Süddeutsche Zeitung

Begleitgesetz:Europäisches Recht nach Karlsruher Rezept

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Der Bundestag verhandelt über das Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag. Die Rechte, die er aufgegeben hatte, werden damit zurückgeholt.

Heribert Prantl

Die Meinung über die Gesetzgebung ist nicht besser geworden, seitdem Otto von Bismarck sie einst mit der Wurstherstellung verglichen hat: "Gesetze sind wie Würste, man sollte nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden." Dieses Urteil ist, jedenfalls bisweilen, ein Vorurteil.

Das neue Begleitgesetz zum Lissabon-Gesetz ist nämlich so ordentlich, dass man sich wünscht, auch Würste würden so gemacht wie dieses Gesetz. Der Bundestag, seine Ausschüsse und die diversen Verhandlungsgremien der Parteien haben - in großer Eile, aber gleichwohl mit einiger Sorgfalt - die Rechte des Parlaments wieder zurückgeholt, die sie schon aufgegeben hatten.

Das Gesetz ist ein Exempel dafür, was geht, wenn man wirklich will. Der Gesetzgeber hatte freilich ein sehr penibles Rezept: Es stammt vom Bundesverfassungsgericht.

Die acht Richter des 2. Senats hatten in ihrem Urteil vom 30. Juni das alte deutsche Begleitgesetz zerrissen und den Gesetzgeber aufgefordert, ein neues zu schreiben - ein Regelwerk, das die demokratischen Rechte der nationalen Gesetzgebungsorgane achtet. Dieses neue Begleitgesetz wird an diesem Mittwoch im Bundestag von den Fraktionen von Union, SPD, FDP und Grünen eingebracht und erstmals beraten. Nur die Linke steht abseits. Das geplante Gesetz setzt die Vorgaben des höchsten deutschen Gerichts auf penible Weise um.

"Begleitgesetz" ist ein zusammenfassender Name. Es handelt sich um ein Gesetzesbündel. Es besteht aus dem "Integrationsverantwortungsgesetz" und aus Zusammenarbeitsgesetzen - nämlich über die Zusammenarbeit erstens von Bundesregierung und Bundestag, zweitens von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union. Bisher bloße Vereinbarungen zwischen Bundestag, Bundesregierung (BBV) sowie zwischen Bund und Ländern (BLV) werden nun Gesetz.

Für alle Fälle, in denen das Karlsruher Gericht das Zustimmungserfordernis des Parlaments ausdrücklich und eindeutig gefordert hat, werden diese umgesetzt. Die demokratischen Rechte des Parlaments im Zusammenhang mit der europäischen Integration werden so erheblich gestärkt: Der Bundestag hat fast drei Dutzend Rechte erhalten, die er bisher nicht hatte. Es wird nun Zustimmungsgesetze geben müssen etwa bei der Weiterentwicklung der EU-Verträge im sogenannten vereinfachten Verfahren - ob es um den Binnenmarkt, um den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, um innere Sicherheit, um Beschäftigungs- und Sozialpolitik oder um Umweltschutz geht.

Der Lissabon-Vertrag sieht zwar vor, dass der Beschluss des Rates über die Vertragsänderung hier "erst nach Zustimmung der Mitgliedsstaaten im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften" in Kraft treten soll. Das alte Begleitgesetz hatte aber die Zustimmung des Parlaments nicht für ausdrücklich notwendig gehalten.

Die Flexibilitätsklausel des Lissabon-Vertrags ermöglicht es der EU, sich selbst neue Kompetenzen zu schaffen. Der Rat kann solche Beschlüsse nach Zustimmung des Europäischen Parlaments schaffen.

Karlsruhe hat entschieden, dass ohne Zustimmung des deutschen Parlaments der deutsche Vertreter im Rat einem solchen Beschluss nicht zustimmen darf. Im Integrationsverantwortungsgesetz ist das nun auch so geregelt. Ebenso ist das bei den Brückenklauseln, die es der EU ermöglichen, nicht mehr wie bisher einstimmig zu entscheiden, sondern durch Mehrheitsvotum. Das neue Gesetz schreibt nun die vorherige nationale parlamentarische Zustimmung durch Gesetz oder Beschluss vor.

Der Lissabon-Vertrag sieht bei Materien, die für die nationale Souveränität besonders heikel sind (zum Beispiel die Justiz) einen Notbremsen-Mechanismus vor. Mit der Notbremse kann ein Mitgliedsstaat verhindern, dass hier wegen des Mehrheitsprinzips gegen seinen Willen ein auch bei ihm geltendes Gesetz beschlossen wird. Das Notbremsen-Recht stand bisher nur der Bundesregierung zu. Nach dem neuen Gesetz können Bundestag und Bundesrat der Bundesregierung die Weisung erteilen, die Notbremse zu ziehen.

Über all diese Punkte haben sich die Parteien geeinigt. Unklar und umstritten ist freilich, wie die strenge Karlsruher Auslegung des Lissabon-Vertrags, die nun Gesetz werden soll, völkerrechtlich abgesichert werden kann. In Deutschland ist der Lissabon-Vertrag nur "nach Maßgabe der Gründe des Urteils" mit dem Grundgesetz vereinbar.

Es gibt hier die Möglichkeit eines "Protokolls" zum Vertrag, das aber dann von allen EU-Staaten ratifiziert werden müsste. Das ist unrealistisch. Realistischer könnte ein völkerrechtlicher Vorbehalt sein, den die Bundesrepublik bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde macht.

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SZ vom 26.08.2009
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