Beitrittsgespräche:EU-Parlament verliert die Geduld mit Ankara

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In Straßburg waren sich alle großen Parteien einig, dass die Aushöhlung von Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei nicht ohne Antwort bleiben könne. (Foto: Ilyas AkenginAFP)
  • Angesichts der jüngsten Verhaftungswelle in der Türkei hält das EU-Parlament einen Kurswechsel im Umgang mit dem Beitrittskandidaten für nötig.
  • In Straßburg waren sich alle großen Parteien einig, dass die Aushöhlung von Rechtsstaat und Demokratie nicht ohne Antwort bleiben könne.
  • Uneinigkeit herrscht darüber, wie weit diese Botschaft gehen soll.

Von Daniel Brössler und Thomas Kirchner, Straßburg

Angesichts der jüngsten Verhaftungswelle nach dem Putschversuch in der Türkei hält das EU-Parlament einen Kurswechsel im Umgang mit dem Beitrittskandidaten für geboten. In Straßburg zeichnete sich am Dienstag eine klare Mehrheit für die Forderung ab, ein Zeichen in Richtung Ankara zu setzen und die Beitrittsverhandlungen vorerst nicht weiterzuführen. Dies soll am Donnerstag in einer Resolution formuliert werden. Die Gespräche waren erst in diesem Jahr wieder aufgenommen worden, die Türkei hätte dem Flüchtlingspakt mit der EU sonst nicht zugestimmt.

In Straßburg waren sich alle großen Parteien einig, dass die Aushöhlung von Rechtsstaat und Demokratie nicht ohne Antwort bleiben könne. "Die EU muss ein politisches Signal aussenden", sagte der Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Die Beitrittsverhandlungen würden "zu einer Hypothek für die Glaubwürdigkeit der EU", beklagte der Fraktionschef der Liberalen, Guy Verhofstadt. Der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pittella sprach von "inakzeptablen Vorgängen" in der Türkei, auf welche die EU mit einer "politischen Botschaft" reagieren müsse.

Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten sollen laut eines Resolutionsentwurfs aufgefordert werden, die Verhandlungen mit der Türkei "vorübergehend einzufrieren". Dies solle gelten, bis die türkische Regierung zum Respekt für die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte zurückkehre. Eine formelle Suspendierung sieht der Entwurf für den Fall vor, dass in der Türkei die Todesstrafe wiedereingeführt wird. Vor allem Sozialdemokraten und Grüne wollten eine Dynamik verhindern, die eine Rückkehr zu den Verhandlungen schwer oder unmöglich macht. Die Grünen-Abgeordnete Ska Keller forderte, die EU solle den geplanten Ausbau der Zollunion mit der Türkei stoppen. "Das würde (Präsident Recep Tayyip) Erdoğan wirklich treffen", sagte sie. "Scharf verurteilt" werden in dem Resolutionsentwurf die "unverhältnismäßigen repressiven Maßnahmen" seit dem gescheiterten Putsch im Juli. Aus der EVP kam die Forderung, EU-Finanzmittel einzufrieren, die einer Annäherung der Türkei an die Union dienen.

Die Resolution des Parlaments wäre nicht bindend. Den Anstoß dafür, die Gespräche auszusetzen, können die Kommission oder ein Drittel der EU-Staaten geben. Ein solcher Vorschlag wäre angenommen, wenn 16 der 28 Staaten zustimmen und sie mindestens 65 Prozent der EU-Bürger vertreten. In der EU-Kommission gibt es Sympathie für den Schritt, die Staaten würden ihn derzeit aber wohl ablehnen. Das hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vor zwei Wochen klargemacht. Am Dienstag wiederholte sie dies in Straßburg. Der beste Weg, die Demokratie in der Türkei zu stärken, sei es, "Kanäle offen zu halten".

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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