Süddeutsche Zeitung

Beirut:Libanesisches Roulette

Nach dem Rücktritt des Premiers wächst die Sorge um die Sicherheit. Es häufen sich Mutmaßungen: Steckt Saudi-Arabien dahinter? Werden Argumente für Militärschläge gegen die Hisbollah oder gar Iran gesammelt?

Von Paul-Anton Krüger, Beirut

Saad al-Hariri, schräg von hinten fotografiert, darüber die Zeile "Die Geisel", so machte am Montag die libanesische Zeitung al-Akhbar auf, die der schiitischen Hisbollah-Miliz nahesteht. Nach dem überraschenden Rücktritt des Premiers al-Hariri am Samstag sammelt sich das Land noch, aber Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah interpretierte in einer Fernsehansprache Sonntagabend die Ereignisse auf eine Weise, die in Libanon nicht wenige mindestens für plausibel halten, westliche Diplomaten nicht ausgenommen: "Es war nicht sein Wille, nicht sein Wunsch, nicht seine Entscheidung zurückzutreten", sagte er. "Der Rücktritt wurde ihm aufgezwungen, diktiert", fuhr er fort - von Saudi-Arabien. Es gebe "die legitime Frage", ob Hariri unter denen sei, die nun in Saudi-Arabien festgenommen wurden.

Das politische Establishment in Beirut wurde kalt erwischt von Hariris abruptem Rückzug

Hariri ist 47 Jahre alt, er ist der Sohn des 2005 bei einem Bombenanschlag ermordeten Ex-Premiers Rafiq al-Hariri. Er war am Freitag nach Riad geflogen, weil er, so sagte er, gespürt habe, dass man ihm nach dem Leben trachte. Im Sender al-Arabiya, dem Sprachrohr der saudischen Regierung, verlas Hariri Samstagabend mit saurer Miene und holprig eine Rücktrittserklärung, in der er schwere Vorwürfe gegen Iran und die Hisbollah erhob. Nur Stunden später nahm die saudische Polizei wegen Korruptionsvorwürfen eine Reihe prominenter Prinzen fest, ebenso Regierungsmitglieder und führende Geschäftsleute. Hariris Baufirma, die er von seinem Vater geerbt hatte, war vergangenes Jahr in Saudi-Arabien in finanzielle Schwierigkeiten geraten.

Solchen Spekulationen trat Saudi-Arabien sogleich entgegen und veröffentlichte am Montag Bilder von einer Audienz Hariris bei König Salman, an der vier saudische Kabinettsmitglieder teilnahmen. Der saudische Minister für Angelegenheiten am Golf, Thamer al-Sabhan, als Hardliner gegenüber Iran und der Hisbollah bekannt, twitterte, Libanon werde nach Hariris Rücktritt "nie wieder das gleiche Land sein". Seine Führer müssten entscheiden, ob Libanon "ein Land des Terrorismus oder des Friedens" sein wolle. Was genau das bedeuten soll, ließ er offen, aber al-Sabhan hatte zuvor schon gefordert, Libanon müsse sich entscheiden, ob es die Hisbollah unterstütze oder ihr entgegentreten wolle. Hariri hatte in Libanon ein Kabinett der nationalen Einheit unter Beteiligung der Hisbollah geleitet. Vergangene Woche hatte al-Sabhan ebenfalls via Twitter "überraschende Entwicklungen in Libanon" prophezeit - die dann eintraten.

Das politische Establishment in Beirut wurde kalt erwischt von Hariris abruptem Rückzug. Eine Interpretation lautet, Saudi-Arabien wolle in Beirut eine Regierung ohne Beteiligung der Hisbollah erzwingen - was angesichts der politischen Machtverhältnisse schwer vorstellbar ist. Ansonsten könnte Riad versuchen, Libanon zu isolieren. Bahrain, eng mit Saudi-Arabien verbündet, forderte seine Bürger auf, Libanon zu verlassen. Der kleine Inselstaat, in dem ein sunnitisches Königshaus mit harter Hand über eine Bevölkerungsmehrheit von Schiiten herrscht, beschuldigt Iran, Unruhen anzuzetteln.

In Washington warnen Mitarbeiter der früheren Regierung von Präsident Barack Obama inzwischen, dass Saudi-Arabien und die Regierung von Donald Trump an Rechtfertigungen für Militärschläge gegen Iran oder seine Verbündeten arbeiteten - vorstellbar ist etwa, dass das Hauptquartier der Hisbollah im Süden von Beirut dazugehören könnte, ebenso Waffenlager oder Raketenstellungen der Miliz. Sie führen mindestens drei Reisen von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und anderen hochrangigen US-Regierungsleuten nach Riad an, um dies zu untermauern. Die saudische Luftabwehr schoss am Samstag eine von jemenitischen Huthi-Milizen abgefeuerte Rakete nahe Riads Flughafen ab. Danach warnte die saudische Regierung, dieser Angriff könne als "kriegerischer Akt" gewertete werden - und machte Iran verantwortlich.

In Libanon versuchten führende Politiker, eine Eskalation zu vermeiden. Hisbollah-Chef Nasrallah rief zur Ruhe auf. Hariris Rücktritt sei nicht der Wunsch der Hisbollah gewesen. Präsident Michel Aoun, ein Verbündeter der Hisbollah, sagte, er werde Hariris Gesuch erst akzeptieren, wenn dieser nach Libanon zurückgekehrt sei. Damit gewinnt er zunächst Zeit.

Die libanesische Armee teilte mit, ihr sei nichts über ein vereiteltes Attentat auf Hariri bekannt. Der Chef des Inlandsgeheimdienstes, Generalmajor Abbas Ibrahim, äußerte sich gleichlautend. Ob und wann Hariri eine Rückkehr nach Beirut plant, war nicht klar. Aus seinem Umfeld hieß es, er werde aus Sorge um seine Sicherheit zunächst nicht heimkehren, sondern andere arabische Länder bereisen. Innenminister Nouhad Machnouk, der Hariris Zukunfts-Bewegung angehört sagte dagegen, er erwarte Hariri in wenigen Tagen in Beirut.

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SZ vom 07.11.2017
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