Corona-Maßnahmen:Warum Gerichte die Beherbergungsverbote gekippt haben

Sachsen hebt Beherbergungsverbot auf

Pension nahe Hoyerswerda in Sachsen

(Foto: dpa)

Mancherorts sind die umstrittenen Beherbungsverbote außer Vollzug gesetzt. Wie die Justiz ihre Entscheidungen begründet - und warum die Richtersprüche kein Signal für einen laxeren Umgang mit den Risiken der Pandemie sind.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nun fallen sie wie die Dominosteine. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim hat das umstrittene Beherbergungsverbot in Baden-Württemberg außer Vollzug gesetzt, ebenso das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in Niedersachsen - und der Freistaat Sachsen hat die Beschränkung gleich von selbst aufgehoben, ebenso das Saarland.

Damit bleiben sieben Länder übrig, in denen Gäste aus Risikogebieten nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Herberge finden, in der Regel mit einem negativen Test oder einer ärztlichen Bescheinigung.

Liest man aber die Begründung der beiden Gerichtsbeschlüsse aus dem Süden und dem Norden - bisher liegen nur die Pressemitteilungen vor -, dann muss man annehmen, dass die Beherbergungsverbote auch in den verbleibenden Ländern auf der Kippe stehen.

Die Verbote sind sozusagen von zwei Seiten angegriffen worden. In Niedersachsen hatte der Betreiber eines Ferienparks geklagt, in Baden-Württemberg war es eine fünfköpfige Familie, die sich vor die Wahl gestellt sah, entweder die für 2000 Euro gebuchte Unterkunft bei Ravensburg sausen zu lassen oder 770 Euro in fünf Tests zu investieren.

Im zentralen Punkt sind sich die Gerichte einig. Dass sich mit Beherbergungsverboten die Verbreitung des Virus eindämmen ließe, ist weder nachgewiesen noch auch nur irgendwie plausibel. Es sei zweifelhaft, ob ein derartiges Verbot "geeignet und erforderlich" sei, schreibt das OVG Lüneburg. Weder die Unterbringung im Hotel noch das eigentliche Reisen führten zu einer erhöhten Infektionsgefahr.

Gebot der Gleichbehandlung

Jedenfalls habe das Land Niedersachsen auf Nachfrage des Gerichts "keine nachvollziehbaren tatsächlichen Erkenntnisse" dazu präsentieren können, wie viele Infizierte in den vergangenen Wochen auf Reisen zurückzuführen seien. Der bloße Verweis auf die allgemein gestiegenen Zahlen reiche nicht. Ganz ähnlich klingt es beim VGH Mannheim.

Trotz steigender Fallzahlen seien in Deutschland keine Corona-Ausbrüche in Hotels bekannt. Vielmehr sei aktueller Treiber der Pandemie das Feiern in großen Gruppen oder enge Räume ohne Abstandsmöglichkeiten.

Der VGH Mannheim geht aber noch einen Schritt weiter. Er wirft die Frage auf, ob das "Gesamtkonzept von Beschränkungen und Lockerungen noch in sich stimmig und tragbar" sei. Sämtliche Geschäfte, Freizeit- und Sporteinrichtungen, Gaststätten und Bars hätten geöffnet, von den Clubs und Diskotheken einmal abgesehen.

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Da erschließe sich nicht, gerade Hotels und Pensionen davon auszunehmen. Also Orte, an denen sich die Menschen in abgeschlossenen Räumen aufhalten - und allenfalls in kleiner Zahl aufeinandertreffen. Außerdem kann das Gericht bei Hotels nun wirklich kein Problem mit den Kontaktdaten erkennen.

Dass ein Gericht das Gesamtkonzept der Corona-Bekämpfung in den Blick nimmt, ist letztlich ein Gebot der Gleichbehandlung. Im allgemeinen Lockdown des Frühjahrs hatte man damit wenig Probleme, da mussten mehr oder weniger alle zumachen.

Je mehr die Ge- und Verbote aber ausdifferenziert werden, desto genauer müssen die Länder bei ihren Verordnungen nach links und rechts schauen: Werden alle gleichbehandelt? Und wenn nicht: Gibt es einen guten Grund dafür, dass es die einen härter trifft als die anderen?

Dass die Beherbergungsverbote gekippt wurden, ist also nicht etwa ein richterliches Signal für einen laxeren Umgang mit den Risiken der Pandemie, sondern für eine präzise Unterscheidung.

Gedrängtes Trinken und Tanzen ist ungleich gefährlicher ist als distanziertes Sitzen

Als das OVG Münster Anfang Juli über die anhaltende Schließung von Clubs und Diskotheken zu befinden hatte, urteilte es ebenfalls anhand des "Gesamtkonzepts", kam aber zu dem Ergebnis, dass man Clubs schließen darf, auch wenn Hotels wieder geöffnet sind.

Dicht gedrängtes Trinken und Tanzen ist eben ungleich gefährlicher als das distanzierte Sitzen im Frühstücksraum. Es ist also alles andere als zwingend, dass nach den Beherbergungsverboten auch die Sperrstunden gerichtlich beanstandet werden.

Noch etwas können die Länder aus den beiden Beschlüssen lernen. Wer die Reisefreizügigkeit unter den Vorbehalt negativer Corona-Tests stellt, der sollte besser dafür sorgen, dass das Testen flutscht.

Der VGH hält die Tests derzeit für nicht zumutbar, denn es sei nicht gewährleistet, dass man schnell genug ein Testergebnis in Händen halte. Und das OVG Münster hat so seine Zweifel, ob angesichts der ausgereizten Testkapazitäten Urlauber sich beim Testen vorne anstellen dürfen.

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