Süddeutsche Zeitung

Begnadigung von Michail Chodorkowskij:Freiheit für Russlands Staatsfeind Nummer eins

Im Westen ist Michail Chodorkowskij die Symbolfigur der russischen Opposition, in seiner Heimat wirkt er wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Nun hat Präsident Putin angekündigt, Russlands bekanntesten Gefangenen zu begnadigen. Was die Freilassung des Ex-Milliardärs bedeutet.

Von Hannah Beitzer

Welchen Unterschied machen schon die paar Monate? Im August 2014 wäre sie ohnehin zu Ende gewesen, die mittlerweile zehn Jahre andauernde Haft von Michail Chodorkowskij. Und doch ist es eine Nachricht, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Kremlkritiker und Ex-Milliardär begnadigen will. Denn damit, dass der ehemalige Öl-Unternehmer tatsächlich freikommen wird, hatte eigentlich niemand ernsthaft gerechnet.

Chodorkowskij gilt als russischer Staatsfeind Nummer eins, seitdem er Anfang der Nullerjahre den damals gerade erstarkenden Präsidenten Putin herausforderte. Der einst reichste Mann Russlands hatte sich offen hinter die Opposition gestellt, Oppositionsparteien finanziert. 2003 wurde er verhaftet und zwei Jahre später wegen Betrugs und Steuerhinterziehung rund um seinen Ölkonzern Jukos verurteilt. 2010 folgte ein zweiter Prozess, in dem er zu weiteren sechs Jahren zu Lagerhaft in Sibirien verurteilt wurde. Seitdem wurde das Strafmaß allerdings um mehrere Jahre verringert.

Vor allem Politiker und Nichtregierungsorganisationen aus dem Westen verurteilten beide Prozesse als politisch motiviert. Hier wollte, so die relativ einhellige Lesart, Wladimir Putin einen unliebsamen Konkurrenten loswerden - am besten für immer. Dazu passte eine Meldung vor einigen Wochen, dass die russische Staatsanwaltschaft schon wieder gegen Chodorkowskij ermittle.

Die kranke Mutter als Grund

Nun scheint aber doch alles ganz anders zu kommen. "Er sitzt seit über zehn Jahren in Haft, das ist eine lange Zeit und ich bin der Meinung, dass man eine solche Entscheidung treffen muss", sagte Putin zum Fall Chodorkowskij. Der 50-Jährige habe lange Zeit kein Gnadengesuch eingereicht, erst vor kurzem habe er dies doch getan, erklärte Putin. "Dieses Gesuch wird in Bälde bewilligt werden", fügte er hinzu. Der Kremlkritiker führe in seinem Schreiben humanitäre Gründe an, betonte der Präsident. Chodorkowskijs Mutter sei krank.

Für einen dritten Prozess gegen Chodorkowskij, so hatte es Putin zuvor in seiner jährlichen Pressekonferenz betont, sehe er "keine Perspektive". Gleichzeitig betonte er der Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge jedoch, über die Details eines neuen Ermittlungsverfahrens nicht Bescheid zu wissen.

Was bedeutet das nun? Zunächst kommt Chodorkowskij wohl tatsächlich bald frei. Das ist ein starkes Signal Putins vor allem in Richtung Westen. Zuletzt hatten etwa Bundespräsident Joachim Gauck und US-Präsident Barack Obama angekündigt, nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi zu fahren, was als Kritik an der prekären Menschenrechtslage im Land gewertet wurde. In Russland selbst ist Chodorkowskijs Bedeutung jedoch weit geringer als seine Symbolwirkung nach außen.

Misstrauen gegen Oligarchen

Sicher, die russische Opposition müht sich seit Jahren, die Macht Putins zu brechen. Zuletzt hatte es zum Beispiel während Präsidentschaftswahl im Jahr 2012 Massenproteste in russischen Großstädten gegeben. Die Mehrheit der Russen hat allerdings trotzdem für Putin gestimmt.

Ob Michail Chodorkowskij zum Anführer der Opposition taugt, ist fraglich. Viele Russen schätzten Putin schließlich so viele Jahre lang gerade dafür, dass er die Oligarchen der 90er Jahre entmachtet hat. Chodorkowskij wirkt wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, an die die Russen nicht allzu gern erinnert werden. Unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin waren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Männer wie Chodorkowskij oder auch der kürzlich verstorbene Exilant Boris Beresowskij zu sagenhaftem Reichtum und Einfluss aufgestiegen. Häufig auf dubiosen Wegen - und sehr zum Missfallen der "einfachen" Russen.

Und Chodorkowskijs Begnadigung ist auch keinesfalls bedingungslos. Zum einen macht Putin mit der Betonung der "humanitären Gesichtspunkte" deutlich, dass er mitnichten vor jenen einknickt, die den Prozess gegen den Ex-Oligarchen als politisch motiviert kritisieren - oder gar Zweifel an Chodorkowskijs Schuld zulässt.

Und zugleich lässt er sich ein weiteres Fenster offen: Denn endgültig abgewendet ist ein neues Verfahren gegen Chodorkowskij nicht zwangsläufig. Nicht umsonst betont Putin die Unkenntnis der "Details" der neuesten Ermittlungen. Formal gesehen sind auch in Russland Justiz und Exekutive voneinander unabhängig.

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