist ein weiterer harter Schlag für alle Kritiker, die juristische Hilfe brauchen.

Von Daniel Brössler und Frank Nienhuysen, Berlin/München

Es war ein Brief, der ein bisschen Hoffnung machen wollte. "Sollte es irgendetwas geben, was ich als Parlamentarierin tun kann, um Ihnen zu helfen oder das Leben zu erleichtern - bitte lassen Sie es mich wissen", schrieb Margarete Bause, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Sprecherin für Menschenrechte ihrer Fraktion, an Mikalaj Statkewitsch. Seit Ende Mai 2020 sitzt Statkewitsch, ein Veteran der belarussischen Opposition, in Haft.

Immer wieder hat Machthaber Alexander Lukaschenko den Präsidentschaftskandidaten von 2010 einsperren lassen, diesmal bereits Monate vor der Präsidentschaftswahl im vergangenen August. Sie habe eine Patenschaft für ihn übernommen, schrieb Bause an Statkewitsch, sein Schicksal erfahre internationale Aufmerksamkeit. Den Brief schickte sie an seinen Anwalt Uladsimir Sasantschuk mit der Bitte, das Schreiben zu übergeben.

Nach einiger Zeit erhielt Bause Antwort. Allerdings nicht von Statkewitsch, und auch nicht von seinem Anwalt. In einer E-Mail meldete sich Maryna Adamowitsch, die Frau des Oppositionspolitikers. "Leider wurde Mikalaj Statkewitschs Anwalt letzte Woche seine Anwaltslizenz entzogen, und zwar eben deshalb, weil er seine Pflicht zur Verteidigung meines Mannes und anderer politischer Gefangener gewissenhaft erfüllte", schrieb sie. Deshalb werde er ihren Mann im Gefängnis nicht mehr besuchen können und habe stattdessen ihr den Brief übergeben. "Ich werde alles dafür tun, dass Mikalaj den Brief erhält", versprach sie.

Vor allem aber wandte sich die Belarussin mit einer Bitte an die Abgeordnete. Sie möge die deutsche Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, wie mit denen umgegangen werde, die den verhafteten Oppositionellen juristischen Beistand leisten wollten. Auch die Anwälte des nicht zugelassenen Präsidentschaftskandidaten Wiktor Babariko und von Maria Kolesnikowa, der Mitstreiterin von Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, hätten ihre Lizenz verloren. Von den übrigen Anwälten würden Verschwiegenheitserklärungen verlangt. Ihren Mandanten dürften sie nicht einmal mitteilen, nach welchen Paragrafen sie beschuldigt würden.

Öffentliche Kommentare sind ein großes Risiko

Als "Hilfeschrei" bezeichnet Bause den Brief. Es sei "bestürzend zu sehen, dass das Lukaschenko-Regime jegliche Hemmungen verloren hat, selbst die elementarsten Grundrechte außer Kraft zu setzen". Anwältinnen und Anwälte würden "kaltgestellt, eingeschüchtert" und de facto mit einem Berufsverbot belegt. "Die neue Repressionswelle gegen Anwälte, Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten darf nicht ohne Antwort bleiben", fordert Bause.

Die Bundesregierung müsse sich für eine Resolution des UN-Menschenrechtsrats zu Belarus stark machen und sich für neue Sanktionen auch gegen staatliche Unternehmen einsetzen. Verlangt werden müsse der Zugang zu den Gefängnissen durch den Sonderberichterstatter für Belarus sowie eine unabhängige Untersuchung der zahllosen Menschenrechtsverstöße. Der internationale Juristenverband Ibahri erklärte, dass Juristinnen und Juristen in Belarus nicht geschützt seien, immer wieder bedroht und willkürlich festgenommen würden.

Für die Regierungskritiker und die Protestbewegung in Belarus ist dies ein weiterer schwerer Schlag. Am Donnerstag hat das belarussische Menschenrechtszentrum Wesna allein 276 politische Gefangene aufgelistet, von denen die meisten seit Sommer und Herbst in Haft sind. Sie alle benötigen Rechtsbeistand. Und es gibt noch viele Tausende Menschen, die kürzere Haftzeiten erhielten, Geldstrafen, oder ihren Arbeitsplatz verloren.

Nun aber steht eine zentrale Branche im Kampf gegen Unrecht selber unter Druck. Der Anwalt Alexander Pyltschenko etwa verlor seine Lizenz wegen juristischer Einschätzungen, die er in einem Fall dem Nachrichtenportal tut.by gegeben hatte. Nach einem radikalen Maulkorb klingt auch der Audio-Mitschnitt, über den das Zentrum Wesna berichtete. Demnach habe eine Vertreterin des Justizministeriums gesagt, dass Anwälte, die in Medien "unkorrekte Kommentare" abgäben, "Ballast" seien, von dem man sich befreien müsse.

Unabhängige belarussische Medien berichteten von Gerüchten, dass die Lukaschenko-Führung sogar ein Gesetz ausarbeite, das private Gemeinschaftskanzleien und allein praktizierende Anwälte verbieten würde. Der Jurist Dmitrij Lajewskij sagte dem Online-Medium naviny.by, davon wäre ein Drittel aller Anwältinnen und Anwälte in Belarus betroffen: "Es wäre ein kolossaler Schlag für die Unabhängigkeit des Berufsstandes."

Ein falscher Facebook-Post, ein unbequemes Interview, Anwälte in Belarus arbeiten mit zunehmendem Risiko. Zum Beispiel die Anwältin Elena Schinkarewitsch aus Minsk, die sich an einem Aufruf gegen gesetzeswidrige staatliche Gewalt beteiligt hatte. Vor einer Woche verlor sie ihre Lizenz, offiziell wegen angeblich unzureichender Qualifikation. In acht Jahren habe sie niemals eine Beschwerde von Klienten bekommen, schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite. Jetzt sucht sie einen neuen Job.

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