Beisetzung von Hisbollah-Führer Nasrallah:Ein Sarg, über den Kampfjets donnern

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Trauerfeier im Stadion: Zehntausende ehren den getöteten Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und seinen ebenfalls getöteten Nachfolger Hashem Safieddine (rechts auf der Leinwand). (Foto: Mohammed Yassin/REUTERS)

Zehntausende kommen in Beirut zur Trauerfeier um Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah, der von Israelis getötet worden war. Sie zelebrieren den Märtyrerkult. Die Terrororganisation hofft, daraus neue Stärke gewinnen zu können.

Tomas Avenarius, Beirut

Als der schwarze Lastwagen mit dem gelb verhüllten Sarkophag auf der gläsernen Ladefläche endlich erscheint und die ersten Trauernden über die Absperrung klettern, donnern vier israelische Kampfjets im maximalen Tiefflug und lehrbuchhafter Formation über das Stadion. Es ist eine unerhörte Provokation, nach der sich die über fünf Monate angestaute Trauer der Menschen in Wut und grenzenlosen Hass wandelt. Alles geht unter in einem einzigen Aufschrei: Tod Israel! Gott ist groß! Tod Israel!

So beginnt Hassan Nasrallahs letzte Reise. Im Sarg auf der Tartanbahn bei einer Abschiedsrunde durch das Beiruter Camille-Chamoun-Stadion. Über ihm der Feind, der ihn am Ende doch getötet und geschlagen hat. Das Stadion fasst eigentlich nur 49.000 Personen. Bei dieser Trauerfeier könnten es 60.000 oder 70.000 Menschen sein, die in einem Meer aus gelben, grünen, roten und schwarzen Fahnen zu einer einzigen wogenden Masse werden. Über all dem ein strahlend blauer Himmel, betupft von weißen Wolken, an dem sich kurz die Kondensstreifen der israelischen Jets kräuseln, die dann noch ein weiteres Mal über das Stadion fliegen.

Bilder von zerbombten Dörfern voller wehklagender Frauen

Auf der gigantischen Leinwand hinter der Bühne waren zuvor Bilder von Nasrallah und seinem Nachfolger Hashem Safieddine zu sehen, der ebenfalls von den Israelis getötet worden war. Daneben Szenen feuernder Kämpfer und Geschütze und Bilder von zerbombten Dörfern voller wehklagender Frauen. Wieder und wieder wird dann Nasrallah eingeblendet, der drei Jahrzehnte Generalsekretär der Hisbollah war, bis die Israelis ihren Erzfeind töteten. Dazu Videos von Ansprachen dieses begnadeten, hypnotisierenden Redners: Manchmal handelt jedes zweite Wort Nasrallahs von Tod und Märtyrertum.

Lautsprecher dröhnen. Die Musik changiert zwischen den hackenden Rhythmen eines Video-Spiels, gefühlig-melancholischen Streicher-Melodien und melodisch lamentierenden Schiiten-Litaneien. Eine Menschenmasse in Trauer, aufgeheizt von der aufgepeitschten Stimmung antiker Gladiatorenkämpfe, politischen Parolen aus dem Hier und Jetzt und dem Setting einer Fan-Kurve. Ein Mann auf der Tribüne beugt sich über die Balustrade: „Sayyed Hassan war unser Führer, unser Held, unser Vater, unser Freund.“ Ein anderer ruft: „Der Tod unserer beiden Führer macht unseren Widerstand nur noch entschlossener.“

Schon am Vortag hingen im Süden von Beirut, wo die Schiiten leben, die Nasrallah-Plakate noch dichter als sonst. Überall Hisbollah-Fahnen, gepaart mit der libanesischen Flagge, um den nationalen Führungsanspruch zu unterstreichen. Bärtige Männer auf Motorrollern trugen blutrote oder tiefschwarze Banner in Erinnerung an den Tod des wie einen Heiligen verehrten Schiiten-Imam Hussein. Freiwillige verteilten an den Straßen Wasser und Essen, aus Lautsprechertürmen dröhnten endlos die Trauergesänge.

Süd-Beirut, ein einziges Kerbela. Der schiitische Imam Hussein ibn Ali war im siebten Jahrhundert in der Schlacht bei Kerbela von den niederträchtigen sunnitischen Feinden erschlagen worden. Er und die Seinen, darunter seine Frau mit einem Baby, sollen in der Wüste ohne einen Tropfen Wasser gekämpft haben bis zum letzten Atemzug. Kerbela ist das Gründungsnarrativ des schiitischen Islams und die Geburtsstunde jenes Märtyrer-Motivs, an das die Hisbollah 1400 Jahre später nahtlos anknüpft.

Staatsgäste sind kaum gekommen, bis auf zwei Iraner

Hassan Nasrallah als Märtyrer des wahren Glaubens. Ein moderner Hussein. Das Motiv vom Opfertod gibt dem Schiitentum, gibt der Hisbollah unbändige Kraft. Weshalb Mütter ihre Babys mit jenen gelben oder schwarzen Stirnbändern schmücken, die für die Bereitschaft zum Märtyrertod stehen.

So weit das Volk.  Staatsgäste sind hingegen kaum gekommen. Von der libanesischen Staatsführung erscheint nur Nabih Berri, der Parlamentssprecher: Er ist Schiit. Kein anderer wollte an der Beerdigung eines Mannes teilnehmen, den Libanons Schiiten verehren, viele Sunniten, Drusen und Christen aber nur noch als Handlanger Irans und Zerstörer des Heimatlandes verfluchen, und der bei den Regierungen im Westen ohnehin als Terror-Fürst galt.

Die einzigen ausländischen Gäste von Rang sind- es war erwartbar - der iranische Parlamentspräsident und der iranische Außenminister. Ansonsten zeigen sich iranische, irakische und andere Geistliche. Einer überbringt eine Botschaft des iranischen Revolutionsführers Ali Chamenei. Dazu iranische Offiziere, Abgesandte irakischer Milizen, Vertreter der Huthi aus Jemen, die ihre Krummdolche vor den Bäuchen tragen.

Mangels wichtiger Staatsgäste hatten Hisbollah-nahe Journalisten schon am Vortag ausländische „Journalisten“ interviewt, die bestenfalls Aktivisten waren und sich nun vor den Nasrallah-Plakaten und Hisbollah-Flaggen als nützliche Idioten der Organisatoren erwiesen. Ob aus Brasilien, Irland, dem Irak oder Jemen – keiner versäumte es, den „Märtyrer-Tod von Sayyed Hassan“ zu würdigen, der Partei uneingeschränkte Solidarität zu versichern und „Israel, die Zionisten und ihre westlichen Verbündeten“ zu geißeln.

Gefragtester Interview-Partner ist ein amerikanischer Polit-Influencer und Putin-Troll

Ein Iraner, das Kampfsymbol der russischen „Wagner-Miliz“ am Jackenärmel, pries die AfD, während sich ein Australier bemühte, die Kriegsschuld der Ukraine zu belegen. Gefragtester Interview-Partner war der US-Amerikaner Jackson Hinkle. Der „konservative Kommunist“, Polit-Influencer und Putin-Troll mit fast drei Millionen X-Followern wirbelt seit Jahren durch die sozialen Medien. Hinkle gab in einem Atemzug den Botschafter der Hisbollah, der Hamas und des Kremls. Im Anzug und mit Fake-Rolex am Handgelenk forderte der MAGA-Kommunist US-Präsident Donald Trump auf, „nicht Israel, sondern Amerika wieder großzumachen“.

Überzeugender wirken an diesem Tag die Angehörigen der Märtyrer. Dania Abdallah zum Beispiel hat ans schwarze Gewand handtellergroße Buttons mit den Porträts ihres getöteten Ehemanns und ihres gefallenen Sohnes geheftet: Die glühende Hisbollah-Anhängerin präsentiert ihre Trauer wie einen Orden. Die 53-jährige Witwe und Mutter eines als Soldat der Radwan-Elitetruppe im Südlibanon gefallenen Sohnes sagt: „Wir erziehen unsere Kinder, ihrem Land und ihrer Familie Ehre zu erweisen.“

Ihr Ehemann sei vor Jahren umgekommen, ein Hisbollah-Mann. Dann erzählt sie, dass ihr 26-jähriger Sohn in diesem Krieg „Mann gegen Mann gegen die Israelis gekämpft hat“. All das, um in den letzten Kriegstagen von einer Drohne getötet zu werden. Was sie „stolz und dankbar macht: Ein Märtyrer hat vor Allah den allerhöchsten Rang.“

Der schiitische Märtyrerkult deutet den Tod auf dem Schlachtfeld in einen Befreiungsakt um

Die den Verstand betäubende Heldenprosa gibt dem Tod Nasrallahs unter den Trümmern seines zerbombten Bunkers ebenso Sinn wie dem Sterben Tausender Zivilisten und Kämpfer. Weshalb Dania Abdallah sagt: „Wir müssen um Sayyed Hassan nicht trauern. Er wollte es so.“ Der schiitische Märtyrerkult deutet den grausamen Tod auf dem Schlachtfeld in einen paradiesischen Befreiungsakt um: der „Märtyrertod“ als Sinn irdischen Lebens. Deshalb kann Dania Abdallah den verlorenen Krieg gegen Israel problemlos in einen Sieg umdeuten: „Wir stehen noch immer aufrecht!“ Und deshalb kann sie sich Trauer um Mann und Sohn versagen. Was zählt deren Leben, wenn „der Sayyed“ sein Leben für die Sache gab?

Derart irrationale, von religiösem Furor gespeiste Denkmuster sind seit dem Erstarken der schiitischen Sache in den Achtzigerjahren prägender Bestandteil libanesischer Politik: dank der Hisbollah. Zu vergleichen ist es mit der blindwütigen Unbeirrbarkeit, mit der Europas Kreuzritter ins Heilige Land zogen, um im Kampf um Jerusalem zu verbluten. Der Tod für den Herrn im Himmel als Erlösung und göttliches Geschenk auf Erden.

Das funktioniert auch im 21. Jahrhundert, das zeigen die beseelten Menschenmassen im Stadion und auf dem Marsch durch Beirut zum neu erbauten Mausoleum. So befördert dieses Festival der Trauer und der Tränen das versuchte Comeback der Hisbollah als politischer Player auf der libanesischen und nahöstlichen Bühne.

So bilden die angeblichen Freuden des Märtyrertums das Leitmotiv bei Nasrallahs Trauerfeier und bei seiner Bestattung im neu errichteten Mausoleum. Dort wird der Sarg des Hisbollah-Führers nun in einem gläsernen Schrein liegen. Er wird Tag für Tag Massen an Pilgern anziehen, deren Spenden die Kasse der Hisbollah füllen werden, damit die Gläubigen auch im nächsten Krieg wie Hassan Nasrallah zu Märtyrern werden können.

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:Nasrallahs Tod wird die Hisbollah schwächen

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SZ PlusVon Tomas Avenarius

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